Rezension zu »Wir dachten, das Leben kommt noch« von Elisabeth Sandmann

Wir dachten, das Leben kommt noch

von


Die deutsche Autorin Elisabeth Sandmann erinnert an fast vergessene britische Heldinnen: die Frauen einer Einheit, die in Frankreich insgeheim gegen die deutsche Besatzungsmacht kämpfte und dabei ihr Leben riskierte. Eine Journalistin geht den wenigen Spuren dieser Frauen nach, die sich bis heute ihrem Schweigegebot verpflichtet fühlen.
Belletristik · Piper · · 384 S. · ISBN 9783492073677
Sprache: de · Herkunft: de

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Späte Würdigung

Rezension vom 03.12.2025 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die deutsche Autorin Elisabeth Sandmann hat nach ihrem Studium der Lite­ratur­wissen­schaft und Erfah­run­gen im Verlags­wesenim Jahr 2004 den Elisa­beth Sand­mann Verlag ge­grün­det. Ihren Schwer­punkt legt sie auf »Schöne Bücher für kluge Frauen«. Die Arbeit als Ver­lege­rin allein genügt ihr aber nicht. Sie möchte sich selbst als schrei­bende Lite­ratin bewei­sen. So erschien 2015 in ihrem eige­nen Verlag »Der gestoh­lene Klimt: Wie sich Maria Alt­mann die Gol­dene Adele zurück­holte« und 2023 ihr Roman­debüt »Porträt auf grüner Wand­farbe«, das zum Best­seller wurde.

In ihrem zweiten Roman »Wir dachten, das Leben kommt noch« erzählt die Autorin von briti­schen Frauen, die im zweiten Welt­krieg als Agen­tin­nen ins von Deutsch­land besetzte Frank­reich entsandt wurden. Nun möchte eine Stiftung ein Buch heraus­bringen, in dem den selbst­losen Frauen, die bei den Ein­sätzen ihr Leben ris­kier­ten, eine längst über­fällige Würdi­gung erwiesen werden soll. Die fiktio­nale BBC-Mode­rato­rin Gwen­do­lyn Farleigh (»Gwen«) wird mit der his­tori­schen Re­cherche beauf­tragt und begibt sich 1998 nach Paris, um die Suche nach den wenigen noch lebenden Zeit­zeugin­nen zu in­ten­sivie­ren.

Gwendolyn Farleigh hat auch per­sön­liche Ver­bin­dun­gen zu ihrem Auf­trags­thema. Ihre Groß­mutter, die Gräfin Ilsabé von Isolani, eine extra­vagante, gla­mou­röse, welt­ge­wandte Dame, lebte in den Kriegs­jahren 1941 bis 1943 in Paris und betrieb in ihrer Wohnung ihren »Salon Isolani«. Dort sind auch feine Damen aus Deutsch­land gern zu Gast – Ehe­frauen von Gene­rälen, Elite-Be­amten, Indus­trie­baro­nen. Doch während im Salon »hoch­rangige Ver­treter und Profi­teure eines Ver­brecher­regimes« die Ver­anstal­tungen ent­spannt ge­nießen, bietet die Gräfin einer jungen Frau aus der Wider­stands­bewe­gung (der Tochter der Con­cierge) einen Unter­schlupf in einer Putz­kammer des Hauses. Sollte das Versteck ent­deckt werden, müssen beide mit Ver­haf­tung, Folter und Tod rechnen. Trotz ihrer Wut auf die über­heb­lichen Deut­schen über­nimmt die junge Lilou bei den Gesell­schaf­ten kleine Hand­rei­chun­gen, denn sie kann genug Deutsch, um Ge­sprächs­fetzen zu ver­stehen. Infor­matio­nen über geplante Aktionen der Besatzer gibt sie dann an ihren Bruder, einen aktiven Wider­ständ­ler, weiter.

