Rezension zu »Smiley« von Nick Harkaway

Smiley

von


Agenten-Thriller mit Retro-Flair. Britischer Anti-Bond soll obskuren Ungarn aufstöbern. Sorgfältig, detailreich und sogar amüsant erzählte europaweite Jagd, hin und her unter dem Eisernen Vorhang hindurch. John Le Carrés Sohn führt dessen Geschichte vom Spion aus der Kälte auf ebenbürtige Weise fort.
Spionagethriller · Ullstein · · 368 S. · ISBN 9783550203084
Sprache: de · Herkunft: gb

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen. Sofern Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch

Ein anständiger Spion

Rezension vom 04.08.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Einen Spionageroman zu lesen, der in der Zeit des »Kalten Krieges« spielt, könnte bei etlichen Lesern geradezu wohlige Nos­talgie­gefühle wecken, wie wenn man in einen ehr­würdi­gen Oldtimer steigt. Um im Bild zu bleiben: Statt Navi, Sicher­heits­assis­tenten und Touch­screen-Steue­rung hatten Auto­fahrer vor sechzig Jahren ein Lenkrad, drei Pedale und ein paar Knöpfe am Arma­turen­brett, um ihr Fahrzeug voran­zu­treiben, aber das konnte durchaus elegant, sport­lich, bewun­derns­wert sein. Der Spion hatte damals allen­falls ein paar hand­werk­liche Meister­stücke wie winzige Kameras und Ton­band­geräte bei sich, war im Einsatz aber auf sich selbst ange­wiesen, musste sich geschickt tarnen und bewegen, körper­lich auf alles gefasst sein. Heut­zu­tage stehen den Geheim­diens­ten welt­um­span­nende Netze, Satel­liten, Drohnen, Com­puter, Künst­liche Intelli­genz und aller­lei Cyber-Zauber zur Verfügung, die jeden Flecken der Erde Tag und Nacht im Blick haben und im Home-Office befragt werden können. So ähnlich stellt sich jeden­falls das Bild dar, das uns Normal­bürgern in Literatur und Film vermit­telt werden sollte bzw. soll. Gleich geblieben ist die Bruta­lität des Wett­kampfes und die Skrupel­losig­keit, mit der man in diesem Be­täti­gungs­feld über Leichen geht.

Nun ist 2024 ein britischer Spionage­roman er­schie­nen, der an die Glanz­zeiten dieses Genres an­knüpft, und das sozu­sagen aus beru­fener Feder. Sein Autor ist Nick Harka­way, der Sohn von John Le Carré (beides sind Künstler­namen). Letzterer schöpfte für seine Agenten­thriller aus dem Wissen, das er während seiner jahre­langen Tätig­keit für die briti­schen Geheim­dienste MI5 und MI6 gesam­melt hatte, bevor er sich zurück­zog. Sein jüngster Sohn, 1972 geboren, ver­spürte in sich eine Art Ver­mächt­nis, und so ent­schloss er sich, George Smiley, die Haupt­figur aus »Der Spion, der aus der Kälte kam«, dem wohl be­kann­testen Werk seines Vaters, wieder aufleben zu lassen. »Smiley« (Original­titel »Karla’s Choice«, über­setzt von Peter Torberg) ist aber sicher auch eine liebe­volle Hommage an seinen im Dezember 2020 ver­storbe­nen Vater.

»Smiley« beamt uns zurück in die Sech­ziger­jahre. Die welt­poli­tische Lage war über­sicht­licher als heute. Zwei Lager standen einander unver­söhn­lich in feind­lichem Wett­kampf gegen­über: West und Ost, die »freie Welt« und die kom­munis­tischen Dikta­turen, getrennt durch den »Eiser­nen Vorhang«. Der war am sicht­bars­ten im ge­teilten Berlin mit seiner Mauer. Wer sie von Osten her zu über­winden ver­suchte, setzte sein Leben aufs Spiel. Der berühm­teste offizielle Durch­lass war der mit Schran­ken, Barrie­ren und Schützen ge­sicherte »Check­point Charlie«. Hier durften wenige Privile­gierte nach strenger Kontrolle in den anderen Teil der Welt passieren.

