Rezension zu »Butcher's Crossing« von John Williams

Butcher's Crossing

von


Abenteuerroman · dtv · · 368 S. · ISBN 9783423280495
Sprache: de · Herkunft: us

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Die letzten Büffel, die letzten Jäger

Rezension vom 17.04.2015 · 1 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

So war der Wilde Westen. Unzählige Romane, Gemälde und Filme haben ver­herr­licht, wie furchtlose Pio­niere und tatkräftige Siedler – the New American – den Kon­ti­nent eroberten. Unaufhaltsam verschoben sie die Frontier westwärts, bis ihr junger Staat sich from coast to coast erstreckte. Die wilden Ureinwohner wurden ideo­lo­gisch und physisch beiseite geräumt, so dass das weite Land uneingeschränkt als promised land zur Disposition stand: This land is your land, this land is my land, und wer beherzt zugriff, konnte sich eine homestead sichern.

Oder sich an tierischen Schätzen wie etwa den Büffeln bedienen. Die kraftvollen, aber dem Menschen tak­tisch nicht gewachsenen Herdentiere im Dutzend abzuschießen war keine Kunst, aber lukrativ wegen des Fleisches und des Fells. Ab 1870 stieg die Ledernachfrage derart rasant, dass Millionen abgeknallt und ge­häutet zurückgelassen wurden. Um die Jahrhundertwende war die Spezies fast ausgerottet.

Aus dem Jahr 1873 erzählt »Butcher's Crossing« John Williams: »Butcher's Crossing« bei Amazon , ein fulminanter Roman, ein Klassiker in mehrfacher Hin­sicht. John Williams (1922-1994) hat ihn geschrieben, 1960 erschien er, 2007 wurde er wiederentdeckt, und erst jetzt wurde er ins Deutsche übersetzt (von Bernhard Robben für dtv). Während zeitgenössische Western noch ziemlich einhellig das Heldenpathos von geradlinigen starken Männern verbreiteten, macht »Butcher's Crossing« nachdenklich und traurig und nimmt damit die Neubesinnung vorweg, die nach dem Vietnamkrieg zu einem differenzierteren, selbstkritischen Geschichtsbild in den USA führte.

In erster Linie aber ist dies ein packendes Stück Literatur, unglaublich spannendes, überwältigend bildstar­kes Kopfkino mit naturalistischer Hingabe ans Detail, dabei in diszipliniertem Gleichmaß erzählt von ei­nem stoisch observierenden Erzähler, den scheinbar gar nichts aus der Ruhe bringen kann.

Dem Ruf Go West! ist auch der dreiundzwanzigjährige William Andrews aus Boston gefolgt. Er konnte in Harvard studieren und sollte Karriere machen. Doch im dritten Jahr bricht er ab, um sich auf die Suche zu begeben. Wonach, das weiß er selbst nicht. Jedenfalls fehlte etwas in seinem bisherigen Dasein, »das we­der frei noch gut oder lebendig war«. Wie so viele hofft er, das »Gute«, »Freiheit«, »Hoffnung«, »Le­bens­kraft« in der Wildnis zu finden.

Nach zwei strapaziösen Wochen entsteigt er in Butcher's Crossing, Kansas, der Überlandkutsche. Auf der staubigen Hauptstraße gehen Männer in Anzug und Melone, andere in ausgeblichenen Jeans oder drecki­gem Drillich ihren Geschäften nach. Dass Will ein greenhorn ist, sieht man ihm an. Er bezieht eine primi­tive Kammer in Butcher's Hotel. Die Fenster, locker in die Bretterfassade eingesetzte Holzrahmen, sind mit gaze­ähn­li­chem Stoff bezogen. Ein schmales Seilbett mit dünner Matratze, ein grober Tisch, ein Stuhl, ein Spiegel sind das ganze zu mietende Inventar. Gegen Aufpreis wird ein Holzzuber und heißes Wasser aufs Zimmer gebracht. Zum Frühstück gibt es einen Teller lauwarme Bohnen, Maisgrütze und heißen, bit­teren Kaffee.

