Der Privatsekretär
von Claudia Piñeiro
Armer Schlucker vom Lande findet sich durch Zufall im Mittelpunkt der Macht und steigt auf zur rechten Hand des skrupellosen Gouverneurs. Der muss sehen, wie er einen üblen Fluch aushebeln kann, damit er die Staatsspitze erklimmen kann.
Richtige Zeit, richtiger Ort – oder alles falsch?
Román Sabaté (30) ist ziemlich knapp bei Kasse, als er vom Lande, wo er seinen klugen, politisch engagierten Lieblingsonkel Adolfo zurücklässt, nach Buenos Aires zieht. Hoffnungen auf ein etwas besseres Leben dort hat er, aber keine Ansprüche. Jeder beliebige Job ist ihm recht, Hauptsache er kann ihn einigermaßen über Wasser halten. Doch das Glück scheint ihm hold, er bewirbt sich »zur richtigen Zeit am richtigen Ort« und wird nach gründlichem Auswahlverfahren all seinen Mitbewerbern vorgezogen. Warum gerade er? Das wird ihm erst im Nachhinein klar. Mit besonderen Qualifikationen hat es nichts zu tun.
Hinter dem unverhofften Aufstieg des unscheinbaren, naiven Landeis steht Fernando Rovira, ein skrupelloser Unternehmer mit Geschick und geltungsbedürftiger Machtmensch mit Charisma. Er begann seine Karriere als Bauunternehmer, setzte sie als Finanzjongleur fort und häufte bald ein Vermögen an, das einflussreiche Schmeißfliegen jeder Couleur anzog, aber auch Bewunderung erntete: Der sichtbar erfolgreiche Geschäftsmann wurde zum Hoffnungsträger Argentiniens. Obwohl völlig unpolitisch und von keiner Ideologie außer seinem Egoismus beleckt, wurde er von seinen Fans in die Politik gedrängt und zum Gouverneur der Provinz Buenos Aires gewählt. Für den zielstrebigen Ehrgeizling kann das nur der Anfang sein. Er gründet eine populistische Partei, die ihn ins höchste Amt befördern soll, das der Staat zu bieten hat: das des Präsidenten von Argentinien.
So weit, so gut. Solche Werdegänge haben wir ja auch in Europa und Nordamerika schon erlebt. Aber nun kommt spezifisch Südamerikanisches ins Spiel, und das macht die weitere Handlung für europäische Leser ungewöhnlich, befremdlich und reizvoll. Denn, so beginnt der Roman und so glaubt man offenbar in Argentinien, »jeder Mensch schleppt einen Fluch mit sich herum«, und das muss dann auch für Fernando Rovira gelten. In der Tat kennt der die Prophezeiung, die seinem Ziel entgegenwirkt. Der Legende gemäß hat eine Hexe 1835 La Plata, die verhasste, auf dem Reißbrett entworfene Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, verflucht, dass fortan kein Gouverneur dieser Provinz zum Präsidenten Argentiniens gewählt werde. Fluch oder nicht: Der damalige Amtsinhaber Adolfo Alsina war das erste Opfer, und alle späteren Kandidaten scheiterten wie er.
Zumindest bis 2002. In jenem Jahr wurde Eduardo Duhalde, Gouverneur der Provinz Buenos Aires, zum Staatspräsidenten gewählt. Hatte er die »endlose Verkettung« folgenreicher Flüche in der Geschichte Argentiniens möglicherweise überwunden? Und wenn ja, wie hat er das geschafft? Die TV-Journalistin Valentina »China« Sureda, die Historie und Hintergründe des Alsina-Fluchs und anderen Aberglaubens erforscht, interviewt den Politiker diesbezüglich. Doch Duhalde hat für solche Theorien nur ein Lachen übrig.
