Rezension zu »Die Frauen von Shonagachi« von Rijula Das

Die Frauen von Shonagachi

von


Eine der unzähligen rechtlosen Sexarbeiterinnen in Indien wird ermordet.
Kriminalroman · Ariadne · · 336 S. · ISBN 9783867542715
Sprache: de · Herkunft: in

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Lebenslänglich an der Kette des Patriarchats

Rezension vom 15.01.2024 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Dieser Roman hat viele Gesichter. Vom Plot her ist es ein Kriminal­roman, denn ein Mord muss aufge­klärt werden. Es ist aber auch ein sozial­kriti­sches Buch, das seine Leser mitten hinein führt in ein gern ver­dräng­tes Milieu, nämlich die Prosti­tution. Die ist nirgendwo so eiskalt und straff durch­organi­siert wie in Indien. In Kalkutta (heute: Kolkata), wo sich die Handlung zuträgt, befindet sich nach den Worten der Ver­lege­rin das »Multi-Milliar­den-Dollar-Ge­schäft« der größten Sex­indus­trie der Welt. Dies ist dann die dritte Ebene, wegen der das Buch uns interes­sieren kann: als authen­tischer Einblick in eine Kultur, die so ganz anders ist als unsere europä­ische und die, global betrach­tet, im Aufwind ist, mit der wir uns also be­schäf­tigen sollten. Schließ­lich ist es ein Roman, der sich deutlich für die Interes­sen der Frauen einsetzt, in dem Frauen die Haupt­rollen spielen, der von Frauen geschrie­ben, über­setzt und verlegt wurde.

Die Autorin heißt Rijula Das, ist in West­benga­len aufge­wachsen und promo­vierte 2017 an der Nanyang Univer­sity in Singapur in Creative Writing/Prosa­litera­tur. Im September 2022 legte sie mit »Small Deaths« ihr Debüt vor. Das entdeckte die Hamburger Ver­legerin Else Laudan und machte es zu ihrem Her­zens­anlie­gen. Sie über­setzte es mit Em­pathie und »Ver­gnügen« ins Deutsche und verlegte es in ihrem Argument-Verlag in der Reihe »Ariadne«, mit der sie Auto­rinnen fördert, die im Krimi­genre niveau­voll und spannend proble­mati­sche Sozial­struktu­ren offen­legen und anpran­gern.

Der »Blaue Lotus« ist ein berühmt-berüch­tigtes Eta­blisse­ment in Asiens größtem Rot­licht­vier­tel. Wie viele Frauen in wie vielen Zimmern in dem fünf­stöcki­gen Altbau unter­ge­bracht sind, weiß niemand so genau. Eine von ihnen ist Mohamaya (»Maya«), eine klassi­sche Schön­heit von 28 Jahren, die hier als Edel-Escort und Prostitu­ierte arbeitet. Geleitet wird das Unter­nehmen von der selbst­herr­lichen Shefali Madam, die vor allem ihren eigenen Vorteil im Auge hat und nicht davor zurück­schreckt, Naivität, Nöte und Ab­hängig­keit der Frauen unter ihrer Obhut auszu­beuten. Doch die Zeiten ändern sich, seit die Mädchen Mobil­tele­fone haben, mit denen sie ihre Kunden selber aussuchen und eigene Geschäfte verein­baren können. So ist die ›natür­liche Ordnung‹ der Dinge im Umbruch, und Schmier­gelder, Be­teili­gun­gen, Proporz und Deals unter der Hand sind gefährdet.

Eines Nachts wird Maya ermordet. Man findet sie in einer Blutlache liegend, ihre Kehle wurde brutal mit einem abge­broche­nen Flaschen­hals durch­trennt.

Der Schauplatz wechselt nun in das Burtolla-Polizei­revier, dessen Leitung vor Kurzem an Samsher Singh über­tragen wurde. Soeben genießt er in aller Ruhe sein Status­symbol, die ihm allein vorbe­haltene Privat­toilette, als sein »neuester Rekrut« Naskar an die Blechtür klopft. Der ist sich der Unver­schämt­heit seines Störens bewusst und meldet mit der Situation ange­messe­ner »Samt­stimme«, dass eine Prosti­tuierte ermordet worden sei.

