
Das Verbrechen - Kommissarin Lunds 1. Fall
von David Hewson
Das Hörbuch macht schlapp
Eine Tat, wie sie in skandinavischen Thrillern jeden Tag vorkommen könnte: Jemand hat eine hübsche Neunzehnjährige (Nanna Birk Larsen) brutal missbraucht, sie noch lebend in den Kofferraum eines Mietwagens gesperrt und das Auto dann in einem Kanal versenkt. Kommissarin Lund, die eigentlich gerade mit ihrer Familie nach Schweden umziehen wollte, um dort ein besseres Leben zu beginnen, muss und will wieder ran an die Arbeit und wird zwanzig Tage lang die Ermittlungen leiten - macht zwanzig Folgen eines Fernsehfilms.
Die Reihe wird getragen von einer zwiespältigen Protagonistin, Sarah Lund, "Vicekriminalkommissær" bei der Mordkommission Kopenhagen. Sie ist eine Vollblut-Polizistin, die in ihrem Beruf aufgeht und wie besessen tut, was getan werden muss - ohne Rücksicht auf mögliche Gefahren, auf Störversuche von "oben" und schon gar nicht auf ihre eigenen persönlichen Interessen bzw. Nachteile. In ihrer Unbeirrtheit isoliert sie sich, vergisst und verschreckt ihre Familie und Freunde, und auch der Zuschauer (Leser, Zuhörer) wird nicht viel Sympathie für sie aufbringen. Im Film trägt sie gern einen ruppigen Wollpullover von den Färöer-Inseln, dem man schon von weitem ansieht, dass er sicher furchtbar kratzt.
Die Fernsehfilm-Serie
Søren Sveistrup ist der (Haupt-) Autor der dänischen Fernsehserie "Forbrydelsen" (was "Verbrechen" bedeutet). Sie wurde 2007 erstmals ausgestrahlt und fand sofort beste Resonanz in Skandinavien und Großbritannien. In Deutschland zeigte das ZDF die Serie im Herbst 2008 und ARTE im Frühjahr 2010 (unter dem englischen Titel "The Killing"). Bald folgte "Forbrydelsen II" (2009), im ZDF im Herbst 2010 ("Das Verbrechen II") und bei ARTE im Herbst 2011 ("The Killing II") ausgestrahlt, und "Forbrydelsen III" (Herbst 2012, im ZDF im Februar/März 2013). Weitere Staffeln sind nicht geplant; die Serie sei von vornherein als Trilogie konzipiert gewesen, und dabei bleibe es, sagte Søren Sveistrup dem "Guardian".
Das Buch
Bei dem hier besprochenen Titel handelt es sich also um ein "Buch zum Film", und zwar zu dessen erster Staffel. Auf der Basis von "Forbrydelsen" verfasste der Brite David Hewson den Thriller "The Killing", der 2012 erschien . Barbara Heller und Rudolf Hermstein haben ihn aus dem Englischen übersetzt, und nun hat Zsolnay die deutsche Erstausgabe auf den Markt gebracht.
Der Plot von Lunds erstem Fall (nicht karrieremäßig gemeint, sondern auf die Filme bezogen) vollzieht sich in drei Handlungssträngen:
Die Suche nach dem Mörder: In ihrem Todeskampf hielt Nanna eine schwarze Halskette umklammert, was die Kommissarin auf entscheidende Spuren bringt. Der Verdacht fällt auf einen Lehrer Nannas, einen Moslem ...
Die Tragik der Hinterbliebenen: Theis and Pernille Birk Larsen, die Eltern des Opfers, müssen mit dem grausamen Verlust ihrer Tochter fertig werden.
Die gesellschaftliche Dimension: Brisanz erhält der Mord, als deutlich wird, dass weite politische Kreise involviert sind. Und es stehen Wahlen an ...
Aus dieser Konstellation entwickelt sich ein Thriller im bekannten und bewährten skandinavischen Stil: düster, hintergründig, melancholisch, hoffnungslos, und das rundum, von den Charakteren über die Schauplätze (inklusive Wetter) bis zum Zustand der Gesellschaft.
Nachdem Lund einmal Witterung aufgenommen hat, lässt sie nicht mehr locker. Allerdings können wir - ebenso wie sie selbst - niemals hoffen, dass "alles gut" würde. Die Autoren zeichnen ein realistisches, wenn nicht pessimistisches Bild der Gesellschaft und der Charaktere: Beide sind komplex durchwachsen; reine Unschuld gibt es ebenso wenig wie das reine Böse. Am Ende wird Tragik erkennbar, und einige Details können nicht gelöst werden.
Will man, was man stundenlang sehend erlebt hat, nochmal tagelang lesen? Liefert das Buch nicht nur Kopien dessen, was der Film an Bildern produzieren konnte? Nein - ein bloßer Abklatsch, um nochmal Kasse zu machen, ist David Hewsons Wälzer nicht. Die Handlung ist in sehr viel mehr Szenen und Dialoge aufgelöst, die Charaktere werden aufschlussreicher beschrieben und präsentiert, und Hewsons kompakter, trockener Stil passt gut zu der Atmosphäre, die der Film erschafft.
Vor allem aber klebt David Hewson keineswegs an seiner Vorlage, sondern erweitert, vertieft und verändert sie sogar - selbst den Schluss. Damit folgt er literarischen Anforderungen: Der Leser denkt kritischer mit als der TV-Zuschauer; ein 800-Seiten-Roman braucht eine andere Dramaturgie, einen anderen Rhythmus als eine Serie von Filmen; der Romanautor will Botschaften vermitteln.
