
Bobby March forever
von Alan Parks
Im heißen Sommer 1973 stirbt der vielversprechende schottische Rockstar Bobby March mit nur 27 Jahren. Aber im verkommenen Glasgow der Zeit geschieht noch mehr Abgründiges. Allein Harry McCoy bemüht sich, für das Gute und Gerechte zu kämpfen.
Im Sumpf
Der schottische Krimiautor Alan Parks hat seine Liebe zum Schreiben nach dem Philosophiestudium an der Universität Glasgow und ein paar Jahren im Musikgeschäft eher beiläufig entdeckt. In der schottischen Metropole mit ihrer bewegten Vergangenheit – einst blühende Werften, später verfallene Industrieanlagen, Slums voller Armut und Kriminalität, dann europäische Kulturhauptstadt (1990) und Wiederaufstieg – hat er auch seine Krimireihe um den aufrechten Detective Harry McCoy angesiedelt, und zwar in ihrer finstersten Zeit, den Siebzigerjahren. Sie umfasst bisher fünf Bücher, und es ist bei scharfem Blick auf die Titel nicht schwer zu erraten, wie viele Bände der Autor insgesamt anstrebt. Nach »Bloody January« (2017), »February’s Son« (2019), »Bobby March Will Live Forever« (2020), »The April Dead« (2021) und »May God Forgive« (April 2022) darf Übersetzerin Conny Lösch wohl mit sieben weiteren Aufträgen rechnen, nachdem sie schon »Blutiger Januar«, »Tod im Februar« und jetzt »Bobby March forever« gestemmt hat. Das Prinzip der Monatsnamen in den Buchtiteln musste sie dieses Mal wohl oder übel unterbrechen. Es geht nämlich in der Handlung um einen (fiktionalen) Rockstar mit dem Namen Bobby March. Würde man den zu »Robert März« eindeutschen, hätte man zwar den Monat gerettet, aber alle Affinitäten zu Glasgow, Rock’n’Roll und ziemlich harten Kriminalfällen abgewürgt.
Die Geschichte von Bobby March beginnt hoffnungsvoll, findet aber ein abruptes Ende. Im Februar 1964 reist der siebzehnjährige Gitarrist der Band »The Beatkickers« nach London, um einen Plattenvertrag abzuschließen – bei dem selben Label wie »The Beatles«! Alles spricht dafür, dass er eine grandiose Zukunft vor sich hat und sein Heimatviertel, das heruntergekommene Arden, für alle Zeiten hinter sich lassen wird. Aber zehn Jahre später kehrt er doch noch einmal zurück, um als Star ein Konzert im »Electric Garden« zu geben. Am nächsten Tag – es ist der 13. Juli 1973 – findet man ihn tot.
Der wachhabende Beamte ist an diesem Morgen Harry McCoy, und er muss sich kümmern. Als er die Leiche des Rockmusikers in seinem Hotelzimmer sieht und den Gestank von Räucherstäbchen und menschlichen Ausdünstungen wahrnimmt, kommen ihm die anderen Ikonen der Musikszene in den Sinn, die wie er an einer Überdosis gestorben und zu früh dahingegangen sind. Doch McCoy bleibt weder Zeit zum Philosophieren noch zu geruhsamer Aufklärung, denn sein diensthabender Vorgesetzter lässt ihm keine. Inspector Bernie Raeburn ist seit zwanzig Jahren im Dienst und in Harrys Augen »ein Arschloch, aber nicht total unfähig«. Der eigentliche Chef von beiden ist Chief Inspector Hector Murray, 59, gut befreundet mit Harry, aber spinnefeind mit Raeburn. Entweder provozieren die beiden einander, oder sie gehen sich aus dem Weg. Zurzeit ist Murray vorübergehend in Perth eingesetzt und hat Harry um einen sehr diskret zu behandelnden Gefallen gebeten, nämlich seine minderjährige Nichte Laura im Auge zu behalten. Das Töchterchen aus gutem Elternhaus verkehrt in schlechten Kreisen.
Raeburn hat derweilen Wichtigeres zu tun. In aller Munde, in allen Medien dreht sich alles um die traurige Nachricht vom Verschwinden der dreizehnjährigen Alice Kelly, und um diesen Aufsehen erregenden Fall reißt sich der Inspector. Mit den Banküberfällen, die seit einiger Zeit nach immer gleichem Muster ablaufen, soll sich McCoy beschäftigen, und mit dem Drogentoten auch.
Damit sind eine ganze Reihe obskurer Fährten und Beziehungen gelegt – Stoff genug für einen deftigen Krimi im kernigen Retro-Noir-Stil. Der Sommer ist (ausnahmsweise) unerträglich heiß, der Schauplatz Glasgows verruchtes Unterweltmilieu der Siebzigerjahre, das dem Autor noch so bekannt sein wird wie seinem Protagonisten. In den Pubs, Bars, Kneipen und Drogenabsteigen suchen die underdogs der Gesellschaft mit Prostitution und Alkohol ihrem abgehalfterten Leben einen Sinn zu geben, während Geschäftemacher, harmlose Mitläufer, skrupellose Betrüger und Dealer kleinen und großen Stils daraus Profit schlagen wollen. Im Sumpf von Missbrauch und Gewalt, Unsittlichkeit und Lastern, Rivalitäten und Unterdrückung, Korruption und Protektion, Bezichtigungen und Gratulationen, Verdächtigen und zweifelhaften Geständnissen ist Harry McCoy der einzig Aufrechte – nicht Raeburns, nicht einmal Murrays Weste ist sauber. Um zwischen all den widerstreitenden Interessen im Sinne der Gerechtigkeit zu agieren, muss McCoy einen Ritt auf Messers Schneide absolvieren und setzt damit seine eigene Zukunft aufs Spiel.
Sorgt all dies für Spannung und atmosphärische Dichte, so nimmt sich Alan Parks durch manches Zuviel selbst den Wind aus den Segeln. Zum Beispiel überlädt er die Handlung, indem er auch noch die IRA-Problematik einbindet. Sein Lokalpatriotismus mag ihn zu den detaillierten Ortsbeschreibungen und Benennungen motiviert haben – Ortsfremde können sie verwirren oder langweilen. Dass rauhe Dialoge, ungefiltert aus den brutalen Milieus übernommen, von Vulgarismen strotzen, gehört ebenso zum Stil des Noir-Genres wie alle Spielarten von Sarkasmus und Zynismus (»Ich bin mehr korrupten Polizisten begegnet, als Sie in Ihrem Leben warme Mahlzeiten hatten.«) und ein einsamer Held, der sich mit reichlich Alkohol durchlaviert, damit er auf der richtigen Seite bleibt und nicht in Melancholie verfällt. Zur Abrundung liefert uns der Autor noch eine Spotify-Playlist mit, die der traurigen Geschichte des Rockstars Bobby March einen durchwachsenen Soundtrack aus zwei Dutzend fetzigen, besinnlichen, poppigen, tristen, aber allesamt bekannten Pop- und Rocksongs der Zeit beifügt.