Meine Männer
von Victoria Kielland
Die sensibel erzählte Lebensgeschichte eines unfassbaren Menschen, der amerikanischen Serienmörderin Belle Gunness.
Annäherung an ein Monster
Brynhild Størset lebte vor über einem Jahrhundert, zu Zeiten, als ein Menschenleben noch keine umfassende Datenmatrix für die Nachwelt hinterließ und erst recht das Innenleben eines Individuums mit dem Tod für immer verschwand. Was man von ihr sicher weiß, erstellt das dürre Gerüst eines nicht untypischen Lebens: 1859 in Norwegen geboren, 1881 nach Amerika ausgewandert, 1884 Familiengründung in Chicago, 1900 Tod des Mannes und Umzug nach Indiana, Wiederverheiratung und weitere Kinder, 1902 erneut verwitwet, 1908 gestorben. Was jeden, der sich mit ihrer Vita befasst, bis heute schaudern lässt, sind die merkwürdigen Todes- und Unglücksfälle auf ihrem Weg, die zusammen mit Verdächtigungen und Indizien, Zeugenaussagen und Gerüchten aus ihrer Umgebung das verstörende Bild einer Frau umreißen, deren Seelenleben man sich kaum vorstellen kann. Sie gilt als erste amerikanische Serienmörderin.
Die norwegische Schriftstellerin Victoria Kielland (1985 geboren) hat sich der schwierigen Aufgabe gestellt, das Leben dieser Frau zu erforschen und ihr rätselhaftes Wesen fiktional aufzubereiten. Problematisch ist nicht nur die Faktenlage, sondern insbesondere, welche Haltung die Autorin gegenüber ihrer Protagonistin einnehmen soll. Die war mit großer Wahrscheinlichkeit eine brutale, vollkommen skrupellose Massenmörderin, deren Handeln und Fühlen nur in Ansätzen zu begreifen, geschweige denn zu erzählen ist. Victoria Kielland verzichtet darauf, abscheuliche Züge auszugestalten und die Frau für naheliegende moralische Entrüstung freizugeben. Sie macht aber auch keinen Versuch, ihre Taten zu entschuldigen. Es kommt ihr darauf an, nachzuvollziehen, was das Mädchen Brynhild Størset zum Monster Belle Gunness werden ließ.
Das Buch erschien 2021 in Norwegen, in neutrales Blau gebunden, unter dem ironisch-harmlosen Titel »Mine menn«, der an eine launige Revue wechselnder Liebesbeziehungen denken lässt. Die Kritiken fielen von Anfang an hymnisch aus, und mehrere Preise folgten. Für die deutschsprachige Ausgabe (in der kongenialen Übersetzung von Elke Ranzinger) ergänzte man den Titel um ein hintersinnigeres Umschlagbild.
Nach ihrer Ankunft in Amerika findet Brynhild Størset, eine unscheinbare Magd aus Norwegen, eine erste Bleibe bei ihrer älteren Schwester in Chicago. Die Wahl eines neuen, eingängigeren Vornamens – Belle (oder auch Bella) – symbolisiert ihre Entschlossenheit, sich ein besseres Leben aufzubauen, und zunächst mag sich das vielleicht auch eingestellt haben. 1884 heiratet sie Mads Sørensen, ebenfalls aus Norwegen, sie bekommen zwei Kinder und eröffnen 1896 eine Konditorei. Doch dann folgt Unglück auf Unglück. Nur ein Jahr später brennt das Geschäft ab. Von der Versicherungssumme können die Sørensens ein Haus kaufen, aber dann sterben binnen zwei Jahren ihre beiden Kinder. Belle bringt zwei weitere Kinder zur Welt, dann stirbt ihr Mann. Obwohl all diese Toten Vergiftungssymptome aufweisen, legen sich die Ärzte auf natürliche Todesursachen fest.
Für uns Leser scheinen nun Muster wiederzukehren. Wieder erhält Belle Versicherungsgeld. Sie zieht mit ihren Kindern nach La Porte, Indiana, kauft dort eine Farm, heiratet den norwegischen Witwer Peter Gunness, wird schwanger, und wieder – nach kaum neun Monaten Ehe – verstirbt der Ehemann. Dass er, wie Belle behauptet, einem Unfall zum Opfer gefallen sei, will das Hausmädchen der Familie nicht glauben, und sie macht ihre Zweifel auch publik. Einige Zeit später ist sie spurlos verschwunden.
Im weiteren Verlauf bekommen wir den Eindruck, dass Belle Gunness alle Hemmungen abwirft. Für die Farmarbeit stellt sie Landstreicher ein, die nach kurzem Aufenthalt angeblich weitergezogen sind. Per Kontaktanzeigen lockt sie etliche norwegische Heiratsinteressenten an, die mit Bargeld auf der Farm erscheinen und von denen man danach nie wieder hört. Mit dem regen Publikumsverkehr erweckt sie allerdings das Missfallen eines Farmarbeiters, der ihr seit 1906 ambitioniert zur Seite steht, sich in sie verliebt hat und ihr schließlich zum Verhängnis wird. Am 28. April 1908 brennt die Farm ab, angeblich von ihm verursacht. Unter den Trümmern und auf dem Gelände findet man die zerstückelten Überreste zahlreicher Leichen. Im Rückblick nimmt man an, dass Belle Gunness in Amerika zwischen zwanzig und vierzig Menschen getötet hat.
