Die Liebe an miesen Tagen
von Ewald Arenz
Clara, Fotografin, verwitwet, sorgt sich um ihre alternden Eltern und ihr eigenes Altern. Elias, Schauspieler, liiert, ist sich seiner Rollen im Leben nicht mehr sicher. Zufällig begegnen sich die beiden und verlieben sich schlagartig ineinander. Aber mitten im Leben, so müssen sie feststellen, sind sie nicht mehr so unbelastet wie Teenager.
Hauptsache anders leben
Nach »Alte Sorten« (2019) hat Ewald Arenz mit seinem neuesten Roman »Die Liebe an miesen Tagen« schon den zweiten Titel in der Spiegel-Bestsellerliste untergebracht. Dazwischen wurde »Der große Sommer« 2021 zum »Lieblingsbuch der Unabhängigen« (d.h. der unabhängigen Buchhandlungen) gekürt. So unterschiedlich die drei Bücher in ihrer Thematik sind, so waren doch alle erfolgreich und haben das Renommee des 1965 in Nürnberg geborenen, vielseitigen Autors gefestigt.
»Die Liebe an miesen Tagen« wird wohl viel als »Romanze« gelesen und gepriesen. Das Konzept einer zeitgemäßen Zufallsbegegnung zweier Erwachsener, die nicht mehr mit »Schmetterlingen im Bauch« gerechnet haben und sie nun doch überraschend verspüren, ist ja auch attraktiv, und man mag sich gerne davon anrühren lassen. Die Geschichte entwickelt sich unterhaltsam, wenn auch – ganz im Sinne des ernüchternden Titels – über viele Seiten gleichförmig und ohne aufrüttelnde Lesemomente. Erst später, wenn der Autor die wahrhaft »miesen Tage« folgen lässt, überstürzen sich die Ereignisse, existentielle Fragen müssen besprochen, folgenschwere Entscheidungen getroffen werden. Dennoch ist meine Haltung zu dem Buch gespalten. Das liegt an der Gestaltung der Protagonisten, am Plot und am Erzählstil – all dies weist Brüche auf.
Clara und Elias, die beiden Hauptfiguren, sind keine Romantiker, auch wenn sie es gerne wären (vielleicht so wie früher einmal). Ernüchtert gehen sie durch ihren Alltag, und sie finden, sie haben’s schwer. Oder machen sie sich’s schwerer als nötig? Oder verzweifeln sie an den hohen Maßstäben, die unsere Zeit an Menschen in der Mitte des Lebens stellt? Perfekt muss sein, drunter geht gar nichts, scheint es bisweilen.
Fotografin Clara, Ende vierzig, hat mit Pauls Tod ihren Lebenssinn verloren. Jetzt wird ihr klar, dass sie ihr Glück mit ihm nicht bewusst genug genossen hat (»aufgesogen … bis sie von diesem Glück satt war … so erfüllt, dass sie müde wurde und ihr weich die Lider zufielen vor Glück«), und sie sieht Raum für Selbstoptimierung: »Das würde nicht noch einmal passieren.« Vorerst verarbeitet sie aber noch die Vergangenheit, nimmt stimmungsvolle Fotos auf, insbesondere aus dem »Museum meiner Liebe«, ihrem verwunschenen Häuschen mit blau gestrichenen Klappläden, Heckenrose am Zaun, altem Weinstock an der Fassade und verwildertem Garten. So etwas gibt man nur notgedrungen ab.
Dabei ist Clara kein emotionaler Luftikus. Abgeklärt steht sie mitten im Leben, weiß, was sie will, schätzt ihre Berufstätigkeit, hält sich ambitioniert fit. Grund zur Sorge geben ihr ihre Eltern. Die Mutter ist deutlich dement, der Vater überfordert von ihrer Betreuung und dem Haushalt. Da stehen Aufgaben an, denen sie und ihr Bruder Jan (ein Arzt) womöglich nicht gewachsen sind. Ausgerechnet in dieser Gemengelage verliert Clara auch noch ihren Job.
Die Krise, in der sich Elias befindet, ist anderer Natur. Er ist erst Ende dreißig und Schauspieler am Stadttheater. Ihm hängt noch die eruptive Liebe nach, die er einst mit Mona erlebte und die dann im Alltag auseinanderstob. Geblieben ist davon die gemeinsame Tochter Jule, 18, und die Erkenntnis: »Liebe war wie ein weiches Metall. Sie musste erst im Alltag gehärtet werden.« Allerdings klappt das auch mit Vera nicht recht, mit der er seit einiger Zeit zusammenlebt. Bei ihr hat er inzwischen das Empfinden, am falschen Ort, »im falschen Zug« zu sein. Jetzt interessiert sie sich gar für eine Immobilie. Drohen ihm endgültig die Fesseln der Bürgerlichkeit? Ein Unding für eine sensible Künstlernatur wie ihn. Am Stadttheater steht bald die Premiere des Stückes an, in dem er die Hauptrolle spielt: »Tod eines Handlungsreisenden«, aber natürlich nicht das Original, sondern experimentell, mit nur zwei Rollen. Es geht »um ein eigentlich gelungenes Leben, das daran scheitert, dass man lieber ein anderes leben will«.
