Rezension zu »Der mexikanische Fluch« von Silvia Moreno-Garcia

Der mexikanische Fluch

von


Noemí folgt dem Hilferuf ihrer Cousine, um sie aus den Klauen der Familie ihres Ehemannes zu retten, die sie in deren vergammeltem Herrenhaus gefangen hält. Die Geschehnisse werden von Tag zu Tag unglaublicher und blutrünstiger, die Erklärungen immer abstruser. Bei Fans findet das weltweit Anklang, bei mir nur die mexikanische Einfärbung dieser Gothic-Variante.
Mystery-Thriller · Limes · · 416 S. · ISBN 9783809027478
Sprache: de · Herkunft: us

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Mahlzeit, ihr Götter!

Rezension vom 21.12.2022 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Es geht zurück in die Fünfzigerjahre und in die (für uns) exotische Welt­gegend des mexika­nischen Hoch­landes. Zunächst aber lernen wir Noemí Taboada, 22, kennen, die in der quirligen Metropole Mexico City ein sorgloses Stu­denten­leben führt. Als Tochter aus vermö­gender Familie mangelt es ihr an nichts, sie kann ihre Freiheit in vollen Zügen genießen. Man sieht die selbst­sichere, unter­nehmungs­lustige Frau auf Festen um­schwärmt von Verehrern, aber mit festen Bindungen hat sie noch nichts am Hut. Ihre Ambi­tionen sind hoch, erst will sie einen Studien­abschluss.

Ein Brief wird ihr Leben verändern. Geschrie­ben hat ihn ihre Cousine Catalina. Die ist fünf Jahre älter und hat vor Kurzem Virgil Doyle gehei­ratet, den man für eine gute Partie halten durfte. Jetzt wohnt sie mit ihm und seiner Familie in einem Herren­haus engli­schen Stils in der Bergbau­stadt El Triunfo im Hochland. Doch was sie in ihrem Brief mitteilt, klingt zusammen mit einem ungewohnt nervösen, leicht hysteri­schen Tonfall beäng­stigend. Da ist die Rede von »vergiften«, von »Angst vor diesen ruhelosen Toten«, von Stimmen und Visionen. Noemí soll sie aufsuchen und macht sich auf den Weg.

Am einsamen Bahnhof von El Triunfo erwartet sie ein blut­leerer junger Mann namens Francis, um sie in einem museums­reifen Straßen­kreuzer abzuholen, aber Florence, seine Mutter, die sie an dem baufällig wirkenden Herren­haus empfängt, entpuppt sich schnell als wahrer Haus­drachen. Sie wird den Gast streng über­wachen und jeden faut pas wie Sprechen bei Tisch oder Rauchen sofort rügen, denn die pingelige Einhal­tung von Tisch­sitten und Haus­ordnung gehört zur vornehmen Lebensart. Eigen­artig anderer­seits, dass niemand die Besu­cherin herzlich will­kommen heißt, obwohl sie doch von Virgil einge­laden wurde.

Die Liste der Bewohner des Anwesens ist über­sichtlich, und alle heißen mit Familien­namen Doyle. An der Spitze steht Howard Doyle, der aris­tokra­tische Patriarch, ein von Schmerzen geplagter, vor sich hin siechen­der Alter. In der Hierar­chie folgt ihm sein Sohn und zukünf­tiger Erbe Virgil, Catalinas Ehemann. Hausdame Florence ist Howards Nichte, ihr Sohn Francis sein Großneffe.

Nur Catalina, das eigentliche Ziel von Noemís Reise, bleibt im Hinter­grund – sie brauche Ruhe. Erst als es Zeit wird für ihre Medizin, darf Noemí endlich ihr Zimmer betreten. Von Krankheit gezeich­net wirkt die Cousine aller­dings nicht. Sie sitzt unbe­weglich in einem Sessel, den Blick nach draußen gerichtet, als fühle sie sich in Gefangen­schaft. Erklä­rungen lassen auf sich warten.

Das Abendessen wird im düsteren Speise­saal von einem grau­haarigen Dienst­mädchen aufge­tragen. Sie stellt eine wässrige Suppe auf die Damast­tisch­decke unter dem Kande­laber. Nur Florence und Francis leisten Noemí Gesell­schaft. Catalina schläft, Virgil und Howard könnten sich, wie es heißt, zu vorge­rückter Stunde noch einfinden.

