Investigativer Journalismus: der Fall Beltracchi
Ein bisschen Häme kommt schon auf, wenn man "Falsche Bilder, Echtes Geld" der beiden Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm gelesen hat. Denn im größten Fälscherskandal auf dem Kunstmarkt der Nachkriegszeit wurden die Superreichen abgezockt. Hat es ihnen spürbar weh getan? Wohl kaum. Nach landläufiger Meinung vermehrt sich ihr Vermögen im Schlaf, sie nutzen steuerliche Schlupflöcher, investieren, wo immer sich eine Rendite bietet. Gemälde haben sich als Alternative zu Hedgefonds, Derivaten o.ä. und als Fels in der Brandung weltweiter Abstürze im Jahr 2009 erwiesen. Während wir Normalbürger mit winzigen Zinserträgen gegen die Inflation ansparen, liegen sündhaft teure Kunstwerke in dunklen Kellern der Schweizer Banken, schlummern dort als Tresoraktien, um nach kürzester Zeit weiterverkauft zu werden, ohne je das Licht der Öffentlichkeit gesehen zu haben. Die Gewinnmarge ist nach oben offen.
Während der Fiskus zumeist leer ausgeht, ziehen alle, die diesen Markt bedienen – wie Galerien, Auktionshäuser, Vermittler, Gutachter – mit fetten Provisionen nach Hause. Die mannigfachen Versuchungen und die Gier nach dem Geld treiben manche Blüte; die kriminelle Phantasie ist grenzenlos; dem Verbrechen – ob Fälschung, Schwarz- und Drogengeldwäsche oder Steuerflucht – stehen Tür und Tor offen.
Seit 30 Jahren agiert der Künstler Wolfgang Beltracchi auf dem Kunstmarkt. Zusammen mit seiner Frau Helene, der Schwägerin Jeanette und Geschäftspartner Otto Schulte-Kellinghaus wusste er die Chancen des Marktes clever für sich zu nutzen. Solange man ein paar Bedingungen einhält, läuft das Geschäft eigentlich risikolos für die Fälscherbande. In einem Umfeld, wo Diskretion oberstes Gebot ist, wo milliardenschwere Käufer ungenannt bleiben möchten, wo als Fälschung identifizierte Gemälde einfach ungekennzeichnet wieder zurück an den Anbieter gehen, ohne dass er mit einer Anzeige rechnen muss, ist es doch geradezu einen Versuch wert, ein bisschen mitzumischen.
Man nehme einen versierten Künstler, der das Handwerk des Malens und die Techniken des Fälschens auf alten Leinwänden mit möglichst zeitgemäßer Rahmung beherrscht. Man suche verstorbene Maler der Moderne aus der zweiten Reihe. Man wähle Titel verschollener Gemälde, die in Werkverzeichnissen ohne Abbildung aufgeführt sind. Man lasse sich seine Fälschung von einem renommierten Kunstpapst mit Expertise als echtes Kunstwerk bestätigen. Und schon ist das Geschäft fast in trockenen Tüchern …
Aus mehreren Perspektiven haben die beiden Zeit-Journalisten Koldehoff und Timm den Fälscherskandal des Jahrhunderts auf unterhaltsame Weise beleuchtet. Mit Akribie haben sie Details ans Tageslicht gebracht. Ihr Stil ist faktisch, neutral und frei von jeglicher Verurteilung, so dass sich der Leser seine Meinung selber bilden kann. Neben der Biografie der vier angeklagten Betrüger (der "Beltracchi-Bande") erfahren wir alles, was sich in und hinter dem eigentlichen Geschäft mit Kunst abspielt – über Sammler, Museen, Auktionshäuser, Galerien, Kunsthistoriker. Letzteren fällt eine Schlüsselrolle zu: Ihnen genügt oft nur ein Foto, eine Beschau des Werks von 30 Minuten, um zu einem Urteil zu finden. Ihr Wort gilt, und damit ist dem Oeuvre eine Wertsteigerung sicher. Kaum zu glauben, dass naturwissenschaftliche Expertisen für millionenschwere Werte keineswegs selbstverständlich sind.
Wolfgang Beltracchi, der Mann hinter dem gigantischen Schwindel, muss sage und schreibe sechs lächerliche Jahre für sein Verbrechen einsitzen. Der Prozess vor dem Kölner Landgericht ging im Herbst 2011 nach nur neun Tagen zu Ende. Vierzehn Bilder hat der Maler als Fälschungen von seiner Hand anerkannt; wie viele weitere noch im Umlauf sind und in ein paar Jahren wieder auf den Markt geworfen werden können, dazu hat er fein geschwiegen – ganz nach der Devise, dass Diskretion alles ist …
Während der Gerichtsverhandlung erlangte der Name Beltracchi zwar eine gewisse Medienaufmerksamkeit als Fälscher des Jahrhunderts, doch ebenso flott geriet er wieder in Vergessenheit. Wahrscheinlich haben andere längst seinen Platz im alltäglichen business eingenommen, wo doch die Gier der Investoren auf Renditen ebenso groß ist wie die Chance, daran kräftig mitzuverdienen. Ob es dem Kunsthandel wohl ernst genug ist mit dem Wunsch, seiner betuchten Kundschaft mehr Sicherheit zu bieten? Ob es ihm gelingt, von allen seinen Mitgliedern einen diesbezüglichen "Kodex für den Kunsthandel" unterzeichnen zu lassen?
Das Buch endet mit einer Liste aller 84 "Werke von Wolfgang Beltracchi, aus seinem Besitz oder aus seinem Umfeld", darunter die vierzehn, deren Fälschung er selbst eingestand und die Gegenstand des Prozesses waren, solche, die wegen der Verjährungsfrist (zehn Jahre) nicht mehr verwertet werden durften, und die vielen, zu denen Beltracchi keine Aussagen machen wollte.
Für ihre Recherchen zum Fall Beltracchi wurden Stefan Koldehoff und Tobias Timm mit dem Prix Annette Giacometti ausgezeichnet, und sie haben den Otto-Brenner-Preis 2012 für Kritischen Journalismus gewonnen.