Zu ihrer Familie pflegte Gräfin Ilsabé wenig Kontakt. Ihrer Enke­lin Gwen verriet sie kaum ein Wort über ihre ge­fähr­lichen Unter­neh­mun­gen zu Kriegs­zeiten. Und auch Gwen ent­wickelt erst spät Inter­esse daran, die Groß­mutter mit dem schil­lern­den Cha­rakter nach ihrem be­mer­kens­wer­ten Lebens­wandel und den ge­fähr­lichen Jahren in Frank­reich zu befragen. Doch die ist in ihrer Ge­sprächs­bereit­schaft wankel­mütig. Erst mit der Idee, sie Kas­set­ten be­sprechen zu lassen, ent­steht ein Schatz an Mate­rial, der später von großem Nutzen für Gwens Projekt ist. Dann erst erkennt sie die Bedeu­tung einer längst ver­gesse­nen Auf­forde­rung, die die Groß­mutter ihr kurz vor ihrem Tod ans Herz legte: »Fahr nach Paris und schau, ob Lilou noch lebt.«

Die Handlung dieses Buches spielt auf mehreren Zeit­ebenen, und die erzähl­ten Inhalte sind von unter­schied­lichem Gewicht. In der Jetzt­zeit wird unter­halt­sam und detail­reich Gwens Privat­leben aus­ge­breitet. Die größten Rollen spielen darin ihr getrennt leben­der Mann Bal­thasar, ihre quir­lige Tochter Ruth, Tanten und gut be­freun­dete Kolle­ginnen. Da er­fahren wir bei­spiels­weise, dass die dis­kus­sions­freu­dige Ruth gern ein mo­dernes Mobil­telefon hätte und dass die BBC seit ihrer Grün­dung ganz fort­schritt­lich auch Frauen ein­stellte.

Die Geschichte einer anderen Familie wird parallel dazu ent­faltet. Claudine Conway ist Fran­zösin, ihr Mann Officer der Navy. Sie haben drei Kinder, Pat, Victor und Simone, von deren Jugend auf dem Lande in Devon wir zu­nächst in Rück­blenden erfahren. Als am 3. Sep­tem­ber 1939 Groß­britan­nien (und wenige Stunden später auch Frank­reich) dem Deut­schen Reich den Krieg erklärt, wendet sich das Schick­sal aller. Victor wird Soldat und stirbt 1944 in der Nor­man­die. Simone wird dem Women’s Royal Naval Service (»Wrens«) zuge­teilt, einem Teil der Abwehr. Pat kümmert sich zu­sam­men mit ihrer Mutter um eva­kuierte Kinder. So schwer die Zeiten sind, können sie doch keines­wegs Rivali­täten, Ani­mo­si­täten, Eifer­süchte­leien und der­gleichen ver­drängen, etwa als Simone in fescher Uni­form der Familie einen Besuch ab­stattet.

Gemäß seinem Motto »Steckt Europa in Brand!« gründet Churchill 1940 eine Spezial­einheit im Kampf gegen die Nazis, für die erstmals auch Frauen heran­ge­zogen werden: die Special Opera­tions Exe­cutive (SOE). Diese Elite­truppe soll die deut­schen Besatzer vor Ort in Frank­reich zer­mürben und ihnen durch Sabo­tage schaden. Die jungen Eng­lände­rinnen mussten perfektes Fran­zö­sisch beherr­schen und absolut zuver­lässig, kompe­tent und eigen­ständig handeln können. Besonders schwierig gestal­tete sich ihr Einsatz, wo sich ein Großteil der ein­heimi­schen Bevöl­kerung mit den Deut­schen arran­giert hatte. Wem konnten die Frauen dann trauen?

Nach Ausbildung, hartem körper­lichem Training und einem Eid zur Geheim­haltung wird Pat eine der 39 Agen­tinnen, die under­cover und mit neuer Iden­tität im Schatten­krieg auf fran­zösi­schem Boden gegen Hitler kämpfen wird. Aus Pat Conway wird »Emma Fleury«, Fun­kerin für die nach­richten­dienst­liche Spezial­einheit.