Kollege Constable Balok Gosh ist bereits aktiv. Der »auf­stre­bende Zuhälter«, den er ins Polizei­revier einbe­stellt hat, rät den Gesetzes­hütern, sich nicht einzu­mischen – »solcher Scheiß passiert einmal im Monat«. Diese Meinung eines Insiders des Milieus spricht dem erleich­terten Samsher aus dem Herzen, denn »das byzanti­nische Geflecht aus Ver­bre­chen und Gewalt und Betei­ligun­gen und Be­stechung war einfach zu anstren­gend, und was bekam man schon für seine Mühe? Beamte wie ihn gab es wie Sand am Meer, und das Polizei­revier Burtolla interes­sierte kein Schwein«.

Doch schon seit ein paar Tagen demon­striert eine »Rotte Huren« vorm Revier, und nun insis­tiert ärger­licher­weise eine Madame mit Visiten­karte, vom Revier­chef gehört zu werden. Samsher versucht, sie erst einmal mit devotem Gesäusel zu be­ein­dru­cken (»Sie sind eine gebil­dete Person, die Crème de la Crème der Gesell­schaft«), doch ihr Lächeln kann nicht darüber hinweg täuschen, dass sie seine hohlen Worte ignoriert. Sie hat Bezie­hungen zu Men­schen­rechts­kommis­sion und Justiz und besteht auf einer aus­führ­lichen Anzeige des vorsätz­lichen und grau­samen Ver­bre­chens an »Miss Moha­maya Mondol«.

Derweil lernen wir eine Zimmer­nach­barin und etwa gleich­altrige Freundin von Maya namens Lalee kennen. Wie es in vielen armen Familien auf dem Lande üblich ist, hat ihr Vater sie, als sie sieben Jahre alt war, in die Prosti­tution verkauft. Sein jüngster Sohn hingegen war stets sein ganzer Stolz. Nach dem Tod des Vaters steckt er in großen Schwie­rig­keiten: Wie soll er ohne finan­zielle Unter­stüt­zung das Haus repa­rieren, die Kinder weiter zur Schule schicken? Die Ge­nossen­schafts­bank bietet einen kleinen Kredit, aber er richtet seine Hoff­nun­gen auf die Schwester in der fernen Großstadt.

Nach der weiten Reise sieht Lalee dem Bruder die Not auch körper­lich an, aber anders als Maya arbeitet sie nur in der B-Liga der Prosti­tution und kann die ge­wünsch­te Summe niemals zu­sammen­bringen. Da bietet sich Shefali Madam als gütige Beschüt­zerin an und wirft Lalee einen groß­zügigen »Ret­tungs­anker« zu. Wenn sie zukünftig Maya ersetzt, will sie sie nach dem »Adhiya-System« betreuen. Das bedeutet in der Branche der Sex­arbei­terin­nen zwar den Aufstieg aus der Leib­eigen­schaft, aber 50% ihrer Einnahmen muss sie an Shefali Madam abgeben. Deshalb musste Maya auch Kunden außerhalb des »Blauen Lotus« mit seiner einiger­maßen ge­schütz­ten Frauen­gemein­schaft annehmen. Das mögen teils »gute« Jobs gewesen sein, doch wie Lalee weiß, hat Maya auch mehrfach durch­zu­brennen versucht. Genauer nachzu­fragen, »was da draußen lief«, hat sie sich nie getraut. Nun wird sie selber diesen risiko­behaf­teten Weg be­schrei­ten müssen und gerät in ein un­durch­schau­bares, hoch gefähr­liches Netzwerk.

Rijula Das hat über mehrere Jahre ausführ­lich recher­chiert, worüber sie dann in ihrem Debüt­roman schrieb. Ihr lag am Herzen, die ausweg­lose Lage der Sex­arbei­terin­nen in der radikal patriar­chalen Männer­welt Indiens darzu­stellen: ihre Ab­hängig­keit und Recht­losig­keit, ihre mate­rielle Not und ihr Ausge­liefert­sein an sexuelle Gewalt. Am inter­natio­nalen Men­schen­handel von Indien über Thailand nach Ara­bien verdienen alle, »sogar die, die ihm angeblich ein Ende machen wollen«. Er­wäh­nens­wert ist, dass Rijula Das in ihre Erzählung neben den er­schüt­tern­den Fakten und (fiktio­nalen) persön­lichen Tragödien gehörige Prisen von Humor und Ironie einstreut und ohne quälende, ab­stoßen­de Schil­derun­gen von Gewalt oder sexu­ellen Prak­tiken aus­kommt, ohne dass die auf­rüt­teln­de Wirkung ihres Buches ge­schmä­lert würde.

Als Ergänzung hilfreich sind schließ­lich die Zusatz­informa­tionen, die die Über­setzerin Else Laudan in ihrem Vorwort und einem Glossar bereit­stellt.


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