Rezension zu »Desolation Hill« von Garry Disher

Desolation Hill

von


Constable Paul Hirschhausens Revier im unwirtlichen australischen Hinterland ist riesig und doch keine große Sache. Die wenigen Bewohner leben weiträumig verstreut und geben nicht oft Anlass zu polizeilichem Eingreifen – manche benötigen eher menschlichen Beistand. Die Corona-Schutzverordnungen regeln den Alltag und spalten die Bevölkerung. Als ein Mordfall auftaucht, übernehmen die Fachleute aus Adelaide.
Kriminalroman · Unionsverlag · · 346 S. · ISBN 9783293005990
Sprache: de · Herkunft: au

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Der gute Mensch von Tiverton

Rezension vom 19.04.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Der Protagonist Paul Hirschhausen, genannt »Hirsch«, vielen Lesern bereits aus drei Romanen bekannt, ist ein guter Mensch, aber leider haben das nicht alle, mit denen er im Leben zu tun hatte, ver­standen. Ein beruf­licher Tief­schlag erwischte ihn, als er degra­diert und in die Einöde versetzt wurde. Jetzt fristet er sein Dasein in einer Ein-Mann-Dienst­stelle als eine Art mobiler Streifen­polizist. Alle Tage verlaufen gleich und doch jeder anders. In seinem klapp­rigen Toyota-Hilux-Pickup fährt er ein paar hundert Kilometer in die eine Richtung und am Tag darauf in die andere, sieht nach dem Rechten und hört sich an, was ihm die ver­sprengt lebenden Menschen an Sorgen und Nöten anver­trauen bzw. ent­gegen­schleu­dern, denn nicht immer ist er gern gesehen.

Tiverton, sein Dienstort, hat selbst und in weitem Umkreis absolut nichts zu bieten außer einem trost­losen Hügel, dessen unbe­deu­tende Höhe immerhin einen Rundblick erlaubt. Bis zum Horizont erstreckt sich in alle Rich­tungen Ein­tönig­keit ohne Reize und ohne Lebens­zeichen: eine ocker­rote Stein­wüste mit bedürf­nis­losem Busch­werk, Gestrüpp und ein paar ver­trock­neten Wild­blumen. Was ins Auge fällt, sind allein die riesigen Umrisse eines mythi­schen Raub­vogels, die ein Farmer in das Flachland gefurcht hat (nach Ansicht der erbosten Abori­gines eine unver­schämte kultu­relle Aneig­nung). Moderne Zivili­sation findet man auf gigan­tischen Farmen wie der der Familie Dryden, über 200.000 Hektar mit Landebahn, eigenem Flugzeug, einer Mann­schaft von emsi­gen, robus­ten Mit­arbei­tern und umgeben von einem kilo­meter­langen Zaun.

In diesen Weiten also ereignen sich krimi­nelle Zwischen­fälle aller Art, mit denen sich Hirsch zu befassen hat, und irgendwo ist immer etwas im Argen. Hier wurde ein wert­volles Zucht­tier er­schos­sen, dort Spreng­stoff gestohlen, anders­wo ein Super­markt über­fallen oder in einem indi­genen Kultur­zentrum einge­brochen. Nicht einmal in seinem eigenen Polizei­revier findet Hirsch Frieden. Seine neue Aus­hilfs­ange­stellte und ihr Freund veröf­fent­lichen rassis­tische Hetz­videos im Internet.

Für große Sachen reisen freilich die arro­ganten Fach­kolle­gen höheren Ranges aus Adelaide an, zum Beispiel als am Straßen­rand ein Koffer mit ent­setz­lichem Inhalt ge­funden wird. Es ist die Leiche eines brutal ge­töte­ten Mannes, und für so etwas traut man Hirsch nicht genü­gend Kompetenz zu. Miss­trauen begegnet dem Dorf­poli­zisten auch im Fall eines jungen belgi­schen Back­packers. Er hatte auf der Dryden-Farm seine Reise­kasse auf­füllen wollen, brannte dann angeb­lich mit einem jungen Mäd­chen durch und ver­schwand spur­los. Da flog sogar seine Mutter, eine Foren­sikerin, aus Brüssel ein, um selbst nach dem Rechten zu sehen.

Dishers Romane kommen ohne Action und Bruta­lität aus (obwohl durchaus Blut fließt). Vielmehr bestechen sie durch fein zise­lierte Land­schafts- und Per­sonen­be­schrei­bun­gen. Im Mittel­punkt steht der Prota­gonist, der ange­sichts seiner viel­fältigen Probleme und wenigen Befug­nisse oft mit sich hadert. Sein Bestreben ist, immer ein Guter zu sein und das Richtige zu tun, beruflich wie privat. Sein Lebens­stil ist einfach und diszi­pliniert. Er trinkt nicht, nimmt keine Drogen, läuft jeden Morgen seine Runde, um seine ange­knacks­te Psyche zu stabili­sieren. Die Wochen­enden verbringt er mit seiner Lebens­part­nerin, einer Lehrerin, und ihrer Tochter. Leider findet er auch bei diesen beiden keine sorgen­freien Stunden: An ihrer High­school greift Mobbing im Internet um sich.

