Rezension zu »Düsternbrook« von Axel Milberg

Düsternbrook

von


Axel Milberg erzählt und gestaltet seine Kindheit und Jugend im feinen Kieler Bürgerhaus.
Belletristik · Piper · · 288 S. · ISBN 9783492059480
Sprache: de · Herkunft: de

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Vom Bildschirm aufs literarische Parkett

Rezension vom 17.06.2019 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Vermutlich wird es Ihnen auch so gehen: Das Hörbuch zu dieser Druckaus­gabe können Sie sich im Kopf selbst gestalten. Denn kaum schlagen Sie das Buch auf und beginnen zu lesen, schon hören Sie Axel Milbergs markante Stimme, wie sie uns aus zahlreichen TV-Produk­tionen vertraut ist, in Ihrem inneren Ohr, und als Dreingabe sehen Sie sein spitz­bübisch lächelndes Borowski-Gesicht. So läuft das eben, wenn prominente Schau­spieler als Schrift­steller auftreten, wie schon Ulrich Tukur (»Die Spieluhr«, 2013), Matthias Brandt (»Raum­patrouille«, 2016 [› Rezension]), Andrea Sawatzki (»Ihr seid natürlich eingeladen«, 2016), Christian Berkel (»Der Apfelbaum«, 2018), Joachim Meyerhoff (»Alle Toten fliegen hoch«, gleich vier Bände, 2011-2017): Man identifi­ziert den Text eins zu eins mit dem Autor, akustisch. optisch und biografisch, und genau das ist im Interesse des Verkaufs­erfolges erwünscht.

Nun legt also auch Axel Milberg seine Kindheits- und Jugenderinnerungen aus den Sechziger-, Siebziger­jahren vor. Allerdings möchte er sich von seinen Kolleginnen und Kollegen deutlich als Literat absetzen, wie er in einem Interview mit dem Deutsch­land­funk betont: »Ich bin das Gegenteil von dem Promi, der jetzt auch noch ein Buch schreiben muss.« Denn schreiben sei »eigentlich immer auch« sein Wunsch gewesen. Und sein Roman »sollte nie ein privates Buch sein«, sondern Erlebnisse und Erfahrungen schildern, wie sie für die alte Bundes­republik nach dem Krieg sympto­matisch gewesen seien. Folge­richtig gibt es in seinem Erstling eine Melange aus Erinne­rungen und Fiktion, ohne dass das eine vom anderen geschieden werden könnte. Als Leser sollte man also besser doch nicht alles mit Milbergs Miene, Stimme und Vita verquicken.

Ist der TV- und Bühnenstar denn tatsächlich auch ein Literat? Sein Umgang mit Sprache (Wortschatz, Rhetorik, Bildlich­keit, Syntax …), Charakter­zeichnung und Szenenge­staltung sind zweifellos beeindru­ckend, kompetent und kreativ. Gleich die hoch­theatra­lische Eingangs­szene rückt beide – den Autor wie den Schau­spieler – effektvoll ins Schein­werfer­licht: »Und da stand ich, klein und dunkelblond auf grünem Grund und drehte mich, und die Welt drehte sich um mich.« In die dann folgenden mehr oder weniger auto­biografi­schen Seiten (fast dreihundert) ist ein Nebenstrang überVerbrechen eines Kinder­schänders einge­flochten, der gar etwas Düsternis ins edle Ambiente bringt. So ist der Text angenehm zu lesen, stimmig, bietet Über­raschen­des, Originelles und Inspirie­rendes, hat aber auch Längen (was freilich am geruhsamen Stoff liegt, unter anderem den umfäng­lichen heimat­kundli­chen Ausfüh­rungen).

Axel Milberg wurde 1956 in Düsternbrook geboren, einem feinen Viertel der schleswig-holsteini­schen Landes­haupt­stadt, in der er heute als Tatort­kommis­sar Borowski wirkt. Die Roman­hand­lung endet jedoch mit der bestandenen Aufnahme­prüfung an der Otto-Falckenberg-Schule in München, mit der seine Karriere im Schau­spiel­fach ihren Anfang nehmen konnte. (Updates sind zu erwarten.)

Düsternbrook ist eine Wohl- und Anstandsblase, und wer darin geboren wird, ist schon in der Wiege mit Privilegien gepolstert. Damit lässt sich’s gut kokettieren. Mangel ist unbekannt, »aber genau das war es, was vollkommen uner­träg­lich war«. Die Milbergs, eine besonders distingu­ierte Familie, kultivieren ihren Status. Lädt man zum Mahl, wird die Tafel mit Meißener Porzellan und Silberbe­steck mit Initialen eingedeckt. Schon von Kindes­beinen an bleibt man unter sich. Axel und seine Geschwister Hans und Manuela werden nicht wie die Altersge­nossen in den Kinder­garten geschickt. »Unser Haus hat einen Garten«, wozu sie also »zu anderen Gärtnern« fort­schicken?

In diesem Haus ist es freilich kühl. Die Elterngeneration hat die Kriegsjahre hinter sich gelassen und baut jetzt die Zukunft auf. Das Wohl der Kinder sieht man darin, ihnen eine gediegene Erziehung und eine gute Ausbildung angedeihen zu lassen und sie zur Selbst­ständig­keit anzuhalten. Frühzeitig wird ihnen nach­drück­lich vermittelt, etwas »Besseres« zu sein, woraus ihnen die Verpflich­tung erwächst, hohe Anforde­rungen zu erfüllen. Mit dem »dicken Zwerg«, der Axel in seinen frühen Alpträumen verfolgt, muss er selber fertig­werden. Damit ist der Nachwuchs gerüstet, um sich auf dem familiär gewohnten Niveau durchs Leben zu schlagen. Ein Netz von Beziehungen kann helfen.