Insbesondere arbeitet Hewson heraus, wie sich verantwortliche Teile der Gesellschaft ihren selbst deklarierten Ansprüchen und Pflichten entziehen. Der Weg, den Lund und ihr Kollege Jan Meyer finden und gehen müssen, ist nicht nur mit kriminaltechnischen Hindernissen gepflastert, sondern mit eigennützigen Täuschungsmanövern der Kollegen, der Politiker, der Befragten z.B. in der Schule. Nannas Mörder zu finden ist für viele nachrangig.
Fazit 1: Das Buch ist eine durchaus eigenständige und lesenswerte Bearbeitung ().
Das Hörbuch
Gleichzeitig mit dem Buch hat Random House Audio das Hörbuch zum Buch zum Film herausgebracht; Anneke Kim Sarnau liest.
Obwohl ich normalerweise nur gedruckte Bücher lese, habe ich mich hier einmal vollständig auf ein Hörbuch eingelassen. Und dabei werden Schwächen sichtbar, die teils das Medium zu verantworten hat, teils bereits im Film und im Roman gründen.
Beim Hören hat man den Eindruck, dass die Story selber mit Personen und Schauplätzen überfrachtet und viel zu kompliziert aufbereitet ist. Der Handlungsfortgang entwickelt sich deshalb auf verwirrende Weise. Es fehlt ein einfacher roter Faden, der Orientierung geben könnte. Wenn man die CDs hört, anstatt das Buch zu lesen, wiegt dieser Nachteil umso schwerer, weil man nicht so einfach blättern kann, um eine zurückliegende Passage nochmal zu überfliegen.
Die Übersicht über die handelnden Figuren führt 38 Namen in fünf Gruppen auf. Die meisten bleiben beim bloßen Zuhören relativ blass in ihrer Charakterisierung. Selbst die Protagonistin erscheint immer nur als "Lund" - hier bleibt sie eine Frau ohne Vornamen und Eigenschaften.
Also heißt es: höchste Konzentration beim Zuhören! Damit habe allerdings sicher nicht nur ich meine Schwierigkeiten, zumal man ja nicht nur herumsitzt und lauscht, sondern nebenbei joggt, aufräumt, Auto fährt, staubsaugt, Unkraut zupft oder döst sowie kleine und große Pausen einlegen muss.
Nach jedem Neueinstieg hatte ich das Gefühl, dass beständig neue Namen auftauchen, die ich noch nie gehört hatte; jedenfalls konnte ich mich oft nicht mehr erinnern, welche Rolle welche Figur spielte, was über sie bereits bekannt war, usw. Wenn es dann zu einer Verhaftung kommt oder ein Verdächtiger stirbt, hakt man das Kapitel eben ab, auch wenn man es nicht wirklich durchschaut hat - und wundert sich, wenn die Kommissarin plötzlich aus heiterem Himmel weiterforscht und man mit der frustrierenden Erkenntnis fertig werden muss, dass doch alles ganz anders gewesen sein muss, als man geglaubt hatte.
Ein weiterer gewichtiger Nachteil des Hörens ist zumindest bei diesem Thriller, dass Schauplatz-Übergänge - und davon gibt es viele und abrupte! - meist erst nach ein paar Sätzen ins Bewusstsein gelangen. Wo im gedruckten Buch ein Absatz einen Neubeginn signalisiert, bleibt die Stimme der Vorleserin immer gleich und überbügelt die räumliche oder personelle Veränderung (zunächst), bis sie (hoffentlich) auch verbalisiert wird. Das erzeugt wieder jedes Mal ein winziges Frusterlebnis, das sich zu den anderen addiert.
Die Schauspielerin Anneke Kim Sarnau trägt den Text recht undifferenziert vor - monoton und stakkato-haft. Ob der Regisseur meint, dadurch eine Atmosphäre von Tempo, Hektik, Spannung zu erzeugen? Dieser Effekt kommt jedenfalls nicht zustande. Drastisch gesagt, erinnert der Lesestil gelegentlich an Vorleseübungen in der Grundschule.
Ohnehin stellt sich die Frage, ob Frauenstimmen für einen Thriller-Stoff nicht prinzipiell zu weich klingen. Wenn dann noch keinerlei dramaturgische Intonation vorhanden ist, plätschert die Story vor sich hin, und der Zuhörer findet erst recht keinen Zugang.
Wahrscheinlich sind Hörbücher schon vom Konzept her nicht so gut geeignet für komplexe Thriller-Stoffe, die Mitdenken, Miträtseln erfordern und den Rezipienten über viele Seiten hinweg in eine gewisse Stimmung hineinziehen wollen. Wo es situativer, kurzweiliger, komödiantischer zugeht, scheinen sie besser bekömmlich - ich denke zum Beispiel an Alpenkrimis wie Jörg Maurers "Unterholz" (lesen Sie hier meine Rezension dazu).
Fazit 2: Das Hörbuch raubt zu viele Dimensionen. ()
P.S.: Wenn Sie auf Englisch weiterlesen möchten: Seit Januar ist in Großbritannien "The Killing 2" als Taschenbuch erhältlich.
Ach - und die Amerikaner haben eine eigene TV-Filmversion hergestellt und den Schauplatz nach Seattle verlegt - wozu bloß der Aufwand?