
Hätte ich dein Gesicht
von Frances Cha
Wer als junge Frau in Seouls Unterhaltungsbetrieb mitspielen will, muss sich erbarmungslosen, oft schmerzlichen Spielregeln unterwerfen. Kein Makel, keine Schwäche wird toleriert. Was als Belohnung für die vollständige Selbstaufgabe lockt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als hohle Illusion.
Richtig schön oder tschüss
Über Südkorea wissen die meisten von uns nicht viel mehr zu sagen als ein paar vage Klischees. Nach dem Zweiten Weltkrieg von der nördlichen Hälfte des Landes getrennt, stieg der Süden rascher als andere Staaten im fernen Osten zu einer wirtschaftlichen Großmacht auf und brachte Konzerne und Marken hervor, die bis heute bedeutende global players sind. Disziplin, Fleiß und Klugheit der Bevölkerung gelten als Grundlage des Erfolgs. Doch der Preis einer solchen Leistungsgesellschaft ist hoch, der Druck, unter dem die Menschen stehen, gewaltig. Dass das Land die zweithöchste Suizid- und die niedrigste Geburtenrate der Welt hat, mag das bestätigen.
Der Debütroman der gebürtigen Amerikanerin Frances Cha, die lange Jahre in Korea gearbeitet hat und heute mit ihrer Familie dort und in den USA lebt, beleuchtet, wie sich die Entwicklung dieser Gesellschaft auf die Geschlechterrollen ausgewirkt haben. In der Wirtschaft und der Arbeitswelt haben die Männer das Sagen. Sie werden bevorzugt eingestellt, während Frauen selbst mit guter Ausbildung um jeden Arbeitsplatz kämpfen müssen. Ihre Aufgabe ist es, den traditionellen (seit jeher von Männern festgelegten) Rollenbildern zu genügen, und dazu gehört auch, Schönheitsstandards anzustreben (auch sie von Männern definiert). Was das bedeutet, schildert die Autorin am Beispiel von fünf Frauen aus einfachen Verhältnissen, die dem allumfassenden Erwartungsdruck ausgeliefert sind und sich bis an die Schmerzgrenze bemühen, den aufgezwungenen Anforderungen zu genügen.
Worum es dabei konkret geht, mag man als aufgeklärte erwachsene Nordeuropäerin kaum für möglich halten. Der ›Wert‹ einer Koreanerin bemisst sich offenbar zunächst einmal an nichts anderem als oberflächlichsten physischen Ausformungen ihrer Körperpartien, etwa der Geometrie des Gesichts, der Symmetrie der Augenlider, der Position des Unterkiefers. Da nur Perfektion akzeptiert wird, muss, wenn das natürliche Aussehen die Idealvorstellung auch nur geringfügig verfehlt, ein Chirurg nachhelfen. Dessen Kunstfertigkeit ist nicht nur teuer, sondern auch fehlerträchtig. Ob eine Frau sozial erfolgreich sein darf, hängt also von ihrer Finanzkraft und vom Zufall ab: Wer kein Geld hat, wendet sich an einen billigen Operateur, aber auch dem teuersten Arzt kann das Messer um den Bruchteil eines Millimeters abrutschen. Frauen, die sich dem absurden irrationalen Wettbewerb verweigern und so bleiben, wie die Natur sie geschaffen hat, haben keine Chance, »im koreanischen Sinn jemals als hübsch zu gelten«. Viele haben die in der Gesellschaft verbreiteten Idealvorstellungen komplett internalisiert, kennen in ihren Gesprächen mit anderen Frauen kein anderes Thema und leiden ernsthaft unter ihren ›Defekten‹.
Frances Chas Protagonistinnen heißen Ara, Kyuri, Miho, Sujin und Wonna, sie sind etwa gleichen Alters (Mitte dreißig) und miteinander befreundet.
Kyuri hat, wie es scheint, das große Los gezogen. Mehrere Operationen haben ihr Gesicht zur Makellosigkeit perfektioniert, was sie jetzt für einen Traumjob qualifiziert: Sie arbeitet als Animiermädchen im angesehensten »Room-Salon« in Seouls Vergnügungsviertel Gangnam, wo einflussreiche, wohlhabende Männer die Abende mit ihren Geschäftspartnern verbringen.
Auch Miho kann Erfolge verbuchen. Sie ist in einem Kinderheim aufgewachsen, später führte sie ein Kunst-Stipendium für einige Zeit nach New York. Zurück in Korea verkehrt sie mehr oder weniger freiwillig im Milieu der Reichen, die im »begehrten Kunstviertel« Seouls residieren. Hier liegt ihre gesponserte Galerie, wo sich ihre Kunstwerke gut verkaufen.
Ara ist es nicht so gut ergangen. In der brutalen Auseinandersetzung mit einer Jungenbande hat sie ihre Stimme verloren. Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Stylistin in einem Friseursalon und teilt sich mit ihrer Schulfreundin Sujin eine winzige Wohnung gegenüber der von Kyuri. Ihr großer Traum ist, einen bestimmten Super-Popstar live zu erleben, womöglich backstage zu treffen.