Der Fortgang der Handlung überrascht nicht. Vera und Elias besichtigen Claras schnuckeliges Domizil, und nach einem schicksalhaften Stolperer liegt Elias der Verkäuferin nicht nur symbolisch zu Füßen (»Das hatte ich lange nicht mehr«). Am Nachmittag vor der Premiere zieht es ihn auf dem Radl noch einmal zu den Mirabellenblüten in Claras Garten der Wunder, während der Vorstellung sucht Clara Blickkontakt zu ihm, und er spielt sich in ihre Gefühle. In der Nachbesprechung mit Zuschauern gibt er sich sehr persönlich, und jeder ahnt den »Zauber des Anfangs«, der sich bis weit nach Mitternacht in der Theaterkneipe, bei Tanz und Gelächter, während einer Tour durch stille Stadtstraßen bis zur Sternwarte entfaltet.
Zu Ewald Arenz’ literarischen Premiumkompetenzen gehören die überzeugende Gestaltung außergewöhnlicher Charaktere, passender Handlungsorte und relevanter Themen. In seinem neuen Roman bekommen, dem Sujet entsprechend, Gefühle, Romantik und Poesie viel Raum und sind gekonnt kreativ gestaltet, wirken aber bisweilen arg gewollt, wie zur Schau gestellt für ein Selfie, das nach Likes heischt (Nach dem »fast getanzten« Abend steht Clara »plötzlich an der Küste einer unbekannten See. Umkehren oder in ein Boot steigen?«). Das ratscht dann nicht selten an Rührseligkeit und Kitsch entlang (»er leuchtete wie von innen …, und wie er sie ansah, das war, als würde er sie mit den Blicken streicheln«), selbst wenn klassische Verse von Shakespeare dazu zitiert werden.
Im weiteren Handlungsverlauf werden die beiden Liebenden allerdings noch ganz anders gefordert. Als genüge es dem Autor nicht, zu gestalten, wie seine Hauptfiguren ihre durchaus komplexen Gefühle und Befindlichkeiten analysieren und mit ihnen umgehen, lässt er im letzten Drittel so richtig das Schicksal zuschlagen. Reden reicht nicht mehr, so melodramatisch wird es: Jetzt sind Taten gefragt.
Insgesamt sind mir beide Protagonisten fremd geblieben. Womöglich sollen sie das Lebensgefühl der ›Millennials‹ spiegeln; jedenfalls sind sie dezidiert zeitgenössische Menschen, bewegt von den Schwingungen und Problemen unserer Gesellschaft. Vielleicht gehört dazu, dass sie ihr äußeres Erscheinungsbild so wichtig nehmen. Dass Elias, der Schauspieler, sein Aussehen als »Arbeitsmittel. Mein Werkzeug« betrachtet, leuchtet mir noch ein, wenn es nicht gerade um Willy Loman geht. Aber auch Clara will sich nicht auf ihre inneren Werte allein verlassen. Noch keine fünfzig Jahre alt, macht sie sich Sorgen, ihre Attraktivität könne kurzfristig verfallen. Wird sie in zwei Jahren für Elias, der sie als »herbe Schönheit« beschreibt, zu alt für die Liebe sein? Solche Prioritäten sind nachvollziehbar und gängig, dennoch finde ich sie bei gereiften Erwachsenen oberflächlich.
Insbesondere Elias kreist hauptsächlich um sich selbst. Er ist fixiert auf die Vorstellung, nicht nur auf der Bühne zu spielen, sondern auch im Alltag nur Rollen auszuleben, die seinen Mitmenschen und selbst seinen Partnerinnen Persönlichkeiten vorgaukeln, die gar nicht seine sind. Die ständigen Gedankengänge, Selbstbefragungen und Dialoge zu diesem Themenkreis nerven und lähmen den Handlungsablauf. Ist solche Egozentrik der Preis, den der Drang nach Selbstverwirklichung fordert? Sind das Themen, die das Bild der ›Millennials‹ repräsentieren?
Als sympathischere, natürlichere Charaktere sind mir die Figuren aus der zweiten Reihe näher.
Da ist die achtzehnjährige Jule, die als Gesprächspartnerin ihres Vaters mit Vernunft und Ernsthaftigkeit erwachsener auftritt als dieser.
Da ist Claras Bruder Jan, der als überzeugender Vertrauter für Elias immer größere Bedeutung gewinnt.
Da ist Vera, die im romantischen Plot die mieseste Karte gezogen hat und gar nicht weiß, wie ihr geschieht. »Sie mag Ehrlichkeit« und würde gern mit ihrem abgängigen Partner »reden«, aber wie, wenn der sich nicht einmal vorstellen kann, was es zu bereden gibt? Offenbar hatte er nicht deutlich genug kommuniziert, dass er seine Beziehung zu ihr wohl nur als »irgendwas Unverbindliches« betrachtet hatte. Dass sie sich verschaukelt fühlt und angesichts seiner Unaufrichtigkeit, Oberflächlichkeit und Ichbezogenheit Wut empfindet, ist nachvollziehbar.
Auch Claras Eltern, die im Alter nicht mehr ohne die Hilfe anderer auskommen, sorgen für Erdung des Geschehens durch lebensnahe, ernste, auch skurrile Momente, wie sie der Autor in ähnlicher Form schon in seinen Kurzgeschichten gestaltet hat.