Spektakel in Rock und Tradition
Jeder feiert Weihnachten anders – der eine mag es heimelig-gemütlich, der andere still-besinnlich, manche lieben es romantisch, wieder andere festlich. Passende Musik gibt es zu jeder Stimmungslage – zwischen alpinen Zupfinstrumenten und Funk.
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und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Der Charakter dieser CD ist eindeutig modern, urban, positiv, feierlich, strahlend – dazu rockig und ein wenig folkig. Dabei sind elf der zwölf Titel – siehe unten – alte Klassiker britischer Weihnachtstradition, die wie ihre deutschen Entsprechungen wochenlang durch Kaufhäuser und Weihnachtsmärkte säuseln, bis man ihrer am Heiligabend überdrüssig ist. Legen Sie dann einfach »A Christmas Cornucopia« auf, drehen Sie die Lautstärke ruhig etwas höher, und frischer Wind pfeift durch Ihren Weihnachtsbaum: So würden die himmlischen Heerscharen jubilieren, wenn sie ihre frohe Botschaft im 21. Jahrhundert verkünden müssten – eine Musik, die uns Hirten nicht ängstigt, sondern hoffnungsvoll stimmt.
Natürlich ist es in erster Linie Annie Lennox’ markante Altstimme, die den Charakter der Musik prägt. Sie ist beeindruckend dynamisch; Lennox kann nach Belieben und nach Bedarf modulieren: klar und beherzt, wenn es ein Evangelium zu verkünden gilt, einfühlsam, wenn es besinnlich wird (»In the bleak Midwinter«) – aber immer punktgenau und kontrolliert. Bisweilen klingt sie dunkel, dann wieder hell wie Glockentöne (»Angels from the Realm of Glory«).
Wohltuend und wie aus der Popmusik-Zeit gefallen empfinde ich Lennox’ deutliche Artikulation; ihr liegt offenbar etwas daran, dass man den Sinn ihrer Worte versteht und nicht nur Stimmung transportiert wird.
Für die Schaffung der Stimmung sind die Instrumentierung und ein Chor zuständig. Die meisten Instrumente spielte Annie Lennox selbst ein, ließ sie aber meist nur dezent einmixen – da genügt etwas Klavier, dazu einige Streicher wie im Eingangslied »Angels from the Realm of Glory«, ab und zu ein paar Pfeifer und ländlich anmutendes Schlagwerk (»God Rest Ye Merry Gentlemen«). Die Stücke sind nach traditioneller Art mehrstimmig gesetzt; der Background-Chor singt durchweg fortissimo (bei einigen Liedern mit afrikanisch anmutenden Motiven), ist aber meist ›gedimmt‹ beigemischt, so dass Lennox’ tragende Stimme die Oberhand behält.
Am tiefsten geht mir »Lullay Lullay« unter die Haut – nach friedlichen monophonen Eingangstakten, aber bereits in Moll, schreit Annie (mehrstimmig) »Bye bye, my little tiny child« heraus, um dann, begleitet nur von einer akustischen Gitarre und hartem Schlagzeug, das Leid der Mütter beim Kindermord des Herodes zu beklagen. Ebenso kühn wirkt »Il est né, le Divin Enfant«, dessen Satz frührenaissancehafte und moderne Motive kombiniert. Auch »Silent Night« gestaltet Annie Lennox weit weg von jeglichem Alpenkitsch und auf ganz neue Weise schlicht und schön. Einzig »Universal Child« (die einzige Eigenkomposition auf dieser CD) wirkt vergleichsweise flach.
Ein besonderer Genuss ist das Video zu »God Rest Ye Merry Gentlemen« (z.B. auf www.myvideo.de anzusehen). – ein Fest der Sinne! Das Spektakel erzählt die Wanderung der Merry Gentlemen durch eine surreale Postkarten-Winterlandschaft zum Kind in der Krippe. Die altertümliche Film-Technik imitiert Eadweard Muybridges Phenakistoskop-Verfahren, was mit der Rhythmik und der Stimmung wunderbar harmoniert.
Wer Annie Lennox nicht mag, wird ihre Darbietungsweise pathetisch oder theatralisch nennen – ich finde sie aufregend und ehrlich. Diese Künstlerin hat etwas zu sagen; sie bereichert die altbekannten Weisen um eine dezidierte Interpretation, die mich restlos überzeugt und ihnen eine ganz neue Attraktivität verleiht.
02 God Rest Ye Merry Gentlemen
03 See amid the Winter’s Snow
04 Il est né, le Divin Enfant
05 The First Noel
06 Lullay Lullay (Coventry Carol)
08 In the bleak Midwinter
09 As Joseph was a-walking
10 Oh little Town of Bethlehem
11 Silent Night
12 Universal Child
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