Butcher's Crossing ist eine erbärmliche Ansammlung von einem halben Dutzend Bretterbuden, dahinter ein paar Zelte aus armeegrauem Tuch. Aber von ihrem Potenzial träumt jeder, der hier haust. Denn in ein, zwei Jahren werden hier Eisenbahngeleise verlegt werden. Das Städtchen an den Ausläufern der Rocky Moun­tains wird boomen, the American Dream wird für jeden wahr werden, der sein Glück zu schmieden weiß.

Wills Vater, der wohlsituierte Laienpriester, hat seinem Sohn ein Empfehlungsschreiben mitgegeben. Es ist an einen gewissen J. D. McDonald gerichtet, ehemals Kurzwarenverkäufer in Boston, den es hierher ver­schlagen haben soll. So gut er kann, möge er seinem Sohn beistehen.

McDonald empfängt Will in seinem Büro draußen bei den Solegruben. Er kann und will ihm gerne helfen, schon weil er dringend jemanden benötigt, der den ganzen Papierkram erledigt, damit er sich ums eigentli­che Geschäft, den Vertrieb seiner gegerbten Büffelfelle, kümmern kann. Zuletzt habe er einhunderttausend Felle nach St. Louis verkauft, und das sei erst der Anfang einer gloriosen Zukunft. McDonald hält sich für einen der wenigen »Männer mit Weitblick« hier. Beleg: Längst hat er sich ein paar Grundstücksparzellen gesichert.

Überraschenderweise springt Will auf das Karriereangebot nicht an. Ihn zieht es eher zu den Jägern der Büffel. Obwohl McDonald das nicht nachvollziehen kann (»Diese jungen Leute ... wissen einfach nicht, was sie mit sich anfangen sollen.«), verweist er Will an den erfahrenen Jäger Miller, der nicht ganz so übel sei wie die anderen, und führt ihn damit seinem Schicksal zu.

Die entscheidende Begegnung findet – wo sonst? – in Jackson's Saloon statt. Obwohl der eloquente Intel­lektuelle Will, nachdem er sich höflich vorgestellt hat, dem kernigen Miller, der gerade mal seinen Namen schreiben kann, kaum darzulegen vermag, was ihn bewegt, finden die beiden sehr gut zueinander, auf eher intuitiver Ebene. Miller schwärmt von den vergangenen guten Jahren, als die Prärie »schwarz vor Büffeln« war und wenige Jäger in kürzester Zeit mehr als tausend Tiere erlegen konnten. Jetzt sind die Reviere leer­gefegt. Aber er hegt einen Plan. In einem entlegenen Tal hoch oben in den Bergen Colorados weiß Miller noch eine letzte riesige Herde von Büffeln, die er jagen und zu Geld machen will. »Zwei Wochen, um hin­zukommen, eine Woche bis zehn Tage für die Jagd, dann noch mal zwei Wochen für die Rückkehr.«

Die Aussicht auf Abenteuer und unmittelbares Naturerlebnis zieht Will auf geradezu mystische Weise an. Wenn Miller, wie er ankündigt, einen kleinen Trupp von vier Männern zusammenstellt, Pferde, Ochsen und ein Zuggespann, Proviant, Gewehre und Munition besorgt, dann will er alles vorab finanzieren. Nach der Jagd sollen die Felle an McDonald verkauft und der Reibach untereinander aufgeteilt werden. Wie in Trance verklärt, wird man sich einig.

Der dritte Mann im Team wird Fred Schneider, der beste Häuter weit und breit. Skeptisch, ob es dort oben tatsächlich noch so viele Büffel gibt, wie Miller verspricht, handelt er für sich lieber einen risikolosen fixen Tagessatz aus. Charley Hoge, die Nummer vier und »ein Mann der Bibel«, hörte schon am Tresen zu, wehrt sich jedoch bis zuletzt gegen eine Teilnahme, denn er hat schlechte Erinnerungen an die Rockies. In »Eis und Höllenfeuer« wurde er dort einmal von einem Blizzard überrascht, verlor nach einem Sturz die Be­sin­nung, und Miller musste seine erfrorene Hand mit dem Messer abtrennen.

