Viel Brust, viel Frust
Ein Kriminalroman soll das sein? Die Handlung bietet wenig, um die Genrezuordnung des Verlages zu rechtfertigen. Überhaupt passiert äußerlich nichts Hervorhebenswertes in Franz Doblers neuem Buch. Man läuft (fährt) halt in München herum, sucht ein paar Leute auf, redet viel über Gott und die Welt, und so plätschern die Episoden dahin.
Seit Robert Fallner, 40, bei seinem letzten Einsatz als Polizist einen Achtzehnjährigen in Notwehr erschoss, ist er nicht mehr auf die Beine gekommen. Den Polizeidienst hat er aufgegeben, die psychotherapeutische Behandlung bietet ihm keine Hilfe, seine Freundin, die Kriminalhauptkommissarin Jaqueline Hosnicz, hat ihn verlassen und ist zu einem Ex-Kollegen übergelaufen.
Nach Silvester kann er in der Security-Firma seines Bruders Hansen (noch ein Ex-Polizist) anfangen und darf gleich einen »Spezialfall« übernehmen, nämlich eine attraktive Sechzigjährige von dem penetranten Stalker befreien, der ihr Leben bedroht. In den Sechziger-, Siebzigerjahren wurde das Softpornosternchen Simone Thomas (bedeutendster Film: »Die Satansmädel von Titting«) als »die späte deutsche Antwort auf Jane Mansfield« gehandelt. Doch jetzt ist die Dame hauptsächlich »schwierig«, sie fühlt sich vergessen, vernachlässigt und ungeliebt. Um der Frau beistehen zu können, wird Fallner als »guter Hirte« in der absurden, traurigen Lebensgeschichte der Frau gründeln, ihr ein bisschen Wärme geben und sie auf harmlose, keusche Weise »glücklich« machen.
Doch nicht so hastig. Erst verquatschen und versaufen wir den Silvesterabend mit dem Helden ausgiebig in »Bertls Eck«, seiner Stammkneipe mit »integrierter Sozialstation«. Die weiteren Gäste (»Veteranen«) sind »der alte Punk Armin«, dessen Körper reichlich tätowiert und mit Metallaccessoires betackert ist, zwei Rentner in »nach Armut riechenden Klamotten« und ihr kleiner Hund. Zu ihrer Konsumation und Konversation dröhnt uralter Punkrock aus der Musikbox. Zu aller Verwunderung schneit vor Mitternacht ein Sextett stark geschminkter Frauen in schwarzen Stiefeln, roten Lackmänteln und Perücken herein; die Anwesenden revitalisieren sich schlagartig, und The Clash weichen Roy Black und seiner Schnulze »Wie ein Schlag ins Gesicht«. Die sechs »attraktiven Sünderinnen« gehören zur Band »Die aufgeregten Killerbienen« und veranstalten just in dieser Kneipe mit dem aparten Setting (»angenehm jenseits der neoliberalen motherfucking Mittelklasseclubs für Dubstep-Ärsche«) ein Foto-Shooting.
Endlich (auf Seite 96) trifft Fallner zum ersten Mal auf Simone Thomas. Die Ex-Sexbombe sitzt in dunkelblau strahlendem Morgenmantel auf einem großen roten Sofa, wirkt aber verstört. Neben ihr lümmeln ihr Sohn (iPhone, schwarze Cowboystiefel) und ihr Agent (in Lauerstellung). Vielleicht, sinniert der Ex-Bulle, könnte der Fall bereits gelöst sein, wenn er das Opfer von der »Plage« ihrer Bezugspersonen befreie. Doch ganz so einfach lässt Franz Dobler seinen Ermittler nicht davonkommen. Erst muss Fallner noch viele, viele weitere Gespräche führen. Trotzdem resümiert er am Ende: »Ich hatte ewig keinen Fall, bei dem so wenig passiert ist, kein Mord, kein Blut ... ich kann mich an kaum einen Fall erinnern, der so mies war.«
Und natürlich hat er Recht. Hat der Autor mit diesem Krimi, der sich irgendwie verweigert, ein solcher zu sein, vielleicht das alte Genre originell umgekrempelt, in neue Bahnen gelenkt? Eine produktive Kreativleistung kann ich nicht erkennen, wo doch einfach mal sämtliche Spielregeln ignoriert wurden. Was übrig bleibt, ist dann halt ein Roman über die einsamen, glücklosen Typen, die sich darin tummeln. Einige sind nur verschroben, andere geradezu unausstehlich (darunter wohl auch Fallner), aber alle sind sie gescheiterte Existenzen, die ihre schlimmen Erfahrungen und trüben Aussichten durch Saufen und Sinnieren kompensieren und sich durch zynisches Sprücheklopfen zu profilieren suchen. Die Stimmung ist depressiv: »Warum sollte man eigentlich leben, wenn man so verflucht wenig Glück hatte?«
Lesenswert und unterhaltsam macht dieses Buch zweierlei: Erstens ist es prall von Anspielungen (zumindest name-dropping) auf die Kultur der letzten fünf, sechs Jahrzehnte. Viereinhalb Seiten mit Quellenhinweisen zu Filmen, Musik, Literatur und Gesetzestexten lassen ahnen, was alles zu entdecken ist, wenn man die dünne Oberfläche des Plots und die einspurige, ziemlich klischeehafte Figurenauswahl erst einmal hinter sich zu lassen bereit ist. Dobler hat als Schriftsteller, Journalist und DJ gearbeitet, ist ein kompetenter Fachmann für Country-Musik und die Entwicklung des Pop und belegt hier umfassende Einblicke in die historische Softpornoproduktion vom Typ »Schulmädchenreport«.
Zweitens hantiert der Autor eindrucksvoll souverän, originell und oft komisch mit Sprache verschiedenster Register. Neben dokumentarisch und juristisch angehauchten Passagen, effektvoll auf eine Pointe hin zugespitzten Episoden, einer Paraphrase der schönen alten Moritat vom Frauenzimmer Sabinchen, witzigen und coolen Sprüchen, wisecracks (»Ich bin der Meinung, dass die Schlampe in Schmuddelfilmchen auch nicht schlimmer ist als ein Heinz Rühmann in Nazifilmchen«), rhetorischen Kunststückchen (Fallner hatte »Polizeikontakte ..., die sein Bruder nicht hatte. Obwohl er einige hatte, die Fallner nicht hatte; inklusive einiger, die nicht einmal existierten; und das waren die wichtigsten«.) und reiner Poesie verstören freilich ein paar trashige Tiefschläge ins Ordinäre, abstoßend Ekelerregende, sexuell Explizite. Wo in der westlichen Welt längst alle Tabus gebrochen sind, belegen solche ›Tabuverletzungen‹ weder Zivilcourage noch künstlerische Innovationskraft.
Franz Doblers exzentrischen, ostentativ finsteren, tristen und dreckigen ›Krimi‹ »Ein Schlag ins Gesicht« mögen seine Fans zum Kultroman hochstilisieren. Mich hat er nicht begeistern können.