Rezension zu »Das Glück ist ein Vogerl« von Ingrid Kaltenegger

Das Glück ist ein Vogerl

von


Belletristik · Hoffmann und Campe · · 304 S. · ISBN 9783455001495
Sprache: de · Herkunft: de

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Nicht ganz reibungslos

Rezension vom 21.11.2017 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Und das Leben ist eine Maschine. Das scheue Vogerl neigt zum Wegflattern, die Maschine zum Trocken­laufen. Linn und Franz Brand­stätter, beide weit jenseits der 40, haben sich mit beidem abge­funden. Umgeben von alten Möbeln, die »nicht ganz reibungs­los funktio­nierten«, bewoh­nen sie das winzige Anwesen, das Linn samt Inventar von ihrer Oma geerbt hat. Gern über­ließen Linns Schwes­tern (beide bereits Besitzer »einwand­frei funk­tionie­render« Immo­bilien) das Häuschen der Jüngsten, aber ihre Anteile (nur eine »symboli­sche Summe«) wollten sie schon sofort ausgezahlt bekommen. Wenn sie mit der Mutter »auf einen Sprung vorbei« schauen, sparen sie nicht mit Ratschlägen, welche Sanierungs­maßnah­men dem Erbstück gut täten, igno­rieren dabei aller­dings, dass keine einzige davon mit den Kredit­kosten für die wunsch­gemäß geleis­teten Ausgleichs­zahlungen kompatibel sind.

Die finanzielle Ausstattung der Familie ist nicht ihr einziges Problem. Für Reibereien sorgt auch Tochter Julie. Zwar ist Desinteresse die Grund­disposi­tion der Vierzehn­jährigen (was auch ihr schuli­sches Engage­ment ausbremst), doch weiß sie geschickt die Gunst der Stunden zu nutzen, in denen ihre Eltern (»völlig abartige Gestalten«, die sie ohne viele Worte verachtet) grantelnd mit sich selbst beschäftigt sind.

An Motivationsdefiziten krankt auch Franz' beruflicher Alltag. Er unter­richtet gelang­weilte Gymnasiasten in Musik, einem Fach, das viele seiner jugend­lichen Klienten nur deshalb gewählt haben, weil sie für Alterna­tiven noch untalen­tierter sind und nicht ahnen, dass sie auch für Franz zu schlecht sind.

Irgendwie ist Franz' ganzes Leben in ein falsches Fahr­wasser gedriftet. Glücksge­fühle erlebt er nur in seinen Träumen, wenn er inmitten seiner früheren Rockband auf der Bühne steht und das Publikum ihm, dem Solo­gitarristen, begeistert zujubelt. Doch nicht einmal auf unge­störtes Traum­duseln kann er sich verlassen, wenn Linns Sing­drossel-Wecker loszwit­schert, die Gattin ihm die kuschelig warme Bettdecke halb wegzieht und dann mit ihren Küchen­gerät­schaften hantiert, während das Radio plärrt. Und das an einem Dienstag, wo er erst zur sechsten Stunde in die Schule muss.

Wir fassen zusammen: Das Familienleben funktioniert nicht ganz reibungslos.

Ausgehend von dieser netten (wenn auch nicht sonderlich originellen) Midlife-Crisis-Konfigu­ration gelingt es der 1971 in Salzburg geborenen Autorin Ingrid Kaltenegger, eine unter­halt­same, sympathisch-brave Handlung mit märchen­haften Einspreng­seln zu entwickeln. Die Initial­zündung bringt ein Buch im Buch, »Fahrstuhl zum Glück« von Scott Acton, eine leicht verständ­liche Lebens­hilfe zu »Sex, Spiritualität, Selbst­verwirk­lichung, Anerken­nung, Liebe, Erfolg und Geld«. Eine Arbeits­kollegin hat Linn diesen Univer­sal-Ratgeber geschenkt, und dessen Lektüre inspiriert sie, die Rettung ihrer Ehe in Angriff zu nehmen.

