Rezension zu »Clark & Division« von Naomi Hirahara

Clark & Division

von


Nach dem Kriegseintritt Japans gerät die gesamte Gruppe japanischstämmiger Staatsbürger der USA unter Generalverdacht. Sie werden als potenzielle Staatsfeinde ausgesondert. Hat der Tod einer jungen US-Japanerin etwas mit dieser Hysterie zu tun?
Kriminalroman · ars vivendi · · 272 S. · ISBN 9783747204221
Sprache: de · Herkunft: us

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Der Feind wohnt nebenan

Rezension vom 10.07.2023 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Im Jahr 1944 freuen sich Aki Ito, 22, und ihre Eltern – eine japa­nisch­stäm­mige Familie in Kali­fornien – darauf, Akis ältere Schwester wieder in die Arme schließen zu können. Rose hatte im Jahr davor die Geneh­migung erhalten, alleine wegzu­ziehen, und hat sich in Chicago ein einfaches Leben einge­richtet. Sie fand Arbeit in einer Süß­waren­fabrik, schickt ihrer Familie, die zurück­bleiben musste, Post­karten und sucht schon nach einer Wohnung für alle in einem Viertel, wo sich viele Japaner ansiedeln.

Bei ihrer Ankunft in Chicago erwartet die Familie Ito eine erschüt­ternde Nachricht: Am Abend zuvor habe Rose in der U-Bahn-Station an der Kreuzung Clark Street und Division Street Selbst­mord begangen. Aki aller­dings kann nicht hinnehmen, wie die Polizei den Tod ihrer geliebten Schwester erklärt. Sie kennt Rose schließ­lich genau und hat sie gerade wegen ihrer beson­nenen, kämpferi­schen, optimis­tischen Art ihr Leben lang bewundert. So nimmt sie Nach­forschun­gen auf, liest die Aufzeich­nungen in dem Tagebuch, das sie Rose zum Abschied geschenkt hatte, befragt Leute in Roses Umfeld und kommt bald zu ganz anderen, erschre­ckenden Erkennt­nissen.

Dies ist der Beginn der Krimi-Handlung, die sich durch »Clark & Division« zieht, den Roman, für den die 1962 in Pasadena geborene Schrift­stellerin Naomi Hirahara 2022 mit dem »Edward Award« geehrt wurde und der nun in der Über­setzung von Karen Witthuhn auf Deutsch vorliegt. Sonder­lich packend ist dieser Plot freilich nicht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Genre­zuord­nung ›Kriminal­roman‹ nur Lockvogel ist für ein Thema, das der Autorin in Wahrheit am Herzen liegt: ein weiteres häss­liches Kapitel der Ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts, das man lieber verschämt unter der Decke hält als es aufzu­arbeiten. Immerhin ent­schul­digte sich 1988 Präsident Ronald Reagan im Namen der US-Regierung für ein auf »Rassismus, Vorur­teilen und Kriegs­hysterie« basie­rendes Verhalten seiner Vorgänger.

Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist der legendäre Über­raschungs­angriff, den die Kaiser­lich Japa­ni­schen Marine­luft­streit­kräfte am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbor flogen, den Hafen auf der Insel Hawaii, wo die amerika­nische Pazifik­flotte vor Anker lag. Bedeu­tender als die dabei verur­sachten mate­riellen Schäden waren die Folgen für den Welt­frieden: Am Tag darauf erklärte Präsident Franklin D. Roosevelt Japan den Krieg, drei Tage später folgte die Kriegs­erklä­rung des mit Japan verbün­deten Deutschen Reichs und Italiens an die USA, und damit umspann­ten die offi­ziellen Allianzen, verbind­lichen Feind­schaften und kriegeri­schen Aus­einander­setzungen tat­sächlich die ganze Welt. Insbe­sondere waren die mächtigen Verei­nigten Staaten, die zuvor zwar ihre Alli­ierten tatkräf­tig unter­stützt, aber auf eine neutrale Haltung geachtet hatten, nun direkt invol­viert. Der pazifi­sche Krieg würde erst drei­einhalb Jahre später mit der Kapitu­lation Japans enden, nachdem die USA zwei Atom­bomben einge­setzt hatten.

Ebenso wichtig wie die militä­rischen Folgen des Pearl-Harbor-Zwischen­falls waren dessen psycho­logische Aus­wirkun­gen auf die ameri­kanische Bevöl­kerung. Die hatte bis dahin keine Beziehung zu den fernen Schlach­ten und wollte vor allem Frieden, doch nach Pearl Harbor befür­wortete sie den von ihrer Regierung propa­gierten Kriegs­eintritt.