Sujin, die die Schule abgebrochen hat, arbeitet in einem Nagelstudio. Auch sie wäre gern eine Mitspielerin im lukrativen Entertainmentbetrieb, doch weil sie sich einem plastischen Chirurgen zweiter Wahl anvertraute, hat sie nun ein großes Problem: »Die Falte an ihrem rechten Augenlid sitzt ein klein bisschen zu weit oben.« Sie ist die bemitleidenswerteste Figur. Nach einer neuerlichen Operation ist ihr Gesicht geschwollen und muss für Monate unter einer Maske versteckt werden. Das kann sie den Job im Nagelstudio kosten. Darüber hinaus strapaziert sie mit ihrer ständigen Fragerei nach einer Anstellung im Room-Salon die Freundschaft mit Kyuri.
Aus Kyuris Perspektive bekommen wir die vermeintlich glamouröse Realität derer vorgeführt, die es geschafft haben, sich nach dem Ideal formen zu lassen. Sie weiß, welch hohen Preis ihre Lebensweise fordert (»arbeitet, bis der Körper ruiniert ist«), behält das aber für sich – vielleicht um Sujin nicht zu desillusionieren. Was der als erstrebenswertes Privileg erscheint, nämlich wohlsituierte Männer charmant zu umschmeicheln und dafür gut bezahlt zu werden, ist für Kyuri längst widerwärtiger Zwang. Ihre Kunden sind »blasierte Könige«, »feiste, verschwitzte Typen«, launische Widerlinge, und »Gentlemen bekomme ich überhaupt nur im Fernsehen zu Gesicht«. Nicht nur vom Wohlwollen der Kundschaft ist sie abhängig, sondern auch von dem der hässlichen Madam, die den Room-Salon leitet und sie ganz nach Belieben drangsalieren oder feuern kann. So ist Kyuri zu einem Stromlinienwesen reduziert, dem jegliche Natürlichkeit abhanden gekommen ist – die physische hat sie sich wegoperieren lassen, die psychische muss sie unterdrücken, um nirgendwo anzuecken.
Wonna ist als einzige der Protagonistinnen, die in der Straße mit den unzähligen Bars wohnen, verheiratet. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf, einer bösartigen, aggressiven Frau, und ihr Erwachsenendasein ist nicht weniger problembeladen. Zwar hat ihr Mann eine gut bezahlte Stelle, aber ihr Kinderwunsch will sich einfach nicht erfüllen. Als sie nach drei Fehlgeburten erneut schwanger wird, geht auch sie arbeiten, um dem ersehnten Kind eine optimale Zukunft zu sichern. Ihre Chefin, eine alleinstehende Karrierefrau, hat allerdings keinerlei Verständnis – nicht für ihre Wünsche, nicht für ihre Nöte, nicht für ihre Rechte.
Die Biografien der Hauptfiguren in diesem bitteren Roman haben ein ähnliches Grundmuster. Sie kommen aus einfachen, traditionsverhafteten Verhältnissen und geben nun alles für ein modernes Leben in Wohlstand, wie es in ihrer Gesellschaft definiert wird. Sie unterwerfen sich diesen Zielen und auch den vorgesehenen Wegen, sie zu erreichen, obwohl dies unweigerlich fatale körperliche und seelische Beeinträchtigungen zur Folge hat. Sie erkennen ihre Beschädigungen und erleben, wie ihre Träume zerplatzen wie Seifenblasen, doch sind sie nicht imstande, sich von unrealistischen Idealen zu distanzieren, ihnen eingeredete ›Makel‹ als Ausprägungen einer individuellen Persönlichkeit zu akzeptieren, ihre Stärken zu erkennen und ein selbstbestimmtes Leben zu gestalten. Gleichzeitig entfremden sie sich ihren Wurzeln, der Lebensweise ihrer ländlichen Heimat, den Anschauungen ihrer Familien.
Die Aufteilung auf mehrere Perspektiven und Ich-Erzählerinnen, die sich kapitelweise abwechseln, zerstückelt den Lesefluss und erschwert den Zugang zu einer ohnehin sehr fremdartigen Kultur. Zusammenhalt entsteht durch die Querbezüge in den Erzählungen der Frauen, die, obwohl jede ihr eigenes Päckchen zu tragen hat, einander auf anrührende Weise zur Seite stehen. Die Quellen ihres Leids sind die gleichen: eine leistungsorientierte, patriarchalische Gesellschaft mit strikten Hierarchien, die Frauen kaum Chancen zu freier Entfaltung zugestehen. Gleichzeitig fördert die systematische Benachteiligung Rivalität, Eifersucht und Neid zwischen den Frauen, so dass nicht einmal ihre Freundschaften ungefährdet bleiben.