So zieht Will Andrews, der Idealist, der nicht weiß, was er sucht, mit drei stahlharten Männern archaischen Zuschnitts in »das Land des Teufels«, wo Miller sie tatsächlich zu einem Büffel-Trail von abertausend Tie­ren führt. Es sind die letzten Jagdgründe, und alles wird ganz anders kommen als gedacht.

»Butcher's Crossing« ist ein Lehrstück über den Menschen. Anders als üblich treffen in diesem Western nicht zwei menschliche Gegner aufeinander, die mit gleichen Waffen kämpfen, bis das Gute, der Bessere oder der Stärkere siegt. Hier scheint der Mensch an sich die unbegrenzte Befugnis zu haben, sich die Schöpfung untertan zu machen. Als ungehemmte Profitgier durchbricht und er wie im Rausch schlachtet, stellt er sich gegen einen viel größeren Gegenspieler, die Natur. »Hier finden wir, daß die Natur der Um­stand ist, der jeden andern Umstand klein für uns macht, und daß sie einem Gotte gleich alle Menschen richtet, die zu ihr kommen.« (Der dem Roman vorangestellte Auszug aus Ralph Waldo Emersons prä­gen­dem Essay »Nature« hat auch Will inspiriert.)

Die Romanhandlung weist über sich, den Einzelfall hinaus, ohne dass John Williams je einen moralischen Zeigefinger erhöbe. Die Natur zeigt der Truppe von Anfang an ihre Grenzen und kann doch Ehrgeiz, Ver­messenheit und Gier nicht mindern. Das Schicksal der Männer vollzieht sich als logische Folge ihrer Hand­lun­gen, und menschliches Handeln entzieht Mensch und Natur die Lebensgrundlage. Beim anstren­genden Aufstieg verdursten die Männer fast, der einbrechende Winter zwingt ihnen seinen Willen auf, un­auf­hör­li­che Schneestürme fesseln sie für Monate in den Bergen und rauben ihnen fast alle Lebenskraft. Am Ende über­leben sie (bis auf einen), aber den Sieg tragen sie nicht davon.

Sie hinterlassen ein zerstörtes Landschafts- und Tierparadies, ein Blutmeer, wo Tausende Kadaver unter freiem Himmel verfaulen. Sie haben die Ausrottung einer Spezies vorangetrieben. Zynischerweise können sie nicht einmal mehr Kapital aus ihrer Unternehmung schlagen. Denn inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Der Markt für Büffelfelle ist gesättigt, die letzten Tiere sind umsonst gestorben, ebenso wie ihre Schlächter umsonst gelitten haben. In Butcher's Crossing ist die Hochstimmung der Depression gewichen. Die Eisenbahn kommt zwar, doch die Strecke führt »knapp fünfzig Meilen nördlich an dieser Stadt vor­bei«. Und Will Andrews verzweifelt, als er erkennt, dass er mit Besessenen unterwegs war und sich dar­über selbst zu verlieren drohte.

Wie endet ein zünftiger Western? Der Held reitet »hinaus ins offene Land«, gen Westen, allein, die auf­ge­hen­de Sonne im Rücken. Doch Will Andrews »wusste nicht, wohin er unterwegs war; er wusste nur, es würde ihm später im Laufe des Tages schon noch einfallen.«

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2015 auf­genommen.


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Kommentare

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Zu »Butcher's Crossing« von John Williams wurden 1 Kommentare verfasst:

Beatrix Petrikowski schrieb am 10.09.2015:

Dieser Roman gehört auch für mich zu den großen Meisterwerken, obwohl mir schon an einigen Stellen recht mulmig wurde, wenn das Leiden der Tiere sehr anschaulich geschildert wurde. Aber die Geldgier der Handlungspersonen ist schon bezeichnend und macht nachdenklich.

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