Parallelwelten aus Zuckerwatte
Lionel Shrivers Buch dreht sich um drei Hauptfiguren: Lawrence, intellektuell und politisch engagiert, lebt seit mehreren Jahren mit Irina in einem eheähnlichen Zustand. Die dritte Person ist der etwas dümmliche Snookerspieler Ramsey.
Irina fühlt sich zu beiden Männern hingezogen. Bei Ramsey allerdings ist die sexuelle Anziehungskraft stärker. Mit ihm sucht sie den ultimativen Kick, keine romantische, zartfühlende Beziehung. Um das auch so richtig zu verdeutlichen, gebraucht Lionel Shriver in diesen Passagen ein – nach meinem Empfinden – ekliges, abstoßendes und Frauen entwürdigendes Vokabular.
Wenn man darüber hinweglesen kann und das Buch hier nicht zur Seite legt, so gewinnen Inhalt und literarischer Wert. In kurzen abgeschlossenen Episoden beschreibt Shriver das weitere Leben der drei Personen.
Irina, die mittlerweile kurz und schmerzlos Ramsey geheiratet hat, lebt mit diesem ein Leben, das durch das Snookerspiel diktiert wird. Es steht im Gegensatz zu ihrem Alltagsleben mit Lawrence. Beide Welten bleiben bestehen und verlaufen parallel, aber doch mit feinen, zum Teil konträren Unterschieden.
Lionel Shriver springt zwischen den beiden jetzt erschaffenen Partnerschaften hin und her, wie ein Windows-Anwender zwischen den verschiedenen geöffneten Anwendungen seines Computers hin und her switcht.
Die Autorin baut ein äußeres Handlungsgerüst, das für beide Parallelwelten gleich ist. Innerhalb dieser Rahmen können die hier beschriebenen Personen sich völlig unterschiedlich verhalten. Auch äußere Bedingungen können sich verändern. In der einen Welt stellen sie ein belastendes Problem dar, in der anderen Welt verläuft die Handlung darin hingegen reibungslos.
Der Leser kann nicht mehr unterscheiden, welche der beiden Welten der Fantasie entsprungen ist und welche eine wirkliche Realität darstellen könnte. Beide Schicksale sind möglich. "Es gibt keinen richtigen Weg, gegen den alle anderen Wege nichts taugen". Das macht den Roman zu einem interessanten Gedankenmodell.