Rezension zu »Das Haus der Türen« von Tan Twan Eng

Das Haus der Türen

von


Penang, 1921: Hinter den gepflegten Fassaden einer britischen Kolonialvilla entfaltet sich ein stilles Drama aus gesellschaftlichen Ansprüchen, Erinnerungen, Enttäuschungen, Sehnsüchten, Schuldgefühlen, Ängsten und Zweifeln. Als der Schriftsteller William Somerset Maugham eintrifft, beginnt sich das vermeintlich stabile Gleichgewicht unter den Personen zu verschieben.
Belletristik · Dumont · · 352 S. · ISBN 9783755800187
Sprache: de · Herkunft: gb

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Bedrückende Geheimnisse und unerfüllte Leben hinter kolonialen Fassaden

Rezension vom 29.05.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Der Autor Tan Twan Eng, 1972 auf der Insel Penang vor der Westküste Malaysias geboren, ist hierzu­lande weit­gehend unbekannt, wie auch seine sub­tropi­sche Heimat. Die übt auf Europäer aller­dings seit jeher die Faszi­nation der Exotik aus. Ihre Ge­schichte weist eine Vielfalt wech­selnder kultu­reller Einflüsse auf: Inder, Chinesen, Araber, Portu­giesen, Nieder­länder und Briten. Die British East India Company übernahm das bedeu­tende Handels­zentrum in der Straße von Malakka im Jahr 1786; 1867 wurde Penang zur Kron­kolonie erhoben. Unter der »Pax Britan­nica« konnten die verschie­denen Ethnien – wie malai­ische Muslime, chine­sisch-stäm­mige Buddhis­ten, indische Sikhs – gewalt­frei zusam­men­leben. Großen Ein­fluss ge­wannen – neben der engli­schen Ober­schicht – die klüg­sten der hier geborenen »Straits-Chinesen«, die an briti­schen Univer­sitäten studiert hatten, in ihrer Heimat aber oft verachtet wurden, nicht zuletzt weil sie loyal hinter der briti­schen Krone oder in deren Diensten standen.

Die Romanhandlung basiert auf einem Mix aus historischer Realität und Fiktion, wie auch das Personal fiktive Charak­tere und berühmte Persön­lich­keiten zusam­men­bringt. Nukleus der Handlung um 1921 ist Casso­wary House, der Wohn­sitz der kulti­vierten Ober­schicht-Familie Hamlyn. Robert Hamlyn ist ein briti­scher Anwalt, der zuvor in Hongkong tätig war, bis der Boxer­auf­stand die Weißen aus China vertrieb. Kurz nach seiner Ankunft in Penang lernte der Vierzig­jährige eine junge Ein­heimi­sche aus einfachen Ver­hält­nis­sen kennen, die fast zwanzig Jahre jüngere Musik­lehrerin Lesley. Zwei Monate später heiraten die beiden und bekommen später zwei Söhne, James und Edward.

Als Gemahlin eines angesehenen Juristen führt Lesley ein völlig anderes Leben als zuvor. Den Alltag in Haus und Garten meistern im Wesent­lichen einhei­mische Arbeits­kräfte, und ihnen obliegt es auch, Fest­lich­keiten aus­zu­richten. Denn in ihrem Haus am Strand empfangen die Hamlyns Schau­spieler, Parla­ments­abge­ord­nete, Opern­sänger, Adlige und Schrift­steller (unter ande­ren auch Hermann Hesse).

So glamourös, von Sorgen ungetrübt und frei von schwerer Arbeit Lesleys Dasein scheinen mag, so wenig erfüllt es sie. Insbe­son­dere die Beziehung zu ihrem Mann hat über die Jahre an Inten­sität verloren. Nun plant Robert, der unter dem sub­tropi­schen Klima leidet, demnächst seine Bleibe nach Südafrika zu verlegen.

Doch zunächst hat der bekannte Schrift­steller William Somerset Maugham seinen Besuch ange­kün­digt. Robert kennt ihn aus alten Zeiten, als sie sich in London eine Wohnung teilten. Jetzt ist »Willie« mit seinem Sekretär, dem Ameri­kaner Gerald Haxton, unter­wegs in der Südsee und Fernost. Lesley sieht der Begegnung mit Ressen­timents entgegen, denn man munkelt, zwischen dem Künstler und seinem gut zwanzig Jahre jüngeren Begleiter bestehe ein engeres als das Arbeits­verhält­nis. Für die nach Ab­wechs­lung dürs­tende englische Ober­schicht ist so etwas ein hoch­attrak­tiver Stoff: Alle wollen den ge­feier­ten Mann sehen und hören.

Dabei hat der Autor ganz eigene Probleme. Er ist pleite und muss fürchten, dass sein ver­wöhn­ter Lover ihn verlassen wird, sobald er davon erfährt. Aus der Patsche helfen soll ein neuer Roman, der die Kasse rasch wieder füllen kann, doch fehlt es dem Verfasser noch an fas­zinie­ren­dem Material, und er leidet unter einer Schreib­blockade.

Welch glückliche Fügung für alle Betei­ligten, dass Gast­geberin Lesley binnen weniger Tage alle Vorur­teile abbaut und so viel Vertrauen zu »Willie« gewinnt, dass sie ihm eine sehr persön­liche, selbst vor Robert geheim­ge­hal­tene Ge­schichte offen­bart. Der Autor saugt ihre weit aus­schwei­fenden Enthül­lungen förmlich auf.