Die Verpflichtung zur Ge­heim­haltung kriegs­wich­tiger Aktivi­täten prägt Pat – ebenso wie ihre Gefähr­tinnen – noch lange nach Kriegs­ende, als sie längst ein zurück­gezo­genes Leben in Devon führt, nun wieder Pat Conway und über siebzig Jahre alt. Der Brief einer Stif­tung, der »um Mit­hilfe bei der Auf­arbei­tung der Ein­sätze und Erleb­nisse der SOE-Vete­ra­nin­nen« bittet, unter­zeichnet von der Journa­listin Gwen­dolyn Farleigh, bricht bei ihr ver­drängte Er­inne­rungen und Schuld­gefühle auf.

Elisabeth Sandmanns Roman ähnelt in seiner Struktur einem unregel­mäßig gefloch­tenen Zopf ohne straffe Zu­sammen­bindung. Der interes­san­teste und packend­ste zentrale Hand­lungs­strang wird zwar durch sein Thema – die hoch­gefähr­lichen SOE-Aktivi­täten – zu­sammen­gehalten, doch die unter­schied­lichs­ten Er­zähl­gegen­stände und -situa­tionen frag­men­tieren ihn. Diverse Prota­gonis­tinnen/Er­zäh­lerin­nen (Pat, Simone, die Gräfin, Gwen …) führen uns auf ihren Spuren in ver­schie­dene Situa­tionen und lösen einander, Cliff­hanger hinter­lassend, ab. Das ist kunstvoll arrangiert, bremst aber die Ein­gängig­keit und das Inter­esse an den eigent­lichen Tätig­keiten der Agen­tinnen. So erzählt etwa Pat in meh­reren Episoden von ein­dring­lichen Ge­sprächen mit einer guten Freundin, die in Bletchley Park an der Ent­schlüsse­lung deut­scher Codes mit­ge­arbeitet hatte – und mitten­drin muss sich Gwen mit Ruths Handy­wünschen aus­ein­ander­setzen …

Im Agentinnen-Strang brilliert die Autorin trotz solcher Brüche. Sie ent­hält sich jeg­licher Spionage­thriller-Romantik, erzählt sachlich, was die Frauen leis­teten und welche Schwierig­keiten ihnen be­gegne­ten. Trotz inten­siver Vorbe­reitung auf alle mög­lichen Gefahren konnten Folter und Lager­haft jeder­zeit ihr Leben gefähr­den. Denun­ziation, um sich persön­liche Vorteile zu ver­schaffen, kam selbst in den eige­nen Reihen vor. Manch gewagte Aktion hätte durch­aus noch inten­siver ge­schildert werden können. Anderer­seits muss man der Autorin zugute­halten, dass sie uns mit expli­ziten Bruta­litäten verschont.

Dagegen sinkt der ansonsten so lesens­werte Roman mit Gwens breit­getre­tener Fami­lien­ge­schichte auf das Niveau besserer Unter­haltungs­ware.

Ob Lilou noch lebt, erfahren Gwen und wir erst viele Seiten später, wie die Hand­lung, die auch die Befreiung durch die Alliier­ten und Aktio­nen in der Nach­kriegs­zeit umfasst, natür­lich noch etliche Über­raschun­gen bereit­hält. Weitere Fakten zu den SOE agents gibt uns die Auto­rin in einem Nach­trag »Was damals wirklich geschah«.

Elisabeth Sandmanns Roman »Wir dachten, das Leben kommt noch« ist absolut lesens­wert. Die geschickte Erzähl­weise mit auf­regen­der Hand­lung und Cliff­hangern am Ende vieler Episoden erhöhen die Spannung, die sich bis zum Schluss unglaub­lich steigert. Dialoge, detail­reiche Be­schrei­bungen und ein paar Spritzer Humor (selbst in gefähr­lichsten Situa­tionen) schaffen ein rea­litäts­nahes, authen­tisches Bild der Menschen in Zeiten größter Be­drohung für Leib und Leben. Im letzten Absatz appel­liert die Autorin, dass »Freiheit und Demo­kratie« das höchste Gut seien, für das man im Ernst­fall kämpfen sollte. Des­wegen seien die SOE-Agen­tinnen »zu einem un­ver­gess­lichen Vorbild geworden«.


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