Wer John Le Carrés Klassiker (oder seine Verfil­mung) kennt, ist vertraut mit den Prota­gonis­ten wie Haydon und Ester­hase, mit dem »Circus«, wie sie den briti­schen Geheim­dienst ironisch bezeich­nen, und mit der eisigen Atmos­phäre des »Check­point Charlie«. Genau hier nahm die letzte Mission der beiden ein tragi­sches Ende, als ihr Agent Alec Leamas, der im Osten einge­setzt und ent­tarnt worden war, er­schos­sen wurde.

Die Handlung in Nick Harkaways fiktio­naler Fort­führung setzt 1963 ein, also zwei Jahre nach »The Spy who came in from the Cold«. Das Desaster um Alec Leamas lastet noch schwer auf »Control«, so der Deck­name des Chefs des briti­schen Aus­lands­geheim­diens­tes, und überdies hat sich George Smiley, sein bester Mann, in den Ruhe­stand davon­gemacht. Schon über fünfzig Jahre alt und von nicht sonder­lich attrak­tivem Äußeren, will sich Smiley jetzt noch ein erfülltes Leben ein­richten, indem er sich ganz seiner gelieb­ten Ehefrau Lady Ann Ser­comb widmet. Leider zeigt sich bald, dass nicht nur sein Chef, sondern auch die lebens­lustige Lady Ann und das Schick­sal ihm diese Art von Glück nicht vergönnen.

Denn »Control« hat gerade eine harte Nuss zu knacken und traut nie­mandem anders als Smiley zu, diese Aufgabe zu lösen. Wie noch oft in diesem Roman breitet der Autor einen Neben­hand­lungs­kom­plex mit einer ganzen Reihe von Perso­nen aus, ehe er den Haupt­hand­lungs­strang fort­setzen kann.

László Bánáti, ein Jahrzehnt zuvor aus Ungarn ent­kommen, führt seither einen kleinen Lite­ratur-Verlag in London. Auch seine Mit­arbei­terin Susanna Gero, 23, hat sich als Sech­zehn­jährige auf höchst gefähr­lichen Wegen zu Fuß über die Grenze von Ungarn nach Öster­reich durch­geschla­gen. In London hat ihr ihr gleich­gesinn­ter Lands­mann, der mehr schweigt als redet, beige­standen, Zuflucht gegeben, das ver­räteri­sche »Z« aus ihrem Taufnamen (»Zsuzsanna«) entfernt.

Eines Tages stand ein eigenartiger Mann vor der Tür des Verlages und stellte sich unter allerlei merk­wür­digen Erläu­terun­gen als »Miki« vor. Auf Befehl des Kommi­tees für Staats­sicher­heit der UdSSR solle er Mr. Bánáti töten, auf einen Wink Gottes hin wolle er aber kein Mörder mehr sein. Was sollte das, fragte sich Susanna. War das ein Sonder­ling? Ein russi­scher Spion? Ein Über­läufer? Ein Flücht­ling wie sie und Mr. Bánáti? Dieser musste jedoch eine dro­hende Gefahr geahnt haben, hatte recht­zeitig seine Koffer gepackt und war ver­schwun­den. In ihrer Rat­losig­keit wendet sich Susanna an eine Dame mit Verbin­dungen zum »Circus«, die ihr in ihrer briti­schen An­fangs­zeit geholfen hatte.

Über diesen inhaltlichen Parforce­ritt (durchaus entspannt erzählt) sind wir endlich ins Zentrum der briti­schen Spionage gelangt, wo in der Tele­fon­zen­trale die Drähte heiß­laufen. László Bánáti ist unauf­find­bar, die Causa Michail Bortnik (»Miki«) schreit nach Auf­klärung, Anord­nung und Aktion, »Control« ist in Aufruhr und George Smiley außer Dienst.