So findet sich der frustrierte Möchtegern-Rockstar Franz alsbald in einem traumhaft gelegenen Kärntner Berghotel, um bei einem Life-Balance-Workshop-Wochen­endsemi­nar von dem in den USA gefeierten Life-Coach zu lernen, wie man sich richtig fallen lässt. Denn dann funktio­niert die Methode The Elevator to Happiness ganz leicht. Man drücke nur den richtigen Button im Fahrstuhl, und schwupps erreicht man sein persön­liches Happiness-Level.

Aber es ist nicht das für einen Rationalisten und Miesepeter schwer verdauliche Getue ums Medi­tieren und Ent­spannen, das Franz schier in den Wahnsinn und umgehend in den Zug zurück nach Salzburg treibt, sondern ein Geist wider Willen und ohne Überzeu­gung namens Egon Stachowiak. Als der ihm leibhaftig im Seminar­raum erscheint, erkennt ihn Franz sogleich wieder. Er war es, der sich neulich im zähflie­ßenden Verkehr (Stop-and-go, aber »von Go konnte eigentlich nicht die Rede sein«) dreist an ihm vorbei­gedrän­gelt hatte und an der nächsten Kreuzung fatal mit einem LKW kollidiert war. Wie paralysiert durch­leidet Franz die Szene erneut: Wäre Egon ihm nicht so forsch zuvorge­kommen, hätte der LKW dann nicht ihn zermalmt?

Von nun an hat Franz einen Schatten neben sich, mit dem er eine Symbiose eingeht. Egon braucht ihn, um die Erfüllung eines großen Wunsches, die der Unfall vereitelt hat, posthum doch noch zu bewerk­stelligen. Dafür berät er Franz, wie der seines stetig wach­senden Problem­bergs Herr werden kann. Denn Linn ist hin und weg von ihrem amerika­nischen Guru, und Julie schwankt zwischen Wut und Liebes­schmerz, weil »Freundin« Tamara ihr den Schwarm direkt vor der Nase wegge­schnappt hat.

Die Handlung ist eine Sache, das reizende Öster­reich-Flair eine andere, mit der Ingrid Kalteneggers Debüt­roman (jeden­falls bei deutschen Lese­rinnen und Lesern) Sympathien einheim­sen kann. Bereits der Titel verheißt einen char­manten Tonfall – ein Wiener Volkslied aus dem 19. Jahr­hundert, dessen melancho­lisch-tröstliche Trivial­weis­heiten man sich getrost im Hans-Moser-Singsang vorstellen darf: »Das Glück is a Vogerl, | gar liab, aber scheu, | es lasst si schwer fangen, | aber fortg'flogn is glei«.

Landesüblich wird den Namen der Artikel voran­gestellt, und immer wieder blitzen Perlen des Vokabulars auf, deren Bedeutungs­facetten der Kontext nur teilweise heraus­rückt: Zwischen dem »Geschirr­hangerl« und dem »hatscher­ten Fuß« (für Anfänger) und einem »Wappler« oder »Gfrast« (für Integrations­willige) bieten sich viele Gelegen­heiten zur Schulung einer klang­vollen Aussprache.

Dem Vogerl des kleinen Glücks haschen alle Beteilig­ten dieser Geschichte hinter­her. Franz sucht es, indem er sich aus dem kaum mehr erträg­lichen Alltag in die Jugend­zeit zurück­träumt, als das Liebes­aben­teuer mit Linn seinen Anfang nahm. Jetzt scheint sie ihm zu entrinnen. Linn träumt von einem anderen Leben, wobei der Mann, der sie dort begleitet, durchaus auch ihr Franz bleiben könnte, wenn er sich denn nicht so lusch gehen lassen würde.

Da braucht das Vogerl sich gar nicht zu überan­strengen und ein schnulziges Happy End herbei­zuzwit­schern. Linn und Franz schaffen es (fast) ganz allein, ihre Reibungs­flächen auf pragma­tische Weise ein wenig zu reduzieren und sich auf mitt­lerem Happiness-Level einzu­pendeln.


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