
Genieße mit allen Sinnen - das Leben ist endlich
Ruprecht Schmidt hat sein Abitur in der Tasche. Wie soll seine Zukunft aussehen? Seine Eltern wünschen sich eine akademische Laufbahn. Ruprecht aber liebäugelt mit einer Auszeit; Reisen in ferne Länder waren schon immer sein Traum.
Er beginnt eine Lehre zum Koch in einem Sternelokal in Hamburg. Dort zeigt er Talent, macht einen guten Abschluss, geht für ein paar Jahre ins Hotelgewerbe nach Frankfurt, kehrt nach Hamburg in ein Szenelokal zurück. All diese Jahre sind voller Erfolgs-, aber auch Frustrationserlebnisse, denn Neid und Konkurrenzkampf herrschen unter den nach Sternen heischenden Meistern der Küchen. Auch die High-Society-Kundschaft ist nicht immer leicht genießbar: Manch einer, der den Könner ganz privat zum individuellen Kochen gebucht hat, begrüßt ihn besonders exklusiv: Bitte benutzen Sie den Hintereingang, bleiben Sie in der Küche, und lassen Sie sich bloß nicht sehen. Denn heute hat die Dame des Hauses gekocht ...
Ruprecht will einen Schlussstrich ziehen, ist das Krebse- und Hummerknacken Leid, sucht einen Arbeitsplatz, der eine soziale Komponente bietet, eine zwischenmenschliche Herausforderung, die übers Kochen hinausgeht. Da mutet es als Fügung an, dass im berüchtigten Hamburger Stadtteil St. Pauli gerade das Hospiz "Leuchtfeuer" fertiggestellt wurde und man dort einen Koch sucht. Ruprecht bekommt den Job.
Schnell stellt er fest, dass er für die neue Aufgabe unvorbereitet ist, dass seine Menüs nichts mehr mit Haute Cuisine gemein haben werden. Hausmannskost wünschen sich die Gäste in ihrer ganz besonderen Lebenssituation, und hier ist sein Küchenlatein schnell am Ende: Wie kocht man Steckrüben, Grießbrei oder einen Quark mit Pflaumen? Trotz genauester Kochanleitungen enttäuschen seine Produkte immer wieder – bis er versteht, dass er allen Gerichten ein besonderes Gewürz beigeben muss, das er jedoch nicht kaufen kann: die Erinnerung an einen besonderen Moment oder einfach an zu Hause. Ruprecht lässt nicht locker; er ist erst zufrieden, wenn die Augen des Kranken glänzen. Inzwischen arbeitet er schon elf Jahre dort.
Die Fernsehjournalistin Dörte Schipper hat einen Unterhaltungsroman geschrieben, der wegen seines Themas und seiner Nähe zu unserer gesellschaftlichen Realität besondere Aufmerksamkeit verdient. Im Mittelpunkt stehen Koch Ruprecht Schmidt, das Hospiz mit seinen Bewohnern und deren Verwandte. Dörte Schipper lässt alle zu Wort kommen. So erfahren wir viel aus dem Leben dieser Menschen, über die Vielschichtigkeit ihrer Beziehungen, über die Vielfalt ihrer Gefühle zwischen hingebungsvoller Liebe und unüberbrückbarer Gefühlskälte. Der Tod wird nicht ausgespart. Eine brennende Kerze zeigt allen, dass ein Mensch gegangen ist.
Noch immer findet in unserer Erfolgs- und Genussgesellschaft das Thema Sterben keinen Platz. Man hat den Eindruck, wir werden alle ewig leben, und wenn wir an den Tod denken, dann wünscht sich jeder, einfach umzufallen oder im Schlaf zu sterben. Dass es auch Todkranke mit einem langen Leidensweg gibt, verdrängen wir nur zu gern. Doch auch diese Menschen möchten die letzte Lebensphase in Würde und Respekt verbringen. Die dafür aufzubringende Intensivpflege können Angehörige allerdings oft nicht leisten, und ein Hospizplatz ist rar wie ein Lottogewinn.
Warum gibt es eigentlich viel zu wenige Hospize in Deutschland? Sie sind teuer, und die Krankenkassen übernehmen nur einen kleinen Teil der Kosten. Ruprecht Schmidt hat zum Beispiel ein Tagesbudget von 7,00 € pro Patient zur Verfügung. Ohne treue Mäzene, Spender und viele ehrenamtliche Helfer (Köche, Friseure usw.) könnten Hospize wie das "Leuchtfeuer" nicht existieren.
Wir Deutsche sind vorbildliche Spender bei weltweiten Katastrophen. Vielleicht sollte daneben ein bisschen mehr Geld in unserem Land bleiben. Wer nach der Lektüre dieses Buches die Initiative der Hospize mit einer Spende oder einem jährlichen Beitrag unterstützen möchte, findet im Anhang Kontaktadressen.
P.S.: Das Vorwort zu Dörte Schippers Buch hat Udo Lindenberg geschrieben. Er bekennt, sprachlos zu sein, wenn es um Abschied, Sterben und Tod geht; nur musikalisch findet er Worte. In seinem Gesang habe ich seine Poesie noch nie so wahrgenommen, wie ich sie nun abgedruckt und lesend empfinde.
P.S.: Dörte Schipper erhielt für die Fernsehreportage "Der Luxuskoch vom Hospiz" den Erich-Klabunde-Preis des Deutschen Journalistenverbands.