Die Begegnung mit Howard verläuft uner­freulich. Dem alten Rassisten sticht sofort die dunkle Hautfarbe des Gastes ins Auge, und er beredet ihre Abstam­mung. Doch die furcht­lose, belesene Noemí kann ihn mit ihren anthro­pologi­schen Kennt­nissen beein­drucken, und auch seine eindeu­tigen sexisti­schen Anwand­lungen weiß sie abzu­wehren, bis sie sich endlich in ihr Gäste­zimmer zurück­ziehen kann. Dort muss sie mit Kerzen, Öllampen und den lauen Tempe­raturen des antiken Warm­wasser­boilers zurecht­kommen.

Einst hatte eine Gold- und Silbermine den Kolonial­herren großen Wohlstand gebracht, und Howard war der letzte Profiteur. Nach einem furcht­baren Unglück mit Dutzenden von Todes­opfern wurde der Betrieb geschlos­sen, die Mine mit Wasser geflutet, und die meisten Menschen verließen den Ort. Nur die Doyles blieben. Heute ist von ihrem einstigen Reichtum nicht mehr viel zu merken, das Herren­haus ist zu einem muffigen, anti­quierten Anwesen verfallen.

Längst sind die Weichen gestellt für eine unheim­liche, spannende Ge­schichte in einem attrak­tiven Setting. El Triunfo bietet das Potenzial einer bewegten Historie seit der Kolo­nialzeit. Die Blüte des Bergbaus machte die Gruben­besitzer reich, die Arbeiter zahlten die Zeche mit ihrer Gesund­heit, bis sie gegen ihre Arbeits­bedin­gungen streikten. Es kam zu einer Revo­lution und zum Nieder­gang. So viel Interes­santes dies alles verspre­chen mag: Die Autorin hat anderes im Sinn. Denn sie ist dem Genre des »Mystery Gothic« verpflich­tet.

So ist die Erzählung mit dem Orts­wechsel aufs Land mit Schauer-Elementen ange­reichert, wozu das seltsame Gebahren der kauzigen Hausbe­wohner und das unheim­liche Ambiente des verlot­terten Gebäudes gehören (ständig knarzende Holz­bauteile, zugige Flure, flackern­de Kerzen, wispernde Wände, rätsel­hafte Symbole überall und eine neblige Groß­wetter­lage), serviert mit einer sexuell aufge­ladenen Atmos­phäre – man kennt die Klischees aus einschlä­gigen Romanen, Filmen und Persi­flagen. Je weiter die Handlung fort­schrei­tet, desto gruse­liger geraten die Zutaten, und mit jeder Steige­rung werden sie unglaub­würdiger. Wer hätte sich träumen lassen, wozu harmlose Schimmel­flecken hier mutieren können?

Neben Stimmen im Allgemeinen und Geistern im Beson­deren, die sich an Catalina wenden (Letztere aus den Wänden), sucht eine Heilerin auch Noemí auf und steckt ihr grausame Geheim­nisse aus der Vergan­genheit. Doch mit ihrem Mumpitz kann sie nur einge­fleischte Fans des Horror-Genres beein­drucken. Weniger versierte Leser mögen wenigs­tens das Treiben des schrul­ligen Personals samt der kuriosen Geist­wesen in einem hübsch und stimmig aufberei­teten Setting sowie die hürden­frei eingän­gige Sprache goutieren (Über­setzung von Frauke Meier). Die mexika­nisch-kana­dische Schrift­stellerin Silvia Moreno-Garcia, 1981 geboren, wurde immerhin schon mit etlichen Preisen ihres Metiers ausge­zeichnet.

Bis an einem gewissen Punkt das Maß voll ist. Unerträg­lich kann irgend­wann werden, dass die fiktio­nalen Sachver­halte jeden Bezug zur realen Welt verlieren, dass die Suche nach halbwegs ratio­nalen Erklä­rungen hoff­nungs­los und aus Grusel blanker Ekel wird (da hat der alte Howard Unsäg­liches zu bieten).


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