Leichen im Blumenmeer - ein impressionistisches Gemälde
Die Bestsellerautorin Ann Cleeves hat für ihren Kriminalroman "Totenblüte" eine neue Figur erschaffen: Inspector Vera Stanhope von der Polizei Northumbria. Ihr Erscheinungsbild und ihr Charakter entsprechen gar nicht dem einer herkömmlichen Polizistin. Sie ist groß und massig, trägt schlabbrige Kleider, ihre Haare sind schlecht frisiert. Ohne Mutter ist sie ganz allein bei ihrem verrückten Vater Hector aufgewachsen, der sich mehr für seine Vogeleier sammelnden Kumpels zu interessieren schien als für seine "hässliche Tochter". So hatte sie weder jemanden, der ihr beibrachte, ihre "Schuluniform zu bügeln", noch ihr erklärte, was zu tun ist, wenn "die Periode" einsetzt. Die inzwischen Vierzigjährige wohnt in einem Bahnwärterhäuschen, und der Alkohol lässt sie vieles besser ertragen. Dass sie auf Fremde trottelig wirkt, kann man sich gut vorstellen. Mit dunkler, schroffer Stimme setzt sie gerne ein "Herzchen" ans Ende einer persönlichen Frage. Doch dass sie sich in ihrem Metier gut auskennt, beweist sie in ihrem ersten Fall.
Als Julie Armstrong sturzbetrunken nach Hause kommt, findet sie ihren Sohn Luke regungslos in der Badewanne liegen. Die Spurensicherung stellt Tod durch Erwürgen fest. Viele Blumenblüten schwimmen auf dem Wasser. Es sieht so aus, als sei der Tote Teil einer Inszenierung.
Veras Aufklärungsarbeit, unterstützt durch ihren Kollegen Joe Ashworth, geht nur zäh voran. Sie befragt viele Personen, die im Umkreis von ca. zehn Kilometern leben. Neben den offensichtlichen Beziehungen (verwandt, befreundet, bekannt oder Nachbar) gibt es Begegnungen, an die man sich nicht erinnern kann oder will. Vera bleibt hartnäckig, sie findet Kontaktpunkte wie z.B. Exbeziehungen, heimliche Liebschaften, Begegnungen während der Schulzeit oder im Krankenhaus. Eine Clique von vier frustrierten, verkorksten Käuzen verbindet ein gemeinsames Hobby: Sie treffen sich regelmäßig im Naturschutzgebiet, um Vögel zu beobachten. Sie wirken sicher und aalglatt. Doch Inspector Vera Stanhope lässt sich nicht täuschen und knöpft sich diese Gruppe besonders vor. Sie sind zu verschieden, um wahre Freunde zu sein. Haben sie etwas vor den anderen zu verbergen? Peu-à-peu erfährt der Leser immer mehr über alle Betroffenen, und deren Fassade bröckelt. Jeder hat sein "Päckchen zu tragen" – der eine mehr, der andere weniger.
Menschen, die mit ihrem Schicksal hadern oder psychisch krank sind, analysiert die Autorin messerscharf. Das ist die Stärke des Romans. Der Leser will wissen, wie sich die Personen verhalten. Er bleibt "am Ball" und wartet auf Hinweise, die auf einen Täter schließen lassen. Bis zum Ende ahnt man nicht, wer der Mörder ist und welches Motiv ihn getrieben hat.
Ein guter Start in eine neue Krimiserie – denn es sollen weitere Romane mit der kauzigen Vera Stanhope folgen.