Clark & Division
von Naomi Hirahara
Nach dem Kriegseintritt Japans gerät die gesamte Gruppe japanischstämmiger Staatsbürger der USA unter Generalverdacht. Sie werden als potenzielle Staatsfeinde ausgesondert. Hat der Tod einer jungen US-Japanerin etwas mit dieser Hysterie zu tun?
Der Feind wohnt nebenan
Im Jahr 1944 freuen sich Aki Ito, 22, und ihre Eltern – eine japanischstämmige Familie in Kalifornien – darauf, Akis ältere Schwester wieder in die Arme schließen zu können. Rose hatte im Jahr davor die Genehmigung erhalten, alleine wegzuziehen, und hat sich in Chicago ein einfaches Leben eingerichtet. Sie fand Arbeit in einer Süßwarenfabrik, schickt ihrer Familie, die zurückbleiben musste, Postkarten und sucht schon nach einer Wohnung für alle in einem Viertel, wo sich viele Japaner ansiedeln.
Bei ihrer Ankunft in Chicago erwartet die Familie Ito eine erschütternde Nachricht: Am Abend zuvor habe Rose in der U-Bahn-Station an der Kreuzung Clark Street und Division Street Selbstmord begangen. Aki allerdings kann nicht hinnehmen, wie die Polizei den Tod ihrer geliebten Schwester erklärt. Sie kennt Rose schließlich genau und hat sie gerade wegen ihrer besonnenen, kämpferischen, optimistischen Art ihr Leben lang bewundert. So nimmt sie Nachforschungen auf, liest die Aufzeichnungen in dem Tagebuch, das sie Rose zum Abschied geschenkt hatte, befragt Leute in Roses Umfeld und kommt bald zu ganz anderen, erschreckenden Erkenntnissen.
Dies ist der Beginn der Krimi-Handlung, die sich durch »Clark & Division« zieht, den Roman, für den die 1962 in Pasadena geborene Schriftstellerin Naomi Hirahara 2022 mit dem »Edward Award« geehrt wurde und der nun in der Übersetzung von Karen Witthuhn auf Deutsch vorliegt. Sonderlich packend ist dieser Plot freilich nicht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Genrezuordnung ›Kriminalroman‹ nur Lockvogel ist für ein Thema, das der Autorin in Wahrheit am Herzen liegt: ein weiteres hässliches Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts, das man lieber verschämt unter der Decke hält als es aufzuarbeiten. Immerhin entschuldigte sich 1988 Präsident Ronald Reagan im Namen der US-Regierung für ein auf »Rassismus, Vorurteilen und Kriegshysterie« basierendes Verhalten seiner Vorgänger.
Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist der legendäre Überraschungsangriff, den die Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbor flogen, den Hafen auf der Insel Hawaii, wo die amerikanische Pazifikflotte vor Anker lag. Bedeutender als die dabei verursachten materiellen Schäden waren die Folgen für den Weltfrieden: Am Tag darauf erklärte Präsident Franklin D. Roosevelt Japan den Krieg, drei Tage später folgte die Kriegserklärung des mit Japan verbündeten Deutschen Reichs und Italiens an die USA, und damit umspannten die offiziellen Allianzen, verbindlichen Feindschaften und kriegerischen Auseinandersetzungen tatsächlich die ganze Welt. Insbesondere waren die mächtigen Vereinigten Staaten, die zuvor zwar ihre Alliierten tatkräftig unterstützt, aber auf eine neutrale Haltung geachtet hatten, nun direkt involviert. Der pazifische Krieg würde erst dreieinhalb Jahre später mit der Kapitulation Japans enden, nachdem die USA zwei Atombomben eingesetzt hatten.
Ebenso wichtig wie die militärischen Folgen des Pearl-Harbor-Zwischenfalls waren dessen psychologische Auswirkungen auf die amerikanische Bevölkerung. Die hatte bis dahin keine Beziehung zu den fernen Schlachten und wollte vor allem Frieden, doch nach Pearl Harbor befürwortete sie den von ihrer Regierung propagierten Kriegseintritt.
