Rezension zu »Wunsiedel« von Michael Buselmeier

Wunsiedel

von


Ein junger Schauspieler bekommt 1964 seine erste Anstellung bei einer Provinzbühne und scheitert dort mit all seinen Theater- und Lebensidealen. Vier Jahrzehnte später sucht er die Stätten des Desasters erneut auf und erkennt nicht nur seine damaligen Unzulänglichkeiten, sondern auch, welche Schätze ihm damals in seiner Verbitterung verborgen blieben.
Belletristik · Wunderhorn · · 158 S. · ISBN 9783884233627
Sprache: de · Herkunft: de

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Hass Liebe

Rezension vom 04.11.2011 · 3 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

Das Scheitern eines Schauspieler-Novizen, seine auf den Ort und seine Mitmen­schen projizier­ten Selbst­zweifel, seine späte Rückkehr und die Reha­bilitie­rung des damals Verschmäh­ten – ist das nicht ein arg triviales Sujet? Mag sein – aber das Lesen dieses Kleinods von einem Roman ist ein Genuss, fasziniert, macht süchtig. Wie das?

Da ist der ästhetische, bildkräftige Sprachstil, der einen genussvoll gleitenden Lesefluss erlaubt und alle Sinne anspricht. Buselmeiers Prosa entfaltet sich meisterlich an fachkun­digen Natur­schilde­rungen, anfangs überlagert von selbst­quäleri­schen Emp­findun­gen, bei der Rückkehr 2008 befreit, geradezu jubilierend, mit hochprä­zisen Sinnes­eindrü­cken von flirrender Hitze, Tierlauten, Gerüchen, Wolken ... Oft ist der Satzbau gebrochen mit Auf­zählun­gen, Partizipien, Fragmenten, passend zur assozia­tiven Erzähl­struktur.

Die Themen der Absätze wechseln scheinbar ohne System und doch in ruhigem Rhythmus zwischen den Zeiten, Personen, Land­schaften und erfassen weit mehr, als die Gattungs­bezeich­nung (»ein Theater­roman«) erwarten lässt. Reizvoll die vielen Charakter­studien – der Spezies Schau­spieler, einiger Wunsiedler Bürger, der Mutter, der Freundin und ihrer Familie; auf­schluss­reich die prägnanten Exkurse über »Götz von Ber­lichin­gen«, über Theater­theorien und ­praxis; fein die kleinen Einblicke in vitae und Werke diverser Künstler – Goethe, Hans Sachs, Richard Wagner und allen voran Jean Paul, Wunsiedels bedeu­tends­ter Sohn. Dessen irrwitzige, heute weithin unbekannten Romane studierte Schoppe vor Ort, und Buselmeiers alt­meister­liche Wortkunst ist offenkundig an Vorbildern wie Jean Paul geschult.

Da ist die Relativität der Perspektive: Ich­Erzähler Moritz Schoppe durchlebt in der Rückschau erneut und en detail seine Initiation in der Theater­Welt.

Nach den üblichen Vertröstungen auf der Suche nach einem Engagement findet der junge Idealist endlich einen, der ihn ernst nimmt und etwas zu sagen hat: Friedrich Siems, den Intendanten der Luisenburg­Festspiele in Wunsiedel, Oberfranken. Der stellt ihn als Regie­assisten­ten für die Sommer­saison 1964 ein, gibt ihm Anerkennung, Ver­antwor­tung und Perspektive. Schoppe schickt sich an, die Theaterwelt zu erobern und zu revolu­tionie­ren. Doch leider stirbt Siems unerwartet. Als Schoppe seine Arbeit unter Siems' Nachfolger Christian Mettin aufnimmt, erkennt er schnell, dass intellek­tuelles Mittelmaß, gewohnheits­mäßiges Desinte­resse, abge­stumpfte Routinen, fassaden­hafte Charaktere die Arbeit an Deutsch­lands ältester Freilicht­bühne bestimmen. Offene Ablehnung, höhnische De­mütigun­gen drücken ihn nieder, verbittern ihn; er wird passiv, orien­tierungs­los, hasserfüllt. Schließlich verliert er noch seine Heidel­berger Freundin Ulla an einen Rivalen.

Bei allem Verständnis für die Leiden des jungen Stürmers und Drängers in seiner »Wunsiedeler Theater­gruft« hält sich unsere Sympathie für ihn jedoch in Grenzen, denn nach und nach seziert der Erzähler sein Jugend­bildnis schonungs­los: »eine Mischung aus Anmaßung und Furcht­samkeit, Ich­Besessen­heit und Depression, aus Besser­wisserei und der Unfähigkeit, standzu­halten und etwas zu leisten. Ich lief ... wie ein offenes Messer herum ... Ich hatte die aller­höchs­ten Ansprüche an mich, an die anderen und an den Weltkreis, brachte aber so gut wie nichts zustande«.

