Nicht ganz reibungslos
Und das Leben ist eine Maschine. Das scheue Vogerl neigt zum Wegflattern, die Maschine zum Trockenlaufen. Linn und Franz Brandstätter, beide weit jenseits der 40, haben sich mit beidem abgefunden. Umgeben von alten Möbeln, die »nicht ganz reibungslos funktionierten«, bewohnen sie das winzige Anwesen, das Linn samt Inventar von ihrer Oma geerbt hat. Gern überließen Linns Schwestern (beide bereits Besitzer »einwandfrei funktionierender« Immobilien) das Häuschen der Jüngsten, aber ihre Anteile (nur eine »symbolische Summe«) wollten sie schon sofort ausgezahlt bekommen. Wenn sie mit der Mutter »auf einen Sprung vorbei« schauen, sparen sie nicht mit Ratschlägen, welche Sanierungsmaßnahmen dem Erbstück gut täten, ignorieren dabei allerdings, dass keine einzige davon mit den Kreditkosten für die wunschgemäß geleisteten Ausgleichszahlungen kompatibel sind.
Die finanzielle Ausstattung der Familie ist nicht ihr einziges Problem. Für Reibereien sorgt auch Tochter Julie. Zwar ist Desinteresse die Grunddisposition der Vierzehnjährigen (was auch ihr schulisches Engagement ausbremst), doch weiß sie geschickt die Gunst der Stunden zu nutzen, in denen ihre Eltern (»völlig abartige Gestalten«, die sie ohne viele Worte verachtet) grantelnd mit sich selbst beschäftigt sind.
An Motivationsdefiziten krankt auch Franz' beruflicher Alltag. Er unterrichtet gelangweilte Gymnasiasten in Musik, einem Fach, das viele seiner jugendlichen Klienten nur deshalb gewählt haben, weil sie für Alternativen noch untalentierter sind und nicht ahnen, dass sie auch für Franz zu schlecht sind.
Irgendwie ist Franz' ganzes Leben in ein falsches Fahrwasser gedriftet. Glücksgefühle erlebt er nur in seinen Träumen, wenn er inmitten seiner früheren Rockband auf der Bühne steht und das Publikum ihm, dem Sologitarristen, begeistert zujubelt. Doch nicht einmal auf ungestörtes Traumduseln kann er sich verlassen, wenn Linns Singdrossel-Wecker loszwitschert, die Gattin ihm die kuschelig warme Bettdecke halb wegzieht und dann mit ihren Küchengerätschaften hantiert, während das Radio plärrt. Und das an einem Dienstag, wo er erst zur sechsten Stunde in die Schule muss.
Wir fassen zusammen: Das Familienleben funktioniert nicht ganz reibungslos.
Ausgehend von dieser netten (wenn auch nicht sonderlich originellen) Midlife-Crisis-Konfiguration gelingt es der 1971 in Salzburg geborenen Autorin Ingrid Kaltenegger, eine unterhaltsame, sympathisch-brave Handlung mit märchenhaften Einsprengseln zu entwickeln. Die Initialzündung bringt ein Buch im Buch, »Fahrstuhl zum Glück« von Scott Acton, eine leicht verständliche Lebenshilfe zu »Sex, Spiritualität, Selbstverwirklichung, Anerkennung, Liebe, Erfolg und Geld«. Eine Arbeitskollegin hat Linn diesen Universal-Ratgeber geschenkt, und dessen Lektüre inspiriert sie, die Rettung ihrer Ehe in Angriff zu nehmen.
So findet sich der frustrierte Möchtegern-Rockstar Franz alsbald in einem traumhaft gelegenen Kärntner Berghotel, um bei einem Life-Balance-Workshop-Wochenendseminar von dem in den USA gefeierten Life-Coach zu lernen, wie man sich richtig fallen lässt. Denn dann funktioniert die Methode The Elevator to Happiness ganz leicht. Man drücke nur den richtigen Button im Fahrstuhl, und schwupps erreicht man sein persönliches Happiness-Level.
Aber es ist nicht das für einen Rationalisten und Miesepeter schwer verdauliche Getue ums Meditieren und Entspannen, das Franz schier in den Wahnsinn und umgehend in den Zug zurück nach Salzburg treibt, sondern ein Geist wider Willen und ohne Überzeugung namens Egon Stachowiak. Als der ihm leibhaftig im Seminarraum erscheint, erkennt ihn Franz sogleich wieder. Er war es, der sich neulich im zähfließenden Verkehr (Stop-and-go, aber »von Go konnte eigentlich nicht die Rede sein«) dreist an ihm vorbeigedrängelt hatte und an der nächsten Kreuzung fatal mit einem LKW kollidiert war. Wie paralysiert durchleidet Franz die Szene erneut: Wäre Egon ihm nicht so forsch zuvorgekommen, hätte der LKW dann nicht ihn zermalmt?
Von nun an hat Franz einen Schatten neben sich, mit dem er eine Symbiose eingeht. Egon braucht ihn, um die Erfüllung eines großen Wunsches, die der Unfall vereitelt hat, posthum doch noch zu bewerkstelligen. Dafür berät er Franz, wie der seines stetig wachsenden Problembergs Herr werden kann. Denn Linn ist hin und weg von ihrem amerikanischen Guru, und Julie schwankt zwischen Wut und Liebesschmerz, weil »Freundin« Tamara ihr den Schwarm direkt vor der Nase weggeschnappt hat.
Die Handlung ist eine Sache, das reizende Österreich-Flair eine andere, mit der Ingrid Kalteneggers Debütroman (jedenfalls bei deutschen Leserinnen und Lesern) Sympathien einheimsen kann. Bereits der Titel verheißt einen charmanten Tonfall – ein Wiener Volkslied aus dem 19. Jahrhundert, dessen melancholisch-tröstliche Trivialweisheiten man sich getrost im Hans-Moser-Singsang vorstellen darf: »Das Glück is a Vogerl, | gar liab, aber scheu, | es lasst si schwer fangen, | aber fortg'flogn is glei«.
Landesüblich wird den Namen der Artikel vorangestellt, und immer wieder blitzen Perlen des Vokabulars auf, deren Bedeutungsfacetten der Kontext nur teilweise herausrückt: Zwischen dem »Geschirrhangerl« und dem »hatscherten Fuß« (für Anfänger) und einem »Wappler« oder »Gfrast« (für Integrationswillige) bieten sich viele Gelegenheiten zur Schulung einer klangvollen Aussprache.
Dem Vogerl des kleinen Glücks haschen alle Beteiligten dieser Geschichte hinterher. Franz sucht es, indem er sich aus dem kaum mehr erträglichen Alltag in die Jugendzeit zurückträumt, als das Liebesabenteuer mit Linn seinen Anfang nahm. Jetzt scheint sie ihm zu entrinnen. Linn träumt von einem anderen Leben, wobei der Mann, der sie dort begleitet, durchaus auch ihr Franz bleiben könnte, wenn er sich denn nicht so lusch gehen lassen würde.
Da braucht das Vogerl sich gar nicht zu überanstrengen und ein schnulziges Happy End herbeizuzwitschern. Linn und Franz schaffen es (fast) ganz allein, ihre Reibungsflächen auf pragmatische Weise ein wenig zu reduzieren und sich auf mittlerem Happiness-Level einzupendeln.