Nach allem, was man beim »Circus« und beim amerika­nischen Bruder­dienst weiß, war László Bánáti weder mit Sowjets noch mit Wider­ständ­lern in Kontakt, sondern ein unbe­deuten­der, unpoli­tischer Flüchtling, der einfach sein harm­loses privates Leben lebt. Bei den Recher­chen stößt man auf uralte Fotos aus dem Mos­kauer Hotel Turmalin, nach dem zweiten Weltkrieg ein Flucht­ort linker Emigran­ten. Nach ihrer Zeit in dem ver­meint­lich sicheren Unter­schlupf ver­schwan­den sie in Aus­bil­dungs­lagern, nahmen neue Iden­titäten an, erfanden sich neue Lebens­ge­schich­ten. Und darunter, sieht man jetzt, war auch der Ungar László Bánáti unter seinem ur­sprüng­lichen Namen Ferenc Róka. Der hatte sein Leben dem Kampf gewid­met, erst im Spani­schen Bürger­krieg, später gegen ungari­sche Juden (»Pfeil­kreuzler«) in den Straßen von Buda­pest. »Control« beauf­tragt Smiley, Róka zu finden, doch der ist nicht willens, dem Folge zu leisten. Denn er hat nicht nur seinen Ruhe­stand mit der lieb­reizen­den Ann vor Augen, sondern auch das blutige Ende von Alec Leamas noch im Sinn, der in Ost-Berlin Hans Dieter Mundt, den »bis­sigs­ten Köter der Stasi«, erle­digen sollte und dann von eben­diesem abge­fangen und getötet wurde.

Doch zwei Tage später knickt Smiley ein. Es folgt ein auf­regen­des Hin und Her zwischen den Blöcken nach Berlin, Wien, Buda­pest, London und Portugal, wobei die Grenz­passagen mit falschen Pässen uns und den Agenten beson­deren Thrill im faszi­nieren­den Plot bringen. Sekre­tärin Susanna ist dabei stets an Smileys Seite.

Nick Harkaways Roman fordert uns Leser in unge­wöhn­licher Weise heraus. Der zentrale Plot ist stringent ent­wickelt, leicht verständ­lich, plausibel und wen­dungs­reich verfasst, doch wie der Autor ihn mit einem kom­plexen Geflecht von Hand­lungs­strängen und atmos­phärisch dichten Szenen bereichert, ist eine wahre litera­rische Leistung. Unzäh­lige Figuren mit Tarn- und/oder realen Namen (auch »Karla« aus dem Ori­ginal­titel ist ein Deck­name), ihre Funk­tionen als Agenten oder Doppel­agenten, ihre Zuge­hörig­keiten zu diesem oder jenem oder beiden ver­feinde­ten Systemen, der Grad ihrer Soli­darität – all das sind Elemente von Harka­ways Ver­rätse­lung nach dem Motto »Die Opera­tion ist eine Hummer­falle; hinein ist leicht, hinaus nicht«. Ins­beson­dere Susanna be­ein­druckt durch ihren inne­ren Zwie­spalt zwischen Zweifel und Tatkraft in der Männer­domäne der Spionage­welt. Die Erzähl­weise besticht unter anderem dadurch, dass sie trotz oft lebens­bedroh­licher Risiken im doppel­bödigen Katz-und-Maus-Spiel mit pfiffiger Ironie und Komik gespickt ist. Oder ist es die Rea­lität der Agenten­welt selber, die ge­legent­lich lächer­lich bis absurd erscheint? Hat man tat­säch­lich erörtert, wie Haar­schnitt und Kleidung eines Agenten über Erfolg oder Miss­erfolg einer Aktion ent­schei­den? Hat es sich wirk­lich als förder­lich er­wiesen, sich »wie ein Rüpel« aufzu­führen oder besser noch »als grob­schläch­tiger, lang­samer Denker« auszu­geben, wenn man in Ungarn als Ein­heimi­scher durch­gehen muss?.

»Control« schätzt seinen Mitarbeiter George Smiley aus guten Gründen. »Machen Sie es auf Smileys Art … Beweisen Sie allen gegen­über Anstand«, appelliert er an Smiley selber. Und dieser bleibt sich treu. Be­dächtig, fast träge geht er seine Opera­tionen an. Er will ein An­stän­diger, ein Gentle­man sein, auch wenn es schier unmög­lich ist.


War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Smiley« von Nick Harkaway
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch


Kommentare

Zu »Smiley« von Nick Harkaway wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top