Indem Victoria Kielland der Reihe nach die bekannten historischen Ereignisse und für unvoreingenommene Außenstehende furchtbaren Schicksalsschläge behandelt, taucht sie tief in die Psyche ihrer Protagonistin ein, und erst nach und nach werden uns die Abgründe an hemmungsloser Gewalt und emotionaler Besessenheit bewusst. Einerseits brennt in Belle das Feuer einer unstillbaren sexuellen Lust und Begierde auf Männer. Andererseits schlachtet sie ihre männlichen Opfer mit einer Grausamkeit ab, die jegliche Vorstellung sprengt.
Kiellands Fiktion bietet uns einen möglichen Auslöser für die schauerliche Entwicklung an. Wir begegnen der siebzehnjährigen Brynhild zu Anfang der Erzählung als gutgläubige, fleißige Dienstmagd in einem reichen Haushalt. Hingebungsvoll und leidenschaftlich gibt sie sich dem Erben des Hofes hin. Was sie für Liebe hält, ist allerdings für ihn nur ein Akt der Befriedigung. Als sie schwanger wird, lässt er seine Wut darüber mit Fußtritten und Schlägen an ihr aus.
Lebenslang leidet Brynhild unter einem nicht beherrschbaren Komplex von Konflikten zwischen unerfüllbaren Wünschen, schmerzlichen Erfahrungen wie Einsamkeit, Scham und Ängsten und den in ihr selbst widerstreitenden Emotionen. Einerseits getrieben von Lust und Sehnsucht nach Liebe und Befriedigung, andererseits immer wieder niedergeschlagen durch seelische und körperliche Verletzungen, Enttäuschungen und Demütigungen, brechen sich gewaltsame Aktionen Bahn. Dass ihre Taten unentdeckt beiben und sogar finanzielle Vorteile einbringen, bestärkt sie, während sie sich gleichzeitig des schlimmen Unrechts bewusst ist (»Was bist du für ein Mensch?«). Sie sucht »Vergebung« bei Gott, doch da seine Antworten ausbleiben, kann sie keine Erlösung finden, verliert den »Halt«. Ihre Religiosität nimmt ekstatische Formen an. Sie wartet »auf Gottes läuterndes Feuer«, gelangt zu der Ansicht, ein Werkzeug Gottes zu sein und gegeben zu haben, »was sie geben konnte«.
Die erzählerische Leistung der Autorin ist außergewöhnlich und mitreißend. Die personale Erzählhaltung aus der Perspektive der Hauptperson lässt die Geschehnisse der äußeren Handlung von einem atemlosen, verzweifelten Monolog begleitet dahinrasen und entwickelt, indem Brynhilds Innenleben Schicht für Schicht bloßgelegt wird, einen ungeheuren Sog. Was geht in ihrem Kopf vor sich, was sieht und hört sie alles, was andere nicht wahrnehmen? Welch fiebrige Gefühle toben und quälen sie? Kaum hat sich der nach Erfüllung verzehrende Körper etwas abgekühlt, sucht er schon ein neues Objekt für seine Begierde. »Die Flammen waren unersättlich, immer bereit für mehr.«
Die rauschhafte Intensität der sprachlichen Gestaltung nimmt den Leser gefangen – ehe sich angesichts des Horrors erst später Ernüchterung einstellt und kritische Distanz aufbaut. Die unverblümte Drastik der bildreichen Beschreibungen von Körperlichkeit, Brutalität und seelischem Leid kann für manchen Leser zur Herausforderung werden. Zarte Poesie (»als würde jemand Schlittschuh über ihr Herz fahren«, der »prickelnde Sternenhimmel«, »Brynhild barg die Grausamkeit der Welt unter der Haut, aber auch deren Schönheit«) und abstoßender Realismus (»Sabber« aus dem Mund, »Geruch von feuchtem Heu, Blut und Urin kroch in alles hinein«, »zwei Haare an der Wand [sind] der Abfall zweier Menschen«) haben gleich wichtige Funktionen.
Nicht einmal über das Ende von Belle Gunness herrscht Gewissheit. Die Leichenreste auf der niedergebrannten Farm sind unvollständig, passen nicht zusammen und reichen nicht aus, um sie zu identifizieren. So kommen Gerüchte auf, sie habe sich insgeheim abgesetzt und anderswo weiter gemordet. Tatsächlich wurde über zwanzig Jahre später in Kalifornien eine Frau angeklagt, weil sie aus Geldgier einen Einwanderer aus Norwegen vergiftet habe. Gerade weil das Leben der Belle Gunness so vielschichtig, abstoßend, mitleiderregend und voller Rätsel war, hat es Chronisten seit jeher fasziniert. Es gibt Balladen, Filme, Dokumentationen, Sachbücher und Broschüren über die berühmt-berüchtigte Frau, und Victoria Kiellands Roman ist nicht nur der jüngste Beitrag, sondern auch der unkonventionellste und literarisch Aufsehen erregendste.