Rezension zu »Der Mord des Jahrhunderts« von Paul Collins

Der Mord des Jahrhunderts

von


Historischer Kriminalroman · Irisiana · · Gebunden · 431 S. · ISBN 9783424151220
Sprache: de · Herkunft: us

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Die Macht der Medien – ein Staat im Staat

Rezension vom 12.05.2012 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Wer kennt nicht Orson Welles' Film "Citizen Kane" aus dem Jahr 1941? Schon Welles faszinierte die Biografie des US-amerikanischen Zeitungsverlegers William Randolph Hearst so sehr, dass er ihn zum Vorbild für seinen fiktiven Medienmogul Charles Foster Kane nahm und dessen Leben mit unerhörtem Aufwand verfilmte. Daraus entstand ein Meilenstein der Kinogeschichte und nach Meinung vieler der wohl beste amerikanische Film aller Zeiten.

Nun hat auch der amerikanische Autor und Spezialist für historische Persönlichkeiten Paul Collins den Stoff bearbeitet. In seinem Roman "Der Mord des Jahrhunderts" geht es um nichts weniger als die Entstehungsgeschichte des Boulevardjournalismus, den erbitterten Konkurrenzkampf der den Markt beherrschenden Medienmagnaten William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer und um einen spektakulären Mordfall. Diese reizvolle und eigentlich längst überfällige Story hat Collins wie einen Tatsachenbericht stilistisch originell und packend gestaltet; um die wissenschaftliche Zuverlässigkeit zu untermauern, gibt es einen 60-seitigen Anhang mit Quellennachweisen und Anmerkungen. Carina Tessari hat das Buch übersetzt.

New York ist im Jahr 1897 schon eine pulsierende Millionenstadt, und täglich legen Schiffe mit Einwanderern aus Europa in Ellis Island an. Das Straßenbild bestimmen Pferdekutschen, Männer, die Anzüge und Melonen tragen, fliegende Händler. Nicht nur Tellerwäscher, sondern jeder hier kämpft, um seinen Weg nach oben zu finden. Durch all das Gewimmel dringen überall die Stimmen der Zeitungsjungen, die ständig die neuesten Ausgaben unzähliger Blätter anpreisen, die mehrmals am Tag und sogar sonntags erscheinen.

In diesem hochmodernen, quirligen Moloch gehört es zum beinharten Alltag, dass Menschen unter die Räder kommen, an Krankheit, Hunger oder durch Mord sterben, Leichen gefunden werden. So reagiert das New York Police Department weder besonders überrascht noch engagiert, als zwei Jungen im East River ein Bündel entdecken, darin in Wachstuch verschnürt ein Brustkorb mit beiden Armen. Wahrscheinlich sind es halt wieder mal Einzelteile, die aus dem Leichenschauhaus an Medizinstudenten verkauft und nun im Fluss entsorgt wurden. Bald darauf finden Spaziergänger an einer Böschung ein weiteres, auf dieselbe Weise eingeschlagenes Paket, worin sich der zum Oberköper passende Unterleib findet. Es war eindeutig ein Mann, der an einer Stichverletzung verstarb. Doch wo ist der Kopf? Und wer ist der Unbekannte?

Nun gerät ganz New York in Aufruhr. Die Zeitungen heizen die Stimmung auf, überbieten sich gegenseitig mit aufreizenden Schlagzeilen und setzen sogar ein Kopfgeld aus für die Aufklärung des unheimlichsten und brutalsten Mordes des Jahrhunderts. "500 Dollar" bietet Joseph Pulitzer, ungarischstämmiger Herausgeber der "New York World", der mächtigsten und meistverkauften Zeitung. "1000 Dollar Belohnung" setzt William Randolph Hearst vom konkurrierenden "Evening Journal" für den "Kopfabschneider" dagegen. Abartig viel Geld ist das! Manche New Yorker trauen gar Hearst selber die Tat zu: Er habe sie initiiert, um seine Auflagen zu steigern ...

Als "Bluthunde" auf Fahrrädern jagen die Reporter durch die Stadt, um der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Hearst, der einstmals bei Pulitzer das ABC des Journalismus lernte, dann sein eigenes Imperium aufbaute und Pulitzer die besten Berichterstatter abwirbt, lässt eine eigene Ermittlertruppe bilden: Ein altgedienter Kriminalreporter und Männer, die mit Dienstmarke und Pistole ausgerüstet das "Todeskommando" bilden, sollen des Rätsels Lösung finden.

Hinter der brutalen Tat steckt eine Dreiecksbeziehung. Bill Guldensuppe und Martin Thorn buhlen beide um die Gunst der Hebamme Augusta Nack. Dann wird Guldensuppe ermordet – ob von Thorn oder Nack, das wird ein Prozess klären. Wer hingerichtet wird, ist dem mit einer Collage alter Zeitungsartikel ungewöhnlich gestalteten Hardcoverumschlag schon vorweg zu entnehmen (verborgen unter dem Schutzumschlag). Doch ob das wirklich der Schuldige ist, darum geht es gar nicht wirklich; vielmehr zählt allein die Show, und dazu gehört der aufgeblasene Verteidiger Howe, der, in schrillen Klamotten und mit dicken Klunkern behangen, vor den Geschworenen und der Öffentlichkeit den Zweikampf gegen den Staatsanwalt als triumphierender Sieger beenden will. Die Journalisten berichten quasi live vom Schauplatz des Gefechts; ihre Handys und Laptops sind damals noch Brieftauben ...

Der wahre Sieger auf ganzer Linie wird Hearst sein. Ständig innovativ, wird er als erster eine Zeitung auf gelbem Papier, in neuem Format und teils in Farbe drucken lassen. Sein "Morning Journal" wird damit zum Stammvater der "Yellow Press".

Collins' Roman ist eine faszinierende Dokumentation über Aufstieg und Macht der populären Medien, die bis heute reißerisch manipulieren und weltweit gesellschaftspolitisch Einfluss nehmen.


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