Rezension zu »Ein Paradies für alle« von Justus Pfaue

Ein Paradies für alle

von


Historischer Roman · Marion von Schröder · · Gebunden · 440 S. · ISBN 9783547711684
Sprache: de · Herkunft: de

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Willkommen bei Wertheim - der Einkaufskathedrale

Rezension vom 26.09.2010 · noch unbewertet mit 1 Kommentaren

In der Blüte der Gründerjahre erkennen Georg Wertheim und seine Brüder eine noch nie dagewesene Geschäftsidee und gründen gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Kaufhaus mit großem, breit gefächertem Angebot zu günstigen Preisen. Aus der Idee entwickelt sich rasch ein großer Konzern mit zahlreichen Niederlassungen. Diese Erfolgsstory und ihr geschichtliches Umfeld ist der Stoff des Romans "Ein Paradies für alle" von Justus Pfaue.

Georg Wertheim entstammt einer armen Tuchhändlerfamilie. Mit seinen Brüdern gründet er 1888 das erste Warenhaus in Berlin. Es ist das größte der Welt. Hier wird alles feilgeboten – zu Festpreisen (denn "Time is money" – Feilschen kostet nur Zeit) und mit Umtauschrecht. Kein Ramsch – für die gehobene Kundschaft wird Luxus geboten. Vor allem soll Einkaufen ein Erlebnis sein. Dazu trägt die revolutionäre Architektur mit viel natürlichem Licht bei: Unter einem gewölbten, kuppelähnlichen Glasdach trifft man sich mittenmang an der Champagnerbar. Das leicht bekleidete "Girl next door" von der neuen amerikanischen Coca-Cola-Werbung lächelt den Herrschaften zu. Ob arm, ob reich, in solchen Verkaufsräumen verweilen die Berliner gern.

Und nicht nur die: Selbst der Monarch Wilhelm II. gibt sich die Ehre – sein Besuch ist ein Highlight für die Bürger, aber an Georg bleiben kostspielige kaiserliche Spendenforderungen hängen.

Aus New York macht sich der reiche Unternehmer Bloomingdale auf den Weg nach Berlin. Er ist beeindruckt und gratuliert Georg mit den Worten "Wir Amis haben ihre Ideen abgekupfert."

Über Jahre hin stehen die Berliner oft Schlange, um bei Wertheim das zu kaufen, was en vogue ist. Alle wollen aussehen wie Marlene Dietrich im Film "Der blaue Engel": von der Haartracht bis zum Schuh – von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.

Täglich erscheint Georg Wertheim pünktlich im Kontor, studiert die Geschäfts- und Umsatzzahlen. Seine Geliebte Hanna Berger inspiziert derweil das Kaufhaus. Alles muss adrett und freundlich sein: "Der Kunde ist König." Neben der Gewinnmaximierung hat Georg ein ausgeprägtes soziales Verantwortungsgefühl. Seinen Angestellten zahlt er vergleichsweise gute Löhne, beteiligt sie am Umsatz. Er lässt Sozialwohnungen bauen, und in den Jahren des Ersten Weltkriegs verteilt er Armenspeisungen. Aber das ist schnell vergessen, denn der arme Pöbel läuft im um sich greifenden Nationalsozialismus einem Rattenfänger hinterher.

Dann springt der Roman zurück ins Jahr 1871 nach Stralsund. In chronologischer Folge wird die Familiengeschichte der Wertheims ausführlichst beschrieben. Zunächst gehen die Brüder Georg und Hugo nach Berlin, um beim reichen Onkel Wolf von der Pike auf alles über den Tuchhandel zu lernen.

Anschließend kehren sie nach Stralsund zurück, um hier – und später in Rostock – ihre Geschäfte zu eröffnen. Ein Vermögen machen sie erst mit ihren Kaufhäusern in Berlin. Dort gehören sie zu den reichsten Bürgern der Stadt. Von 120 Vermögenden sind 80 jüdischer Herkunft. Das schafft in der Atmosphäre des sich aufheizenden Antisemitismus böses Blut. So lassen sich viele taufen, auch Georg Wertheim; es ist dann auch weniger schwierig, Baugenehmigungen zu erhalten.

Neider und Konkurrenten haben keine Hemmungen, sein Kaufhaus zu demolieren. Antisemitismus und andere Vorurteile finden den fruchtbarsten Nährboden in den Kreisen, denen es schlecht geht; die neu gegründete NSDAP und Zeitungen wie "Die Wahrheit" schüren den Hass systematisch, aus eigenem Interesse. "Hep, Hep, Judendreck" ist eine der Furcht erregenden gängigen Parolen.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwingt Wertheim schließlich, seine Geschäftsanteile zu "arisieren", aber die "Endlösung" erlebt er nicht mehr, denn er stirbt 1939 an einer Lungenentzündung.

Justus Pfaue ist es gelungen, einen Roman zu schreiben, der Fiktion und Realität so dicht miteinander verbindet, dass man ihn fast für einen Tatsachenbericht halten kann. Sein Sprachstil ist pfiffig und niveauvoll. Die Geschichte der Dynastie Wertheim ist spannend. In Stralsund waren sie bettelarm, und Mutter Ida hatte immer das Sagen. Sohn Hugo, der Frauenschwarm, und Wolf, der Gigolo, machen der Familie Sorgen. Georg liebt die Anonymität und genießt sein Leben mit Hanna, der Frau, die mit ihm durch Höhen und Tiefen des Lebens geht. Warum er sie nicht heiraten kann, wird erst spät, durch einen Zufall, aufgeklärt. Wie all diese Familienmitglieder (darunter "Emporkömmlinge" und "Neureiche") leben, wie sie mit ihrem Vermögen umgehen und es durch kontinuierliche Pflege der Geschäftsbeziehungen, auf Empfängen, Jagdgesellschaften u.ä. vermehren oder aber verspielen – all das ist faszinierend zu lesen.

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Kommentare

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Zu »Ein Paradies für alle« von Justus Pfaue wurden 1 Kommentare verfasst:

Sylvia Ruf schrieb am 13.03.2014:

Selten war ich so traurig, als ich ein Buch zu Ende gelesen hatte. Ich hätte ewig weiterlesen können.... Dieser grandiose Erzählstil, diese grenzenlose Phantasie verbunden mit tatsächlichen Daten ist einfach meisterhaft. Ich werde in naher Zukunft das Buch nocheinmal lesen und gerne weiterempfehlen.

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