Schon als junge Frau hatte Lesley politi­sche und gesell­schaft­liche Themen auf­ge­schlos­sen verfolgt und heimlich Leseclubs inmitten von Chinesen besucht. Auf diese Weise geriet sie in den Bann eines charis­mati­schen Kreises von Rebellen gegen die chine­sische Kaiser­dynastie. Mit einem von ihnen traf sie sich wieder­holt im »Haus der Türen«. Ihre Beweg­gründe, sich auf diese Rendevous einzu­lassen, bleiben durchaus diffus, aber auch Robert spielt dabei eine Rolle.

Ein Thema, das Lesley zunehmend bewegt, ist die patriar­chale Vor­herr­schaft der Männer und ihre Gleich­gültig­keit gegenüber den Be­dürf­nis­sen der Frauen. Regel­mäßig reiste Lesley im Jahr 1910 zu den Sit­zungen eines Prozesses in der Haupt­stadt Kuala Lumpur, in dem ihre Freundin Ethel des Mordes an ihrem Verge­walti­ger angeklagt war. Lesley war von Ethels Unschuld überzeugt und wollte ihr beistehen. Das Interesse der Öffent­lich­keit mitsamt der Medien war groß, doch galt es weniger der Klärung des Tat­her­gangs als der Rolle von Ethels Ehemann und dem drohenden Verlust seiner gehobenen sozialen Stellung in Penang.

Wie sehr mochte jetzt Somerset Maughams Ehefrau Syrie, allein in London zurück­ge­las­sen, unter der langen Ab­wesen­heit ihres Gemahls leiden, während er seinen Ruhm und seine Be­zie­hung opulent aus­lebte? Und schließ­lich hatte auch Lesley in ihrer Ehe oft genug unter Ver­nach­lässi­gung zu leiden. Hat nicht auch sie ein Recht, sich zu nehmen, was ihr als Frau zusteht? Doch welche Wahl­mög­lich­kei­ten hat sie in ihrer Gesell­schaft, in ihrer Position?

So verquicken sich sehr persönliche Ge­schichten eng mit den politi­schen Ent­wick­lun­gen der Zeit. Vor allem Lesley Hamlyn gerät durch ihre Nähe zu den chinesi­schen Rebellen in Milieus, die mit ihrer gesell­schaft­lichen Position unver­einbar sind. Sie ent­wickelt sich, indem sie mutige, eigen­ständige Ent­schei­dun­gen trifft, un­kon­ven­tio­nelle Wege geht, ohne ihre Pflichten zu verraten, zu einem ein­drucks­vollen, ambi­valen­ten Charakter. Durch ihre uner­war­tete Öffnung gegen­über dem illustren Gast und ihre sehr privaten Enthül­lungen ihm gegen­über nimmt dieser bedeu­tende Schrift­steller eine weitere interes­sante Position im Roman ein. Lesley liest alle seine bisher ver­öffent­lich­ten Bücher – oft »Ge­schichten … um Treu­losig­keit und un­glück­liche Ehen«. Äußerlich durchaus selbst­bewusst wirkend, erweist sich der Schrift­steller als komplexe Persön­lich­keit in einer Lebens­krise.

Tan Twan Engs Roman »The House of Doors« (2023 erschie­nen) ist ein geradezu über­wälti­gend reiches und berei­chern­des Werk. In der Über­setzung von Michaela Grabinger lebt vor unserem inneren Auge eine fremde Welt aus Asiens Kolo­nial­zeit in all ihren Facetten auf. Ver­wir­rendes, pralles Leben herrscht in den Ge­schäfts­straßen mit den traditio­nellen »Shop­houses« und am Hafen. Wir bewundern reich verzierte Tempel, prächtige Gebäude der Kolo­nial­macht, üppige Gärten, vornehme Resi­denzen, duftende Speisen, farben­präch­tige Kleidung und sehen auch die erbärm­lichen Elends­viertel. Im Hause Hamlyn nehmen wir an intel­lek­tuel­len Kon­ver­satio­nen über welt­be­deu­tende Literatur teil, und nach und nach enthüllen sich uns Ge­scheh­nisse aus einer Ver­gan­gen­heit voller poli­tischer Um­brüche und voller Schmerz und Leid, die uns nicht mehr los­lassen, bis alle Rätsel endlich aufge­löst sind. Dabei schreitet die Erzählung in ruhigem, leicht melan­choli­schem, oft zart poeti­schem Ton und litera­risch be­stechen­dem Stil beständig voran.

Die Übersetzerin entschied sich dafür, in den Schil­derun­gen des malai­ischen Alltags für viele Gegen­stände das Original­voka­bular beizu­behal­ten, was die Musi­kalität der Sprache nach­voll­ziehen lässt, aber das Detail­verständ­nis verhin­dert. Bei Begriffen wie »songkok«, »kampong«, »kiam-siap« oder »dhobi-wallah« hätte ich die Über­setzung bevor­zugt oder wenigs­tens gern eine Fußnote oder ein Glossar zu Rate gezogen.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2025 aufgenommen.


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