Rezension zu »Brennerova« von Wolf Haas

Brennerova

von


Kriminalroman · Hoffmann und Campe · · Gebunden · 240 S. · ISBN 9783455404999
Sprache: de · Herkunft: de

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Die Russin ist eine, die Geschichten liebt

Rezension vom 20.10.2014 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

»Und das ist eben das Verhexte am Menschen. Da ist er nicht gescheiter als die Maus, die glaubt, dass sie gescheiter als die Falle ist.«

Obwohl der Brenner Simon all seine Gehirnwindungen bemüht, um ein bisschen gescheiter als die Maus zu sein, so ist er doch in erster Linie ein Mensch und insbesondere ein Mann, und schon schnappt die Falle hinter ihm zu, und der ganze Schlamassel nimmt seinen Anfang.

Mittsechziger Simon Brenner, Kriminalpolizist i.R., blättert auf seinem Computer aus unschuldiger Neu­gier und Langeweile die Bilder osteuropäischer Heiratswilliger durch. Früher schauten die Russinnen ganz anders aus: »groß ... muskulös wie Hammerwerfer ... unter den Achseln haben sie so viele Haare, dass sich noch ein Toupet für ihren Mann ausgehen würde und ein zweites für den ersten Parteisekretär«. Heut­zutage ist »keine einzige Traktorfahrerin dabei«, stattdessen »die dünnsten Fotomodelle«: »Beine wie eine Giraffe, Taille wie eine Wespe, Augen wie die Biene Maja«.

Wie viele arme Deppen haben schon vergeblich auf so eine Dame gewartet, nachdem sie Fahr- und Pro­viantgeld gen Osten geschickt hatten. Der Brenner wusste davon, denn »er war ja nicht blöd«. Und genau deshalb würde er das geschickter anstellen. Beim Ausfüllen des Profils kommt der »von Grund auf ehrliche Charakter« freilich ins Grübeln. Wenn der erforderliche Nickname aus Prinzip Illusionen weckt, machen ein paar fantasievoll erfundene Daten den Träger noch jünger und interessanter – aber wird nicht auch jede russische »Kugelstoßerin« und »Straßenwalzenfahrerin « solche Einfälle haben? Am Ende der mühseligen Profilerstellung muss ein Passwort her, ein knackiges, unvergessliches. »Puntigam«, seine steirische Hei­mat, das wär‹s doch. Noch besser: »Brennerova« – so soll schließlich die hübsche Russin heißen, die er demnächst heiratet.

Heiratet? Aber Brenner hat doch schon die Herta, »das Beste, was er seit langem erlebt hat«, und diese so­lide Beziehung zu ruinieren, das »wäre ja eigene Blödheit«. Deswegen will er eigentlich auf keinen der eintrudelnden Heiratsanträge antworten. Aber »die Nadeshda, die ist herausgestochen«, schon weil sie so ehrlich geschrieben hat, dass das beigefügte Foto ihre viel schönere und jüngere Schwester Serafima zeigt. Und »weil Gebot der Höflichkeit«, schickt Brenner ihr eine Absage, die wiederum Nadeshda nicht unbe­achtet lässt, und so pflegt er bald »eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck.«

Es bleibt nicht dabei. »Rein bildungsmäßig« reist der Pensionär von Wien über Moskau nach Nischni Now­gorod und ist dabei so aufgeregt wie zuletzt als Zwölfjähriger, als er mit der Manuela im Wald verab­redet war (der begegnete dann leider unterwegs der Markovic).

Ganz wie das Mäuschen, das schon viele Kolleginnen in der Falle verschwinden sah und dennoch den Käse »mehr so seitlich hin« für sich herausholen zu können glaubt, pirscht sich Simon Brenner an Nadesh­da heran, befürchtend, aber nicht wissen wollend, dass das Schicksal und Autor Wolf Haas üble Fallstricke für ihn ausgelegt haben. Serafima wurde von einem Mädchenhändlerring verschleppt, berichtet ihm Na­deshda, und sie sucht keinen Bräutigam, sondern einen Profi, der ihre Schwester zurückbringt. Im Prinzip wäre ein Kommissar i.R. schon der richtige Mann für diese Aufgabe, doch die Liste der Länder, wo Sera­fima stecken könnte, ist endlos. Nicht einmal Nadeshdas Tränen können den in vielen Dienstjahren zum knallharten »Frauentränen-Nichtumfaller« gereiften Detektiv verführen, sich auf ein so aussichtsloses Un­terfangen einzulassen.