Gleich nach der als »heim­tückisch« bewer­teten Attacke auf halbem Weg zwischen Japan und Kali­fornien schürte die Regierung die Befürch­tung, dass viele japa­nisch­stäm­mige Mitbürger mit ihrem Heimat­land sympathi­sieren und nach der Kriegs­erklärung der USA irgendwie mit dem Feind kollabo­rieren würden. Sogar die Gefahr einer japa­ni­schen Invasion an der Westküste wurde herauf­be­schwo­ren. Also wurden einfach alle aus dieser Gruppe als Sicher­heits­risiko einge­stuft und als »Enemy Alien« unter strenge Be­obach­tung gestellt. Unter Feder­führung einer speziell einge­richteten Kriegs-Umsiede­lungs-Behörde (»War Relo­cation Authority«) wurden weit über hundert­tausend Männer, Frauen und Kinder in rasch aus dem Boden ge­stampf­ten, primi­tiven Inter­nierungs­lagern im Westen der Verei­nigten Staaten einge­sperrt, bewacht und terrori­siert. Die Propa­ganda-Kam­pagne, die eine komplette Bevöl­kerungs­gruppe unter General­verdacht stellte und radikal aus der Zivil­gesell­schaft, in der sie sich zuvor nichts hatten zu Schulden kommen lassen, aus­grenzte, nahm hyste­rische Züge an und gipfelte in dem zynisch-grausamen Einsatz­befehl an inhaf­tierte junge Japaner, sie sollten nun ihre Loyalität beweisen, indem sie als Soldaten der US Army in allen Kriegs­gebieten ihr Leben einsetzen, auch im Kampf gegen ihr eigenes Volk.

Der Roman »Clark & Division« versetzt seine Leser in die Tage nach dem japa­ni­schen Überfall. Schon Jahr­zehnte zuvor waren »Issei« (japa­ni­sche Einwan­derer in erster Gene­ration) in die Verei­nigten Staaten gekommen und hatten sich dort ein neues Leben einge­richtet. Die Ameri­kaner respek­tierten die Gemein­schaf­ten, die autark im eigenen Milieu lebten und zum Beispiel Land für Gemüse- und Obstanbau er­schlos­sen, gaben ihnen die Staats­bürger­schaft, akzep­tierten sie aber keines­wegs unum­schränkt. Doch kleinere und größere Dis­kriminie­rungen, wie sie auch Rose wider­fuhren, konnten deren Kampf­geist nicht mindern. »Lass sie ja nie glauben, dass sie etwas Besse­res sind«, flüsterte sie Aki einmal ins Ohr.

Was es bedeutet, von einem Tag zum anderen zur uner­wünsch­ten Person zu werden, als Gefahr für die nationale Sicher­heit verab­scheut zu werden, schildert Aki, die Ich-Erzäh­lerin. Mit Kriegs­beginn wird der Alltag ihrer Familie und der Gemüse­handel des Vaters stark einge­schränkt, etwa durch eine Sperr­stunde, die nur den Japanern auferlegt wird. Nach und nach ver­schwin­den Freunde, Nachbarn, Lehrer, Priester aus Akis Umfeld. Sie werden ins Gefängnis gesteckt, später an unbe­kannte Orte ver­frachtet. Im März 1942 werden »alle Personen japa­ni­scher Ab­stam­mung« über Flug­blätter aufge­fordert, sich innerhalb einer Woche an Sammel­punkten zum Ab­trans­port einzu­finden. Mit wenigen Hab­selig­keiten werden die Itos und andere im Ba­racken­lager Manzanar im Osten Kalifor­niens ein­quartiert.

Auch hier engagiert sich Rose gegen Unrecht, wie sie das schon zu Hause getan hatte. Die Lager­leitung honoriert ihre Haltung und gestattet ihr bereits im September 1943, die Einrich­tung vorzeitig zu verlassen, um an der nächsten Phase des ver­pflich­tenden Um­siedlungs­pro­gramms der »War Relo­cation Authority« teilzu­nehmen. So kommt sie nach Chicago.

Um ebenfalls aus dem Lager entlassen zu werden, muss Aki ihre Loyalität darlegen und dem japa­ni­schen Kaiser ab­schwö­ren. 1944 kann sie endlich mit ihren Eltern zu Rose nach Chicago reisen. Wie sie sich dort in einem zuge­wiese­nen Ortsteil einlebt, ver­mittelt Naomi Hirahara durch ihre Erzäh­lerin in einer ein­drucks­vollen Milieu­schil­derung der Stadt. Die ist unter den ethni­schen Minder­heiten aufge­teilt, aber die Auflagen sind für die poten­ziell gefähr­lichen, eigent­lich uner­wünsch­ten Japaner besonders streng. Für sie gilt zum Beispiel ein Ver­samm­lungs­verbot. Wer möchte, findet am Ende des Buches weiter­füh­rende Informa­tionen.


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