
John
von Bernhard Aichner
Metzgerstochter Yoko hat vor wenigen Jahren die Feinde ihres Glücks fachkundig getötet und entsorgt. Dann ist sie vor ihren Verfolgern nach Griechenland und in eine neue Identität entkommen. Als »John« hat sie Frieden, Freunde und Arbeit gefunden. Doch in Deutschland ist der Fall »Yoko« keineswegs zu den Akten gelegt. Nicht nur die Polizei kommt auf ihre Spur. Wieder muss Yoko ihre Jäger abschütteln und nötigenfalls beseitigen.
Yoko findet keine Ruhe
Acht Menschen hat Yoko auf dem Gewissen, wie sie gleich im ersten Satz bekundet. Manche hat sie im ersten Band erledigt (»Yoko«, 2024), von den anderen erfahren wir nach und nach im vorliegenden Roman von Bernhard Aichner. Ihre erste Runde brachte sie in heftigen Konflikt mit einem Mafiaclan und mit der Kriminalpolizei. Dabei sehnt sie sich doch so sehr nach einem ruhigen, normalen Leben ohne Angst. Auf der Suche nach einem friedlichen, sicheren Ort fern von ihren Häschern hat sie Deutschland und ihre Weiblichkeit hinter sich gelassen und lebt jetzt als »John« in einem Bergdorf auf einer griechischen Insel im Ägäischen Meer. In den Sommermonaten hilft sie in der Taverne der betagten Elena, die noch mit Liebe nach alten Rezepten kocht und ihr mit ihrem Sohn Stavros herzliche Gastfreundschaft schenkt. John wird Teil der Familie und darf ein Zimmer im Haus bewohnen.
Yokos Glück scheint endlich gefunden und nimmt noch zu, als sie die Bekanntschaft einer feinen alleinstehenden Dame aus Deutschland macht. Ingrid ist Mitte fünfzig und kommt jeden Sommer auf die Insel, denn dort besitzt sie ein nobles Ferienhaus mit großem Garten. Die beiden fassen Vertrauen zueinander, und Ingrid stellt John als Gärtner und Faktotum ein. Vor allem während der ruhigen Winterzeit, wenn Ingrid in ihre luxuriöse Villa nach Deutschland zurückkehrt, hat John Freude an den anstehenden Arbeiten.
Erst später findet John heraus, dass Ingrid einem beunruhigenden Hobby nachgeht. Sie interessiert sich für »True Crime« und unterhält regen Briefkontakt mit inhaftierten Kriminellen. Dass sie mit ihrem Versuch, John für Hausmeistertätigkeiten zu gewinnen, ganz andere Intentionen verfolgt als er glaubt, ist eine Fallgrube, in die John längst hineingetappt ist. Denn eine Fernseh-Fahndungsdokumentation über den ungelösten Fall Yoko (»XY ungelöst«) hatte Ingrid auf ihn aufmerksam gemacht. Nachdem Yoko/John sich lange in Sicherheit wähnen konnte, spürt sie jetzt plötzlich, wie sich eine heimtückische Schlange um ihren Hals gewunden hat und immer enger zudrückt. Um ihr eigenes Leben zu schützen, erwacht erneut der Impuls, ihre Gegnerin zu töten, fachgerecht zu zerteilen und zu entsorgen, wie sie es einst gelernt hatte.
Nachdem die in Deutschland ermittelnde Polizei fünf Jahre lang im Dunkeln getappt hat, wohin Yoko auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein mag, meint sich John in Sicherheit wiegen zu können. Doch eines Tages gefriert sein Blut in den Adern, als eine Dame auf der Terrasse Platz nimmt und ihn lächelnd herbeiwinkt. Er erkennt sie sofort wieder, die Hauptkommissarin Katrin Liebermann, mit der er fünf Jahre zuvor »das Vergnügen« hatte. Jetzt will sie ihn bzw. Yoko verhaften und »die Wahrheit, von Anfang an« erfahren. Damit beginnt die Handlung des Romans, und nun berichtet Yoko bereitwillig von ihren Erlebnissen und Überraschungen mit Ingrid, deren plötzlich aufgetauchtem Sohn und weiteren Personen, die sich in der Folge an ihre Fersen hefteten – zeitliche Sprünge, Auslassungen und Verdrehungen der Wahrheit inklusive.
Wie jeder ahnt, musste Yoko/John, nachdem Ingrid sie enttarnt hatte, wieder zu radikalen Mitteln greifen, wenn sie nicht ihren diversen Jägern zum Opfer fallen wollte. Die folgen seriell aufeinander, nicht etwa als Elemente einer verflochtenen Organisation wie des Mafia-Clans im ersten Band. Der Autor wird nicht müde, neue Figuren einzuführen, die Yoko loswerden muss. Trotz teils raffinierter Konstellationen und der rasend schnell zu lesenden Ereignisse wirkt der Plot zum Ende hin doch recht unrealistisch, konstruiert und eintönig: Wiederholt gerät Yoko in eine aussichtslose Lage in der Gewalt eines Verfolgers – und dann eröffnet sich doch wieder ganz überraschend eine Chance zur Flucht.
Selbstverständlich ist der Roman in der gleichen literarischen Form verfasst, die man aus dem ersten Band kennt, wenn auch mit leichter Akzentverschiebung. Die kurzen Kapitelchen sind jeweils einer Person und ihrer Perspektive gewidmet und bestehen vollständig entweder aus direktem Dialog, dessen knappe Äußerungen unvermittelt zwischen den Gesprächspartnern hin und her springen, oder aus einer erzählenden Textpassage. So nimmt man quasi »live« an einer Szene teil wie in einem Film oder liest kommentiert, was vorfällt. Letzteres ist informativer, verlangsamt aber den Ablauf des ansonsten dahinfliegenden Plots. Überdies holen die Erzählteile Inhalte aus dem ersten Band ins Boot, für Leser, die ihn nicht kennen. Der Mix an Perspektiven und Erzähltechniken ist durchaus raffiniert, sorgt für ein schillerndes Gesamtbild, hat aber auch kaum vermeidliche Redundanzen zur Folge. Doch diese führen auch nicht selten Widersprüche zwischen den Darstellungen vor Augen.
»John« überrascht und überzeugt nicht so sehr wie sein Vorgängerband »Yoko«, ist aber allemal ein unterhaltsam-kurzweiliges sommerliches Lesevergnügen. Erwarten Sie aber keine griechische Ferienatmosphäre – die idyllische Insel mit Elenas Taverne tritt nur auf wenigen Seiten in Erscheinung.