Mach deinen Job, Heulsuse
Seit Jonas Hollys Ehefrau Lucy an MS erkrankt ist, hat sich das Leben des Paares grundsätzlich verändert. Ihren Job als Kindergärtnerin hat die mittlerweile schwer gehbehinderte Lucy aufgegeben. Jetzt erkämpft sie sich im zweihundert Jahre alten Cottage ihrer verstorbenen Eltern ihr Leben täglich neu. Den gemeinsamen Kinderwunsch weist sie weit von sich; viel näher sind ihr die Gedanken an Selbstmord. Aber ihre Begeisterung für Horrorfilme und ihr intensives Interesse an Jonas Tätigkeit lenken sie noch genügend ab.
Jonas, ein fürsorglicher und verantwortungsvoller Mann, hat für Lucy seine Karriere im Polizeidienst an den Nagel gehängt. Er will sich um sie kümmern, ihr ständiger Beschützer sein. Als Dorfpolizist in Shipcott in der englischen Grafschaft Somerset kann er das; seit Kindesbeinen kennt er hier alle Bewohner und ihre persönlichen Schicksalsschläge, und er ist da sehr beliebt.
Nun treibt ein Serientäter sein Unwesen – ausgerechnet auf die Schwerkranken im Dorf hat er es abgesehen, auf die Pflegefälle in den Familien. Wer ist nur dieser "Todesengel"?
Detective Chief Inspector Marvel, ein arroganter, "unfehlbarer Polizei-Superheld" mit 25-jähriger Diensterfahrung, und sein Kollege werden aus London in dieses "Scheißkaff" mit seinen "Scheißlandeiern" abgeordnet. Auf einen Insider wie den "Dorfbobby" Jonas kann Marvel allemal verzichten ("Wir kommen auch ohne Sie klar"), und so ermittelt er wild drauflos. Angehörige werden verdächtigt, und auf einen Täter schießt er sich ein.
Doch der Mörder kommuniziert mit Jonas. Er hinterlässt ihm handgeschriebene Botschaften unterm Scheibenwischer, am Gartenpfosten, auf einer WC-Tür: "Mach deinen Job, Heulsuse." Derart attackiert, dazu ständig gemobbt von Marvel, ist Jonas schwer getroffen und unter Druck. Er muss seinen Job hinter Marvels Rücken machen, und er muss seine ihm Anbefohlenen schützen. Selbst nachts macht er sich auf Spurensuche. Dabei hat er natürlich große Angst um seine todkranke Lucy, die das nächste Opfer werden könnte.
Belinda Bauers Psychothriller "Der Beschützer", übersetzt von Marie-Luise Bezzenberger, startet auf hohem Spannungsniveau, als zu Beginn die bettlägerige Margaret Priddy mit einem Kopfkissen erstickt wird und das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Täter und Jonas den Leser stark in die Ermittlerrolle mit einbezieht. Jonas erhält nicht nur Nachrichten, sondern fühlt sich auch ständig beobachtet. Bald ist der Leser mit allen Dorbewohnern ebenso vertraut wie Jonas. Wer bleibt am Ende übrig? Und ein dunkles Geheimnis bleibt uns vorerst verborgen und hält uns auf Distanz zu Jonas: Er möchte zu gern verdrängen, was er als Junge zusammen mit einem Freund angerichtet hat ...
Die Autorin zeichnet ihre Figuren mit interessanten, sehr unterschiedlichen, teilweise skurrilen Charakterzügen. Ein Mann zum Beispiel klaut Autos, macht eine Spritztour damit und gibt sie danach ihren Besitzern zurück – nicht ohne sie zuvor wieder perfekt aufzumöbeln. Der Handlungsfaden ist logisch und gut nachvollziehbar, die Atmosphäre passend: In der feuchten, dunklen Moorlandschaft mit heftigen Schneefällen entsteht eine ungemütliche, bedrohliche Stimmung. Dazu mit etwas schwarzem Humor gewürzt, ist "der Beschützer" ein absolut empfehlenswerter Krimi.
Für eine kleine Einschränkung meiner Begeisterung sind ein paar Textlängen und nicht ganz eindeutig aufgeklärte Fragen verantwortlich, die ich der immerhin mit dem Gold Dagger preisgekrönten und als "Thriller-Queen" apostrophierten Belinda Bauer nicht einfach durchgehen lassen möchte. Manch anderem Autor hätte man so etwas vielleicht eher zugestanden.