Während seiner langen Fahrten über Land hat Hirsch die unter­schied­lichs­ten An­for­derun­gen zu erfüllen. Viele Menschen, die er aufsucht, sind einsam, krank, im gesell­schaft­lichen Abseits oder abgehängt. Bei ihnen kommt ihm zugute, dass Machotum ihm fremd, sein Wesen be­herrscht, sein Um­gangs­ton ein­fühl­sam ist. So kann er je nach Bedarf wie ein Sozial­arbei­ter, Psychi­ater, Kranken­pfleger, Rechts­berater oder auch ge­stren­ger Ord­nungs­hüter auf­treten. Kleine Vergehen versucht er mit Mini­mal­strafen aus der Welt zu schaffen.

Bei soviel Vorbildlichkeit ist nichts anderes zu erwarten, als dass Hirsch sich von Beginn der Pandemie an hinter sämtliche Schutz­maß­nah­men der aus­trali­schen Regierung stellt. Ge­wissen­haft setzt er seine Gesichts­maske auf und achtet stets darauf, die vorge­schrie­benen Abstände einzu­halten. Als die Drydens ein Schild mit der Auf­schrift »Unge­impfte sind hier will­kom­men« an ihren Zaun hängen, ist es vorbei mit gütigem Ver­stehen­wollen und behut­samer Abwä­gung. Wer die Regeln nicht brav befolgt, wird pauschal zum Idioten erklärt – und Hirsch behält zu seinem Glück für sich, was er wirklich denkt: »Zu dumm zum Leben«.

Garry Dishers vierter Hirschhausen-Roman hat bei mir einen sehr durch­wachse­nen Eindruck hinter­lassen. Als Krimi ist er nicht sonder­lich spannend, weil eher eine Sammlung kleiner Episoden. Offen­sicht­lich war dem Autor seine Gesell­schafts­ana­lyse in der Corona-Zeit vor­rangig. Ver­fasst im freud­losen Jahr 2022, steckt die Per­spek­tive aber noch tief in der damaligen Panik­atmos­phäre. Damit bleibt der Roman zu sehr seiner Zeit verhaftet. Hirsch, so stellt sich dessen Position für den Autor dar, ist über­zeugt, dass seine Regie­rung alles richtig macht und er ihre un­popu­lären Be­schlüs­se durch­setzen muss, egal was er oder andere Indivi­duen davon halten. Dabei kon­fron­tiert ihn der Autor gleich mit schwerem Geschütz: radikalen Ver­schwö­rungs­theore­tikern und einer para­militä­risch organi­sierten Neo­nazi­gruppe, die auch vor Mord nicht zurück­schreckt.

Disher konnte natürlich nicht voraus­sehen, wie sich aus Pflänz­chen pau­schaler Vor­ver­ur­tei­lung von Mit­men­schen mit anderen Argu­men­ten – in beiden Rich­tungen – weltweit unge­bremst inner­gesell­schaft­liche Spaltung ent­wickeln würde.

Heute gelesen, bringt das Buch nicht nur keine neuen Erkennt­nisse, sondern lässt schmerz­lich jede Spur davon ver­missen, was in den zwischen­zeit­lichen seriösen Be­mühun­gen um Auf­arbei­tung welt­weit an kriti­schen Er­kennt­nissen vorge­bracht wurde. Und wirklich bewältigt sind die Vorgänge von damals ja bis heute nicht.

Als Zeitzeuge, wie schrecklich manche Menschen und Regie­run­gen damals mit­einander umgingen, möchte ich im Jahr 2025 nichts mehr davon lesen, jeden­falls nicht in dieser vorder­gründi­gen Distanz­losig­keit und schon gleich nicht in einem Buch, von dem man sich leichte Unter­haltung ver­spricht. Die meisten der vielen kleinen Ereig­nisse darin sind damit garniert, wie die Perso­nen die Corona-Maß­nahmen aus­führen oder nicht, welche Haltung sie dazu vertreten und Ähn­lichem. Das bremst gewaltig den Lese­fluss, was für einen Krimi kontra­pro­duktiv ist. Wenn man so will, ist an diesem Ver­fahren nur eins gut: Disher macht deutlich, wo er steht in der viel­schich­tigen Corona-Frage. Das aber inte­res­siert mich herz­lich wenig.

So ist »Day’s End« (so der Originaltitel) in erzähle­rischer Hinsicht so gut gelungen wie die Vor­gänger­bände, Disher hält die zahl­reichen Erzähl­stränge souverän zusammen, und es gibt interes­sante Einblicke in Leben, Kultur, Land­schaft und Natur Austra­liens, aber unter­haltsam ist das Buch nicht so recht. Der von mir sehr ge­schätzte Über­setzer Peter Torberg hat im Großen und Ganzen wieder gute Arbeit geleistet und einen eingän­gigen, präzisen Stil ge­schaf­fen. Aller­dings unter­laufen ihm selt­samer­weise eine ganze Reihe von For­mu­lie­run­gen, die ma­nieriert, gestelzt oder einfach un­stim­mig wirken. Dennoch wird das Lesen mit der Zeit anstren­gend, und der perma­nent mah­nende Zeige­finger aus unguten alten Zeiten nervt jetzt einfach nur.


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