Gleich nach der als »heimtückisch« bewerteten Attacke auf halbem Weg zwischen Japan und Kalifornien schürte die Regierung die Befürchtung, dass viele japanischstämmige Mitbürger mit ihrem Heimatland sympathisieren und nach der Kriegserklärung der USA irgendwie mit dem Feind kollaborieren würden. Sogar die Gefahr einer japanischen Invasion an der Westküste wurde heraufbeschworen. Also wurden einfach alle aus dieser Gruppe als Sicherheitsrisiko eingestuft und als »Enemy Alien« unter strenge Beobachtung gestellt. Unter Federführung einer speziell eingerichteten Kriegs-Umsiedelungs-Behörde (»War Relocation Authority«) wurden weit über hunderttausend Männer, Frauen und Kinder in rasch aus dem Boden gestampften, primitiven Internierungslagern im Westen der Vereinigten Staaten eingesperrt, bewacht und terrorisiert. Die Propaganda-Kampagne, die eine komplette Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht stellte und radikal aus der Zivilgesellschaft, in der sie sich zuvor nichts hatten zu Schulden kommen lassen, ausgrenzte, nahm hysterische Züge an und gipfelte in dem zynisch-grausamen Einsatzbefehl an inhaftierte junge Japaner, sie sollten nun ihre Loyalität beweisen, indem sie als Soldaten der US Army in allen Kriegsgebieten ihr Leben einsetzen, auch im Kampf gegen ihr eigenes Volk.
Der Roman »Clark & Division« versetzt seine Leser in die Tage nach dem japanischen Überfall. Schon Jahrzehnte zuvor waren »Issei« (japanische Einwanderer in erster Generation) in die Vereinigten Staaten gekommen und hatten sich dort ein neues Leben eingerichtet. Die Amerikaner respektierten die Gemeinschaften, die autark im eigenen Milieu lebten und zum Beispiel Land für Gemüse- und Obstanbau erschlossen, gaben ihnen die Staatsbürgerschaft, akzeptierten sie aber keineswegs unumschränkt. Doch kleinere und größere Diskriminierungen, wie sie auch Rose widerfuhren, konnten deren Kampfgeist nicht mindern. »Lass sie ja nie glauben, dass sie etwas Besseres sind«, flüsterte sie Aki einmal ins Ohr.
Was es bedeutet, von einem Tag zum anderen zur unerwünschten Person zu werden, als Gefahr für die nationale Sicherheit verabscheut zu werden, schildert Aki, die Ich-Erzählerin. Mit Kriegsbeginn wird der Alltag ihrer Familie und der Gemüsehandel des Vaters stark eingeschränkt, etwa durch eine Sperrstunde, die nur den Japanern auferlegt wird. Nach und nach verschwinden Freunde, Nachbarn, Lehrer, Priester aus Akis Umfeld. Sie werden ins Gefängnis gesteckt, später an unbekannte Orte verfrachtet. Im März 1942 werden »alle Personen japanischer Abstammung« über Flugblätter aufgefordert, sich innerhalb einer Woche an Sammelpunkten zum Abtransport einzufinden. Mit wenigen Habseligkeiten werden die Itos und andere im Barackenlager Manzanar im Osten Kaliforniens einquartiert.
Auch hier engagiert sich Rose gegen Unrecht, wie sie das schon zu Hause getan hatte. Die Lagerleitung honoriert ihre Haltung und gestattet ihr bereits im September 1943, die Einrichtung vorzeitig zu verlassen, um an der nächsten Phase des verpflichtenden Umsiedlungsprogramms der »War Relocation Authority« teilzunehmen. So kommt sie nach Chicago.
Um ebenfalls aus dem Lager entlassen zu werden, muss Aki ihre Loyalität darlegen und dem japanischen Kaiser abschwören. 1944 kann sie endlich mit ihren Eltern zu Rose nach Chicago reisen. Wie sie sich dort in einem zugewiesenen Ortsteil einlebt, vermittelt Naomi Hirahara durch ihre Erzählerin in einer eindrucksvollen Milieuschilderung der Stadt. Die ist unter den ethnischen Minderheiten aufgeteilt, aber die Auflagen sind für die potenziell gefährlichen, eigentlich unerwünschten Japaner besonders streng. Für sie gilt zum Beispiel ein Versammlungsverbot. Wer möchte, findet am Ende des Buches weiterführende Informationen.