
Weihnachten bei den Holzfällern
Bruce Cockburn ist ein kanadischer Sänger und Gitarrist. Er wurde 1945 geboren und hat seit 1970 über dreißig Alben eingespielt. Was ihn kennzeichnet, ist Folk, Jazzrock, Bluegrass, rollende Rhythmen; virtuoses, unaufdringliches Spiel auf der klassischen Akustikgitarre (und verwandten Instrumenten), kleine Begleitband; eine angenehme, erdige Stimme mit achtlos wirkender Aussprache, aber gut zu verstehende Texte mit meist sozialen, politischen und christlichen Inhalten.
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Fernab der unzähligen süßlich-gefälligen Aufgüsse bekannter Jahresendhits erzeugt Cockburns Sammlung weihnachtlicher Stücke (davon zehn in Dur-Tonarten) eine meist heitere, lebhafte Atmosphäre. Vier der fünf Lieder in Moll stimmen dagegen eher nachdenklich und entführen in zeitlich und räumlich entfernte Kulturen. Fast zwangsläufig evoziert die Musik beim Hören und Träumen Bilder aus der tief verschneiten, friedlichen Einsamkeit Kanadas, vielleicht von einer kleinen Gruppe guter Freunde, die sich auf einer Lichtung oder in einer Blockhütte um ein Feuer versammelt haben. Ein Blick auf das Cover enthüllt, was der Künstler selbst für derlei Klischees übrig hat: Er macht sich darüber lustig.
Tatsächlich interpretiert Bruce Cockburn (das -ck- wird übrigens nicht ausgesprochen) die traditionellen Weihnachtslieder, die in der anglophonen Welt jeder mitsummen kann, recht unkonventionell. Respekt zollt er ihnen aber sehr wohl – und arbeitet damit ganz ungewohnte, faszinierende Züge heraus. Alles zusammen – die winterliche Würde, weihnachtliche Besinnlichkeit und Freude der Vorlagen, dazu die spielerische Leichtigkeit und Ironie – macht den Reiz der wunderbaren, zeitlosen CD »Christmas« aus.
Die Hirten auf dem Felde, Cowboys auf den Weiden oder lumberjacks in den Wäldern, die da musizieren, sind offenkundig frohgemut. Zwei Klassiker, nur auf der Sologitarre angespielt, rahmen die Kollektion ein (Adeste Fidelis / Oh come all ye faithful und Joy to the World).
Die drei fröhlichen Titel Les Anges Dans Nos Campagnes (bei uns als »Gloria in excelsis Deo« bzw. »Engel auf den Feldern singen« bekannt), I Saw Three Ships und God Rest Ye Merry, Gentlemen verbreiten mit ihrer leichtfüßig perlenden Hintergrundbegleitung pastorale Ausgelassenheit.
Gewagter klingen O Little Town of Bethlehem, konsequent und etwas spröde gegen den vertrauten Rhythmus und die übliche Niedlichkeit gebürstet, und Silent Night, kühn amerikanisiert mit bottleneck-Einsprengseln und Mandolinen und nie gehörten Harmonien.
Regelrechte Country & Western-Versionen liefern Cockburn und seine Musiker von Early On One Christmas Morn, Go Tell It On The Mountain und Mary Had A Baby ab. Die tönen ganz entspannt wie im verrauchten Saloon, im Hintergrund jubilieren Gospel-Sängerinnen, bis das Stück mit pompösem ritardando zum Stillstand kommt.
Am interessantesten sind freilich zwei Stücke von ausgefallener Provenienz, die eine dunkle, exotische Farbe einführen. Riu Riu Chiu ist eine einfache Tonfolge in Moll und ihre teilweise Spiegelung. Diese kraftvolle Phrase wird in vielfacher Wiederholung wie beschwörend vorgetragen und immer reichhaltiger instrumentiert, bis endlich alles flirrend und zwitschernd ausklingt. Es handelt sich um die ziemlich freie Gestaltung einer spanischen Vorlage aus dem 16. Jahrhundert (ein villancico), die auch in Lateinamerika populär war.
Als erstes Weihnachtslied kanadischen Ursprungs gilt Iesus Ahatonnia, auch als »Jesus Ahatonhia« oder »The Huron Carol« zu finden. Den Text hat der Jesuitenpater Jean de Brébeuf um 1640 in der Sprache seiner Huronen-Gemeinde verfasst, um die Weihnachtsgeschichte mit deren Vorstellungen und Bildern auszudrücken. Der Titel bedeutet »Jesus ist geboren«, die Melodie stammt aus seiner französischen Heimat. Obwohl feindliche Irokesen die Missionsstation 1649 zerstörten und de Brébeuf töteten, überlebte das Lied bei den Huronen, die nach Quebec geflohen waren. Erst später wurde es ins Englische und Französische übersetzt. Bruce Cockburn aber singt den Originaltext, und man meint, sein Vortrag umfasse vollständig die vielfältige Tragik, die mit der Geschichte dieses Liedes verknüpft ist.
Bemerkenswert sind schließlich Cockburns Versionen zweier weiterer kaum bekannter Lieder. Der Text von Down In Yon Forest (»Corpus Christi Carol«) liegt schon in einem mittelenglischen Manuskript von etwa 1504 vor. It Came Upon The Midnight Clear hört sich an, als stamme es ebenfalls aus der Renaissance, es entstand jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts in Massachusetts. Während das Original in Dur erklang, hat Cockburn eine Variante in Moll daraus gemacht, die das Weihnachtslied noch melancholischer wirken lässt.
Trotz der großen Bandbreite der Musikstücke, der Botschaften ihrer Texte, der Stimmungen und der Kulturen ihrer Herkunft ist diese CD eine Einheit, das überzeugende Werk eines Künstlers, dessen unverwechselbare stilistische Ausdrucksweise in Jahrzehnten gereift ist.
02 Early On One Christmas Morn (3:03)
03 O Little Town Of Bethlehem (3:39)
04 Riu Riu Chiu (6:27)
05 I Saw Three Ships (4:21)
06 Down In Yon Forest (4:10)
07 Les Anges Dans Nos Campagnes (3:10)
08 Go Tell It On The Mountain (3:13)
10 Silent Night (4:11)
11 Iesus Ahatonnia (The Huron Carol) (6:34)
12 God Rest Ye Merry, Gentlemen (2:54)
13 It Came Upon The Midnight Clear (6:42)
14 Mary Had A Baby (4:43)
15 Joy To The World (0:46)
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