Rezension zu »Honey« von Viktor Lodato

Honey

von


»Honey« ist ein bittersüßer, tragikomischer Roman über eine glamouröse, selbstbewusste alte Dame, die sich angesichts ihres drohenden Lebensendes mit ihrer Vergangenheit und ihren Wurzeln auseinandersetzt und das Leben noch einmal auf ihre ganz eigene Weise in die Hand nimmt.
Belletristik · C.H. Beck · · 464 S. · ISBN 9783406822421
Sprache: de · Herkunft: us

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book

Landminen der Erinnerung

Rezension vom 03.12.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Ilaria »Honey« Fazzinga ist 80 Jahre alt und eine bemerkenswerte Dame, die ihr Leben intensiv geführt hat. Als Tochter einer italie­nisch­stäm­migen Mafia­familie in New Jersey ist sie unter der brutalen Herr­schaft ihres Vaters, des »Großen Pietro« (»eine Eisen­stange, die Knochen zer­schmet­tern konnte«) aufge­wachsen, für den Gewalt eine Erzie­hungs­methode und ein Lebens­prinzip war. Schon als junge Frau hatte Honey jedoch eigene Vorstel­lungen davon, wie sie leben wollte. Die traditio­nellen Erwar­tungen ihrer Familie, die sie in eine Rolle als Ehefrau eines Clan-Mitglieds und Mutter vieler Kinder drängen wollte, lehnte sie rigoros ab. Mit 2000 Dollar, einem festen Hände­druck und einem letzten Wangen­kuss ließ der Vater seine eigen­willige, hoch­mütige Tochter zähne­knir­schend nach Kali­fornien in die von ihr ersehnte Freiheit ziehen.

Ehrgeiz, Intelligenz und ihr attrak­tives Erschei­nungs­bild, das sie bis heute mit Hingabe pflegt, ebnen ihr den Weg nach oben. Sie wird eine ange­sehene Kunst­expertin, bewegt sich in den Kreisen der Reichen und Schönen und lebt das Leben, das sie sich erträumt hat.

Nach erfüllten Jahrzehnten an der West­küste hätte sich die feine Dame in Ruhe einem komfor­tablen Lebens­abend hingeben können. Doch passives Abwarten, was der Zufall bringen mag, ist nicht ihre Sache. Sie will sich auf ihren eigenen Abschied vorbe­reiten. So meldet sie sich bei der Organi­sation »Final Exit Network« an, um ihrem Tod selbst­be­stimmt ent­gegen­zu­gehen, ganz nach dem Motto: »Man muss stark sein, um zu leben, und noch viel stärker, um zu sterben.« Außerdem hat der Tod ihres Fast-Ehemanns Dominic Sparra und von zwei ihrer engsten Freun­dinnen eine Leere hinter­lassen. Da zieht es sie mit Macht zurück in ihre Heimat­stadt. Es sind nicht die Familien­bande, die sie zurück­rufen (ihre Eltern und ihr Bruder sind längst verstor­ben), nicht der Wunsch nach einem Neuanfang mit ihren jüngeren Ver­wandten und auch nicht die väter­liche Prophe­zeiung »Ich weiß, dass du wieder­kommst«, sondern ein innerer Impuls, den sie nicht igno­rieren kann: ein Gefühl, dass sie ihre Reise nicht abge­schlos­sen hat, der Drang, »Dinge zu Ende zu bringen«.

Der Roman beginnt mit einer Szene, die auf den ersten Blick trivial erscheint und doch den ent­schei­denden vollen Akkord setzt. Honey will ein Schaumbad bei Kerzen­licht genießen. Doch die Stimmung kippt unver­sehens, als sie in den flim­mern­den Kerzen das Gefühl einer Beerdi­gung über­kommt. Ein Krampf in ihrem Fuß führt dazu, dass ihre Gedanken umso schneller zurück in ihre Jugend­zeit wandern: an ihren Vater, den ermor­deten Bruder, geheime Gräber. Verfolgt von den Geistern der Ver­gangen­heit, kämpft Honey gegen die Erinne­rung und gegen die Angst, dass ihr Tod bald komme – und das nicht in der Weise, die sie sich vorstellt. »Wie ein urge­schicht­licher Vogel krampfte sie ihre Zehen mit den lackier­ten Nägeln«, und so schwingt die Erzählung weiterhin zwischen Melan­cholie, Satire, Ernst und Witz.

Lodato gelingt es meisterhaft, die inneren Konflikte der Prota­gonistin zu entfalten, und Humor ist dabei ein zentrales Element. Honey ist gleich­zeitig emanzi­piert, hem­mungs­los arrogant und von ihrer Ver­gangen­heit gezeich­net. Sie nimmt sich selbst nicht allzu ernst und ist sich ihrer Schwächen und Wider­sprüche voll bewusst. Der Autor breitet die bisweilen chaoti­schen, bisweilen tristen, bisweilen selbst­ironi­schen, bisweilen zynischen Gedanken, Aktionen und dahin­ge­zischel­ten Kommen­tare seiner komplexen Protago­nistin mit eleganter Leichtig­keit vor den Lesern aus. Im Vivienne-Westwood-Kostüm und Perücke (weil ihr echtes Haar aussieht, »als würde es Signale in den Weltraum schicken«) legt sie einen Auftritt bei Dominic Sparras Trauer­feier hin und spart nicht mit vergif­teten Freund­lich­keiten und Stiche­leien über »alte Leute«, Schwer­hörige (das »waren die Schlimms­ten«), das »Galerie­publi­kum«. Die Souve­ränität hinter diesem beißenden Humor trägt sie seit Langem durch ihre Erinne­rungen an traurige und kon­flikt­reiche Zeiten.