Claudia Piñeiro weiht uns noch in weitere Flüche ein. Ein mathematisch ausgefuchster in den USA beispielsweise hatte zur Folge, dass amerikanische Präsidenten, »die in einem Jahr ins Amt gewählt worden waren, das durch zwanzig teilbar ist«, während ihrer Regierungszeit starben. William Henry Harrison, Abraham Lincoln, Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und andere fielen dem »Tecumseh- bzw. Zwanzig-Jahre-Fluch« zum Opfer.
Dass der kaltblütige Macher Fernando Rovira vor derlei Aberglauben in die Knie geht, ist Ergebnis seiner Erziehung. Seine Mutter, Heilerin und Expertin für verschiedene Formen teils obskurer Therapien, hat den Jungen im festen Glauben an allerlei Mysterien großgezogen. Jetzt schenkt sie ihm drei Achate, die er zum eigenen Schutz stets bei sich tragen soll, damit sie ihm Kraft geben, den Alsina-Fluch mit einem cleveren Trick außer Kraft zu setzen. Im Übrigen umgibt den Gouverneur ein Tross zwielichtiger Anhänger, die für das Vorankommen der Partei sorgen und spendable Unterstützer anwerben, damit der Rubel rollt. Und dann stehen noch willfährige Handlanger auf Abruf bereit, um Grobes zu erledigen, wie etwa die Beseitigung unliebsamer Personen.
Im Gegensatz zum Präsidentschaftskandidaten mit dem Durchblick gehört Román Sabaté zu den »Glückspilzen«, die nichts ahnen von dem Fluch, der auf ihnen lastet, und damit nicht von ihm tangiert werden. Aus wechselnden Perspektiven erfahren wir, wie der ohne besondere Kenntnisse eingestellte Mann zum engsten Vertrauten und Handlanger Fernando Roviras wird, um dann in eine delikate Zwangssituation zu geraten, die ihn zu einer Entscheidung zwingt.
Während die Handlung mit Román Sabatés Umzug nach Buenos Aires ihren Anfang nimmt, setzt die Erzählung fünf Jahre danach ein. Da finden wir den Protagonisten bereits auf der Flucht vor seinem Herrn, der zum eiskalten Gegenspieler seines einstigen Intimus geworden ist.
Claudia Piñeiro, 1960 in Buenos Aires geboren, war Journalistin und schreibt seit 2003 Romane, von denen etliche in deutscher Sprache veröffentlicht wurden (alle im Zürcher Unionsverlag). »Las Maldiciones« , von Peter Kultzen übersetzt, ist ein Politthriller, der nicht so recht ins Genre passen will. Denn der Autorin geht es ebenso sehr um die Darstellung verschiedener gesellschaftlicher Milieus, die Offenlegung der rücksichtslosen Methoden populistischer Emporkömmlinge, des neuen Politikstils, wie er überall um sich zu greifen scheint. Dieses Anliegen ist ihr so ernst, dass sie entlarvende authentische Interviews mit argentinischen Politikern in die Handlung einbaut. Ihr Roman überzeugt weniger durch knisternde Spannung als durch überbordendes Erzählen, eine komplexe Form und eine kluge, satirisch geprägte Figurengestaltung. In Fernando Rovira und Román Sabaté prallen zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander, nähern sich einander an, bis die Abhängigkeit des einen vom anderen unerträglich wird. Kann sich einer wie Román Sabaté aus seiner zur Fessel gewordenen Verflechtung herauswinden? Er erkennt, dass er als Diener nicht nur in der Hand seines Herrn gefangen ist, sondern dass dieser auch auf ihn angewiesen ist, er also auch Macht hat. So wird er für Fernando Rovira zur Gefahr, muss um sein Leben fürchten und flieht dahin zurück, wo er herkam: zu Onkel Adolfo aufs Land.
Glaubt denn die Autorin selber an die Macht der Flüche? Wohl kaum. Sie sieht aber Parallelen zwischen Aberglauben und modernem Popularismus: Einer Figur mit Charisma – ob Hexe oder Held – nimmt ein leichtgläubiges Publikum gern jede einfache Wahrheit, Versprechung oder Verfluchung ab.