Schwesterherz
von Anna von Planta [Hrsg.]
Dreizehn Varianten der unendlich vielfältigen Beziehungen zwischen Schwestern.
Ungewöhnliche Verwandte
Diese kleine Anthologie mit Erzählungen zum Thema »lebenslange Schwesternbande« erlebt bereits ihre zweite Edition. Die erste erschien im September 2018. Für die aktuelle Neuausgabe hat die Herausgeberin Anna von Planta einige wenige Autoren und ihre Geschichten durch neue ersetzt, und der Diogenes-Verlag hat das Buch zu einer kleinen, feinen Deluxe-Version mit Lesebändchen aufgewertet. Noch mehr als zuvor bietet sich das Büchlein, das in jede Handtasche passt, als Geschenk zwischen liebenden Schwesternherzen an.
Doch Vorsicht: Dies ist keine kitschige Geburtstagskartenlyrik mit launig verpackten Alltagsweisheiten und betulichen Sprüchen aus dem Poesiealbum, um Harmonie zu etablieren. Die beschenkte Schwester muss schon von ihrer individuellen Befindlichkeit abstrahieren können und einen Sinn haben für ein Präsent, das ihr keine persönliche Botschaft übermittelt, sondern mögliche Spielarten eines ganz speziellen Typs von Verwandtschaftsbeziehungen illustriert.
Zwischen den stabilen Buchdeckeln sind auf fast 350 Seiten dreizehn Geschichten abgedruckt. Sie stammen fast alle aus dem 20. Jahrhundert und wurden von bekannten Größen englisch-, französisch- und deutschsprachiger Literatur geschrieben. Fünf der acht Autorinnen und vier der fünf Autoren leben noch. Die Erzählungen führen uns vor Augen, wie vielfältig sich das Verhältnis zwischen Schwestern entwickeln kann. So unterschiedlich wie die inhaltliche Ausprägung zwischen heiteren und tragischen Plots, so abwechslungsreich ist die literarische Gestaltung der Erzählungen zwischen nüchternem und gefühlvollem Ton, zwischen Dekor und Sachlichkeit, zwischen Klartext und subtiler Ironie.
Stellvertretend für das breite Spektrum seien hier nur drei Geschichten vorgestellt.
In »Liebe Schwester« beschreibt die 1937 in Wien geborene Renate Welsh mit spitzer Feder eine komplizierte Beziehung zwischen Zuneigung, Boshaftigkeit, Rivalität, Routine und Abhängigkeit. Josefa (»Sefa«) und Karla, beide verwitwet, wohnen seit Langem in der ehemaligen elterlichen Wohnung in einem wohlhabenden Wiener Bezirk. Sie sind einander in vielen Kleinigkeiten ähnlich, ein über die Jahre eingespieltes Team und im Alltag aufeinander angewiesen, das wissen sie genau. Obwohl beiden Damen das Alter in den Knochen steckt, will keine Schwächen erkennen lassen, und beide genießen es, wenn sie der anderen einmal wieder eins auswischen können. Sefa ist belastbarer und reibt Karla gerne hin, was sie leistet. Statt Anerkennung erntet sie jedoch die bissige Unterstellung, Sefa fühle sich doch glücklich als Märtyrerin. Umgekehrt fehlt der pragmatischen Sefa jedes Verständnis für Karlas Vorliebe, sich stilvoll auszudrücken. Unterschiedliche Empfindungen und alte Eifersüchteleien kommen auch hoch, wenn sie sie sich an ihre Kindheit und ihre Eltern erinnern. So kabbeln sie sich den lieben langen Tag, um sich des Abends wieder zu versöhnen: »Sie umarmten einander, als wären sie monatelang getrennt gewesen.«
Einen ganz anderen, zu Herzen gehenden Tenor hat die Auftaktgeschichte »Meine Schwester Kate«, in der Jodi Picoult eine ethische Extremsituation konstruiert. Die Kinder Kate und Jesse sind das ganze Glück ihrer Eltern – bis Kate an Leukämie erkrankt und nichts mehr ist, wie es einmal war. Keine der Operationen und Therapien, die fortan den familiären Alltag bestimmen, kann Kate retten. War es da nicht eine weise Vorkehrung, dass die Eltern dreizehn Jahre zuvor dem ärztlichen Rat gefolgt sind und ein genetisch maßgeschneidertes Retortenbaby gezeugt haben? Sie nannten das lebende Ersatzteillager Anna, und längst weiß das Mädchen Bescheid, dass es nur »zu einem bestimmten Zweck geboren wurde«. Aber natürlich entwickelt es einen eigenen Willen und beschreitet Wege, ihn durchzusetzen. Andererseits stehen Anna und Kate einander sehr nahe, und beide wollen für die andere nur das Beste.
Die Verfasserin des ältesten Texts ist Jane Austen (1775-1817), die anerkannte Meisterin des süffisant-satirischen Spiels mit subtilen familiären Beziehungen und sozialen Konventionen ihrer Gesellschaft. In »Die drei Schwestern« lesen wir von den Verwirrungen, die der Heiratsantrag des wohlhabenden Mr Watts an Mary Stanhope auslöst. Zwar wäre sie als seine Gemahlin versorgt – eine wichtige Sicherheit für Frauen der damaligen Zeit –, aber sie liebt den wenig attraktiven Mann nicht. Würde sie das Arrangement ablehnen, könnte er hingegen eine der beiden jüngeren Schwestern wählen – eine soziale Niederlage, die sie nicht ertragen könnte. Was vielleicht als aus der Zeit gefallene Thematik erscheinen mag, ist in Teilen durchaus vorausschauend. Mary verhandelt erstaunlich selbstbewusst ihren Vorteil heraus, und auch die literarische Form ist beeindruckend: Die Erörterung der Optionen und Vorstellungen – teils kühn und ungewöhnlich, teils boshaft – wird in dieser Erzählung nicht unter den handelnden Personen ausgetragen, sondern in vier Briefen an Freundinnen berichtet.