Die Auseinandersetzung mit ihrer Familien­ge­schich­te ist das zentraler Thema von Honeys Erzählung. Trotz aller Abkehr vom Milieu ihrer Herkunft ist sie nie wirklich frei davon. Als ihr Großneffe Michael plötzlich wieder in ihrem Leben auftaucht, um sie um Geld zu bitten, erinnert sie sich an die alten Ver­hält­nisse, in denen das Blut der Familie das Maß aller Dinge war und sie sich – wie Michael – als Außen­seiterin fühlte. Ihre Ent­schei­dung, Michael trotz seiner Un­zu­ver­lässig­keit und seines abge­risse­nen Aussehens einen Scheck auszu­stellen, illus­triert ihre Zer­rissen­heit zwischen der Ablehnung ihrer Herkunft und der Ver­bunden­heit mit ihren Wurzeln. »Sempre la famiglia« – der Leit­spruch zieht sich als roter Faden durch den Roman.

Honeys Rückkehr nach New Jersey konkre­tisiert die Be­stands­auf­nahme ihres Lebens. Trotz ihres Vorsatzes, in der alten Heimat bloß nicht auf die »Landmine der Erinne­rungen« zu treten, holt die Ver­gangen­heit Honey uner­bitt­lich ein. Zu oft, als dass sie mit den Erleb­nissen ab­schlie­ßen könnte, war sie Zeugin der tödlichen Gewalt des Vaters. Sie weiß um die Schlach­ten zwischen den rivali­sieren­den Clans, um die Leichen im Gemüse­garten ihres Eltern­hauses, um die Umstände des Todes ihres Bruders Enzo. Sie erkennt, dass die neue Gene­ration in der Familie die krimi­nellen Aktivi­täten erfolg­reich auf aktu­ellere Geschäfts­felder verlagert hat, die Methoden von Gewalt und Unter­drückung innerhalb der Familie aber nicht ver­schwun­den sind. Sie haben nur andere Formen ange­nom­men, als sie sie als Jugend­liche ertragen musste. Sie muss sich kümmern, bevor sie abtreten kann.

Schon in ihrer Jugend war sie »keine Heilige«, wie Michael sie erinnert, und sie ist keines­wegs frei von Aggres­sion und Gewalt­fantasien. Als ihre neue Nachbarin mit ihrem Kombi den liebevoll gehegten Kirsch­baum auf Honeys Grund­stück nieder­fährt, entsteht einer der amüsan­testen Konflikte des Romans, in dem Honey die »volumi­nöse junge Frau mit schweren Brüsten« sarkas­tisch als »Mörderin« be­zeich­net.

Manche Äußerungen zu Viktor Lodatos Buch lassen einen Mafia-Kriminal­roman erwarten, aber dieses Genre streifen Honeys Erinne­rungen nur ge­le­gent­lich. Mit seiner klaren Sprache gestaltet der Autor viel­fältige Szenen, Dialoge und Gedanken, die uns eine gereifte, lebens­kluge »Grande Dame« vor Augen führen. Aus manch tiefen Tälern in ihrem Lebensweg hat sie Verlet­zungen davon­getragen, aber auch Kraft und Mut gewonnen. Damit bietet der Roman eine Mischung aus Leichtig­keit und Schwere, aus Witz und Melan­cholie. Honey kann die Dinge mit scharfem Humor nehmen, auch wenn sich dahinter tiefe Trauer über den Verlust ihrer Freunde und über die Unab­wend­bar­keit des eigenen Lebens­endes verbirgt. Die Erzählung sprüht vor Esprit, doch Lodato verwehrt uns nie den Blick auf die ver­letz­ten, ver­letz­lichen Seiten seiner Protago­nistin.

Lodatos Erzählstil, übersetzt von Claudia Wenner, ist präzise, aber nie trocken. Er schafft es, ernste Themen wie Gewalt, Altern, Tod und Familie aus einem humor­vollen Blick­winkel zu präsen­tieren und schreckt vor Über­spit­zun­gen ins Lächer­liche und Absurde nicht zurück. Die Dialoge zwischen Honey und den anderen Figuren sind lebendig und pointiert, die Re­flexio­nen über das Leben und den Tod kommen nie schwer­fällig daher. Der Roman ist weder rein humorvoll noch rein drama­tisch, sondern eine gekonnte Mischung aus beidem, die den Lesern immer wieder ein Lächeln entlockt, während sie gleich­zeitig die tiefere Tragik von Honeys Leben spüren.


War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Honey« von Viktor Lodato
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book


Kommentare

Zu »Honey« von Viktor Lodato wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top