Was klingen mag wie strafende Selbstverachtung, ist aber »Staunen über mich selbst«, ausgelöst durch die Rückkehr an den Schauplatz der »zehn lehrreiche[n] Lebens­ und Leidens­wochen« nach vierund­vierzig Jahren. Das Wunsiedel revisited­Erlebnis ermöglicht es dem gereiften, lebens­weisen Erzähler, abzurechnen mit sich und seinen Erfahrungen, und er wird frei für bisher verstellte, überra­schende Perspek­tiven auf den anrührenden Ort, die herbe Landschaft. Er erlebt eine »sanfte Amnesie«.

Schoppes ganzes Leben bis zur Abreise aus Wunsiedel ist eine Geschichte der Verluste, des Verlierens, der erzwungenen schmerz­haften Abschiede: von den Handpuppen des Knaben; von der Mutter, die ihn in einem Heim zurückließ; von Ulla; von den Illusionen und der Kompro­misslosig­keit des Idealisten.

Schließlich ist da der Reiz des Autobiographischen: Ist Moritz Schoppes Selbst­findungs­weg vom Schauspiel­Eleven, enthusias­tisch, aber an der Realität scheiternd, zum gesetzten Schrift­steller, mit sich und der Welt im Reinen, bloße Fiktion? Gedanken­spiele über das Theater, die Kunst, das Leben, und Wunsiedel ist ihr Katalysator (Der Autor hätte aber auch Bad Hersfeld wählen können ...)? Oder ist Schoppe Buselmeiers Alter Ego? Der Autor selbdritt: Schaut Buselmeier (alt) durch Schoppe (alt) auf Schoppe (jung) , dabei auch Buselmeier (jung) ins Visier nehmend, ohne sich vollständig outen zu müssen? Schon 1989 hatte Buselmeier »Schoppe. Ein Landroman« Michael Buselmeier: »Schoppe. Ein Landroman« bei Amazon veröffent­licht ... Gab es 1964 einen Regie­assisten­ten Michael Buselmeier auf der Luisenburg? (Leider ist deren Archiv noch nicht im Internet einsehbar.) Fest steht: Nur einer, der Wunsiedel damals selbst erforscht hat, kann die Gässchen, den Marktplatz, die Gaststätten, den Bahnhof, bestimmte Einwohner der titel­geben­den Kleinstadt in ihrem Zustand jener längst vergangenen Epoche so akribisch, so detail­verliebt und vor allem so authentisch ins Leben zurück holen wie der Autor. Und auch mit den Be­sprechungs­räumen und Garderoben, dem gewaltigen Felsgebirge auf der Freilicht­bühne, den unterirdi­schen Labyrinthen, dank derer die Schau­spieler links unten abgehen und ganz oben, quasi aus den Wolken herab, wieder auftauchen können, muss er bestens vertraut sein.

Wie dem auch sei: Als windfall profit holt dieser erfolg­reiche Roman (in die Shortlist des Deutschen Buch­preises 2011 auf­genom­men) die »kleine, aber gute lichte Stadt« (Jean Paul) ein wenig aus ihrer Schatten­lage. Seit Jahrzehnten zählt die herbe, notorisch unterkühlte Gegend unver­dienter­maßen zu den Verlierern. Weitab von den Transit­wegen, erst »Zonen­rand­gebiet«, dann, nach dem Fall des nahen »Eisernen Vorhangs«, chancenlos gegen die »Billig­lohn­länder«, sind viele Einwohner weggezogen, um ihr Glück anderswo zu suchen. Die heimischen Märkte sind wegge­brochen, Gebäude verfallen, Niveaus gesunken, Touristen ausge­blieben. Obwohl Moritz Schoppe das Provinz­theater der Luisenburg­Festspiele schon in der Blütezeit der Sechziger als plumpe Anbiederung an die schlichten Bedürfnisse des ländlichen Publikums verachtet und der Autor den Niedergang der Stadt bis 2008 ungeschönt vor Augen führt, ist Buselmeiers Ton stets gelassen, niemals böse, eher wehmütig­bedauernd. Die Wunsiedel gewidmeten Teile seines Romans klingen wie verhaltene Liebes­erklärun­gen an das Städtchen und seine Umgebung.


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Kommentare

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Zu »Wunsiedel« von Michael Buselmeier wurden 1 Kommentare verfasst:

Johannes Molitor schrieb am 23.07.2013:

Den Beobachtungen zu Buselmeiers Stil möchte ich heftig widersprechen. "Buselmeiers Ton stets gelassen, niemals böse"? Was ist mit den hämischen, gehässigen Passagen zu den Theaterleuten? Ich lese:"der ästhetische, bildkräftige Sprachstil"? Ich finde Buselmeiers Schreibweise schwankend zwischen blass, epigonenhaft und forciert poetisch. Eine Fülle von Stilblüten ließe sich zitieren. Wie ein sprachlich so schwaches Buch 2011 auf die shortlist geriet, bleibt mir unerfindlich.

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