Dem kleinen Axel entgeht nicht, wie seine ungleichen Eltern streiten. Vater Klaus ist Anwalt für Scheidungs- und Strafrecht (»Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden.«, wirbt die Kanzlei auf Omnibussen). Er liebt die Jagd bei der adligen Verwandt­schaft auf Gut Hohenstein, wo man die Strecke anschlie­ßend im Herrenhaus serviert. Die Mutter ist »Dr. med.«, hat damit ihre Exzellenz bewiesen und braucht nicht zu prakti­zieren. Sie widmet sich der Familie und dem Anwesen. Ihre Nerven sind stets angespannt. Wenn etwas nicht reibungslos klappt, Hans etwa seinen Spinat nicht essen will, rastet sie aus, schreit den Übeltäter an, drückt seinen Kopf in den Teller (Jahre lang wird das grüne Gesicht durch Axels Träume geistern). Der Putzfrau kündigt sie, um selbst zu kochen, zu putzen und zu nähen. Das eingesparte Geld gibt sie für Museums­besuche, die Oper oder für Antiqui­täten, ihre standes­gemäße Sammel­leiden­schaft aus.

Axels bevorzugter Verwandter, sein charmanter, großzügiger, weltge­wandter, anstren­gender Patenonkel, kommt leider viel zu selten zu Besuch. Carl-Oscar Ritter von Georg (»Ocki«) fasziniert ihn in seiner Anders­artig­keit. Schon in jungen Jahren hat er Kiel den Rücken gekehrt, die Welt bereist und überall Freunde in der High Society, von denen er aufregend und effektvoll zu erzählen weiß. Wenn er von Visconti in Mailand, Johannes von Thurn und Taxis in Saint-Tropez oder Gottfried von Cramm in Kairo berichtet, ist ihm die Auf­merksam­keit aller Milbergs sicher. Er lebt in Hamburg ein »Dolce Vita«, allerdings merk­würdiger­weise nicht mit einer Frau, sondern einem Partner (dem Star­designer Professor Wolf Bauer). Dem neun­jähri­gen Axel prophezeit Ocki, dass auch er sich aus Kiel absetzen werde, »sobald du kannst« Warum er das sollte, versteht der Junge nicht. Er ist zufrieden in seinem nord­deut­schen Umfeld, wo die Menschen laut Ocki »verschlossen, … wortkarg, miss­trau­isch sind … sie ziehen sich nicht schick an, sondern kleiden sich praktisch … man speist zu Hause oder im Garten … Man geht sich grund­sätz­lich nicht durch allzu große Nähe auf die Nerven«. »Ganz schrecklich«, sagt Ocki.

Axel besucht ein altsprachliches Gymnasium, das sich »Gelehrten­schule« nennt und, gewollt oder nicht, kritisches Bewusstsein hervor­bringt. Anders­den­kende, Verhaltens­auffäl­lige, Wortführer werden leicht der Schule verwiesen, finden aber Sympathien bei etlichen Mitschülern, auch Axel. Zwei Pro­fessoren­söhne, die »um die Ecke von uns wohnten«, werden später als RAF-Mitglieder von der Polizei erschossen.

Als Schuljunge hat Axel nur einen guten Freund gleichen Alters. Meistens radelt er allein durch seinen Ortsteil oder zum Hafen und lebt seine Fantasien aus, bekämpft und besiegt hoch zu Ross als »Leder­strumpf, Old Shatter­hand, Jeremiah Johnson« grausame Gegner aus seinen Bücher­welten. Zu Hause ist er in der Erwach­senen­welt, und das umfang­reiche, imposante name-dropping illustriert, welche Kaliber sie bevölkern. Auch ein wenig pubertäre Selbst­findung enthüllt der Autor, die sich beim (damals elitären) Tennisspiel ergab. Üblicher­weise blitzt der schüchterne Junge bei Lili ab, aber als sie sich doch einmal zu einem Match mit ihm herablässt, nähert er sich zart an. Ernst wird es erst mit neunzehn, als er auf Onkel Ockis Einladung nach Frankreich fährt und ihm eine Autopanne eine französi­sche Mechani­kerin und deren Liebes­lektio­nen zuführt. Kaum hat sich der kühle Kieler unsterblich verliebt, da macht sie Schluss, nüchtern und lakonisch, als stamme sie auch aus Nord­deutsch­land: »C’est fini.«

In fünfzig Kapiteln wirft Milberg in chronologischer Folge Schlag­lichter auf sein behütetes junges Leben im Groß­bürger­tum. Dabei erfahren wir Interes­santes und Belangloses – wie der kleine Axel im Kinderwagen aus Weiden­korbge­flecht kutschiert, wie er eingeschult und später ein selbst­ständig denkender Junge wird, wie man im Sommer mit Sack und Pack an die See und später mal nach Wien reist, um der Pferde­närrin Manuela die Hof­reit­schule zu zeigen, wie Gert Fröbe den jungen Erwachsenen ermutigt, seinen Schau­spieler­traum zu realisieren. All dies erzählt Axel Milberg, als wäre er ein engagierter Beobachter der Zeitläufte gewesen, mit ver­schmitz­tem Esprit und spürbarem Stolz, dann doch direkt beteiligt gewesen zu sein.

Biografische Wahrheit oder literarische Fiktion? Egal. »Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden.« (Giordano Bruno)


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