Hätte ihm nicht die gute Herta Druck gemacht. Die hatte einem »Fratz ... eine geschmiert«, war dafür aus dem Schuldienst gefeuert worden (wofür sie dem Stadtschulrat »wahnsinnig dankbar« war) und hatte jetzt für ihren neuen Lebensabschnitt die Unabhängigkeit beim »Weltweitwandern« entdeckt. Soeben aus Mar­rakesch zurück, steckt sie noch mitten »im Rausch der Düfte und der Farben«, als ihr ihr Freund beichtet, was er in der Unabhängigkeit während ihrer Abwesenheit so alles getrieben hat. Dass da eine junge Russin entführt wurde und womöglich im Wiener Rotlichtmilieu anschaffen muss. Da drängt ihn Herta – sie ist »wahnsinnig gut mit den Wörtern« –, sich doch um die »arme Serafima« zu kümmern; »es tut dir bestimmt gut, wenn du eine Aufgabe hast ... dann bist du nicht mehr so rastlos«.

Halb zieht es ihn, halb wird er von seinen Frauen geschubst, der Mann, der »spät mit der Lebenserfahrung angefangen« hat und »mehr der unberechenbare Typ« ist, schon weil er sich schwer tut mit dem Entschei­den, wo er doch stets erst um sämtliche Ecken herum denkt. Mit dem Foto der Serafima geht er in Wien auf Tour, um Auskünfte einzuholen, sitzt aber schnell auf dem Trockenen. »So ein Einserhase arbeitet ga­ran­tiert nicht am normalen Strich, da soll er lieber beim Berlusconi suchen«, raten Fachleute. Und ausge­rech­net jetzt, wo der Brenner hereinschneit, werden in der Szene alte Rechnungen beglichen. Tätowie­rer »Infra« (Inreiter Franz) hat dem Lupescu, brutalster aller Zuhälter und Chef des »Wu Tan«-Clans (be­nannt nach dem Mordfall »Wustinger Tanja«), etwas Falsches auf den Rücken geschrieben. Darüber hat »Rot­licht­phi­lo­soph« Gruntner in seiner Internetzeitung »Untergrunt« und im Fernsehen berichtet, nachdem ein tä­to­wier­ter Torso in der Donau dümpelnd aufgefunden worden war. »Eine Hand wäscht die andere«, sagt das Sprichwort, das auf Russisch auf Gruntners Unterarm tätowiert ist. Jetzt liegen »Infra« und Grunt­ner nebst vier abgehackten Händen in zwei OP-Sälen, und das Kapitel, in dem acht eingebildete Chirurgen, ihre hand­werk­li­chen Bemühungen um Sehnen, Gelenke und Nerven sowie nebenbei ihre Charaktere aus der Sicht der abgeklärten Schwester Anna Elisabeth beschrieben und spitz kommentiert werden, gehört zum Besten, was Wolf Haas in seinem an Schmunzel- und Nachdenkstellen reichen Kriminalroman zu bieten hat.

»Brennerova« ist der achte Band einer erfolgreichen Krimiserie, die in ihrer großen Fangemeinschaft Kult­status genießt. Der dürfte neben dem bissig-schwarzen Humor und den intellektuellen Herausforderungen literarisch-philosophisch-psychologischer Anspielungen hauptsächlich dem markanten Erzählstil und der originellen, kreativen Sprachgestaltung geschuldet sein. Beide setzen auf einem österreichischen Tonfall auf, der sicher wienerisch, vielleicht auch steirisch klingt und darüber hinaus grammatikalische Eigenarten pflegt, zum Beispiel gern die Hilfsverben »sein« und »haben« weglässt, nach »weil« grundsätzlich einen Hauptsatz anschließt (»Zum Glück die Herta so eine robuste Natur, weil wenn du die heutigen Schüler über­lebt hast, wäre es übertrieben, sich vor einem Terroristen zu fürchten.«) und überhaupt mit Freuden die Syntax zerschießt. Typisch sind zudem gewisse Floskeln (»Ob du es glaubst oder nicht«) und der Platzhal­ter »ding«, wenn das rechte Wort gerade nicht zur Hand ist (»von der ganzen ding her eine andere Per­son«). Man sitzt als Leser quasi am Holztisch in einem Wiener Beisl, wo einem der joviale Erzähler (»hör zu«) die unglaublichen Geschehnisse um den Brenner Simon, seinen bestens vertrauten Kumpel, aufträgt. Leider nutzt sich der Effekt der etwas artifiziellen Umgangssprache mit der Zeit ab.

Leider kommt auch der Handlungsverlauf nicht aus einem Guss. Der Plot ist aus drei Episoden zusammen­gesetzt (Brenner und die drei Frauen; die Wiener Unterweltfehde; Hertas Entführung). Schon die ersten bei­den verbindet nur der Zufall, die letzte dagegen wirkt wie »mehr so seitlich hin« gebogen und angeklebt, um den ansonsten etwas dünnen Roman mit Stoff anzureichern: Herta geht wieder auf Wanderschaft, dies­mal zu den Schamanen in der Mongolei, und wird dort entführt ...


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