Rezension zu »Inés und die Freude« von Almudena Grandes

Inés und die Freude

von


Belletristik · Hanser · · Gebunden · 672 S. · ISBN 9783446245976
Sprache: de · Herkunft: es

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Zuckerkringel für die Widerstandskämpfer

Rezension vom 21.01.2015 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Europaweit tobten im Herbst 1944 blutige Kämpfe, um den Faschismus nie­der­zu­rin­gen. Die deutschen Truppen sahen sich zum Rückzug gezwungen, das Ende war absehbar. Unter den Gegnern des spanischen Franquismus wuchs die Hoffnung, nun auch diese Diktatur stürzen zu können. Schon im Mai hatten die Alliierten Spanien unter Druck gesetzt, seine Un­ter­stüt­zung Deutschlands aufzukündigen. Doch danach ließen sie den »Caudillo« Francisco Franco unbehelligt: Stabile Verhältnisse in Spanien waren ihnen lie­ber, als das Land kommunistischen Aufrührern zu über­las­sen.

Deswegen kämpften die militanten Franco-Widerständler ziemlich aussichtslos gegen ihren übermächtigen, gut organisierten Feind an. Viele waren Mitglieder des (seit 1939 verfolgten) Partido Comunista de España (PCE) und ins französische Exil geflohen, andere stießen aus der französischen Résistance dazu. Ihre wa­ge­mu­ti­gen Operationen waren, da die erhoffte alliierte Luftunterstützung ausblieb, zum Scheitern ver­ur­teilt. Der Diktator hielt sich noch bis 1975 an der Macht. Die Freiheitskämpfer und ihre Aktionen sind heute weit­ge­hend ver­ges­sen.

Die populäre spanische Autorin Almudena Grandes will die Erinnerung an jene Zeit auffrischen. Nichts weniger als einen sechsteiligen Romanzyklus, »Episoden aus einem endlosen Krieg«, hat sie sich vor­ge­nom­men und bereits vier Bände fertig (siehe Zusammenstellung am Ende).

Im nun auf Deutsch erschienenen zweiten Band des umfangreichen sixpacks schildert Almudena Grandes in epischer Breite und entlang gleich dreier Liebesgeschichten, was sich im Herbst 1944 im Rahmen der »Operación Reconquista de España« zutrug. Seit September waren schon viertausend Männer aus Frank­reich über die Grenze gekommen; Ende Oktober folgten weitere viertausend. Ihr Ziel war, im ka­ta­lo­ni­schen Arán-Tal (etwa 50km westlich von Andorra in den Pyrenäen) eine Enklave einzurichten, von der aus man gemeinsam mit spanischen Guerrilleros und alliierter Hilfe den Widerstand gegen Franco organisieren und einen Volksaufstand provozieren wollte. Der »Generalísimo« fürchtete, die Invasions­truppen, die be­reits Frankreich befreit hatten, könnten nun auch ihm den Garaus machen, und sandte eine schlagkräftige Truppe, die die ersten Eindringlinge nach kürzester Zeit auf die französische Seite zurück­drängte.

Dieses dramatische Szenario mag Grandes indes gar nicht im Detail ausbreiten, zumal die Quellenlage zur Operation im Arán-Tal desolat ist. Von den wenigen überlieferten politisch-ideologischen Hintergründen, den hochinteressanten widerstreitenden Überlegungen zur Strategie des Widerstandes und von den krie­ge­ri­schen Auseinandersetzungen in den Bergen erfahren wir wenig. Stattdessen erfindet die Autorin das Lie­bes­paar Inés und Galán, die beide als wichtigste Sympathieträger aus der Ich-Perspektive erzählen und die Handlung gestalten dürfen, und gesellt sie ein paar historischen Figuren und Verliebten hinzu. Eine dritte, unpersönliche Erzählerin (die Autorin selbst) steuert aus dem Off die realgeschichtlichen Hinter­gründe und Zusammenhänge bei.

Kein Zweifel: »Inés und die Freude« ist eher ein Liebes- als ein historisch-politischer Roman. Satte elf Mal kehrt wie ein Motto der (etwas verquast konstruierte) Leitsatz wieder: »Die unsterbliche Geschichte stellt verrückte Dinge an, wenn sie auf die Liebe Sterblicher trifft.« (»La Historia inmortal hace cosas raras cuando se cruza con el amor de los cuerpos mortales.«) Und so gehen die Dinge:

Inés Ruis Maldonado Castro Soto Suárez wird 1914 in einer wohlhabenden madrilenischen Bürgerfamilie geboren. Mit der älteren Schwester Matilde und dem Bruder Ricardo wächst sie wohlbehütet in einer »Welt aus weißen Klöppelspitzen« auf. Nach dem Tod des Vaters (1933) übernimmt Ricardo dessen Rolle; Inés kümmert sich um die in Depressionen versinkende Mutter. Während Ricardo der neuen faschistischen Falange-Partei beitritt und rasch Karriere macht, interessiert sich eine feine junge Dame wie Inés nicht im Mindesten für Politik. Mit der Mutter im Hause allein gelassen, langweilt sie sich jedoch schier zu Tode.

Bis eine Einladung ihrer Nachbarin sie befreit. Aurora, 25, genießt das pralle Leben und nimmt Inés mit in die ihr bislang unbekannte Welt der Dichterlesungen, Musikdarbietungen, Diskussionen und der freien Liebe. Als Ricardo erfährt, dass sich seine Schwester just in dem Etablissement amüsiert, in dem die linke Volksfront ihren Wahlsieg gefeiert hat, verbietet er ihr jeglichen weiteren Umgang mit der suspekt le­bens­lus­ti­gen Aurora.

Ob Inés' politisches Bewusstsein erwacht ist oder sie nur aus Trotz reagiert, bleibt offen; jedenfalls richtet sie in der elterlichen Wohnung ein Büro der »Internationalen Roten Hilfe« ein und finanziert es mit dem Geld, das Bruder Ricardo für Notfälle im Safe der Familie deponiert hat.

Nach Francos Machtübernahme am Ende des Bürgerkrieges wird Inés 1939 verhaftet und muss wie viele andere gefangene Kommunisten täglich mit ihrer Erschießung rechnen. Ricardo, mittlerweile ein führender Offizier und zum Delegierten der Falange in Lérida aufgestiegen, hat seiner Schwester den Verrat, das Fa­mi­li­en­ver­mö­gen an die Soldaten der Volksarmee zu verteilen, nie verziehen; nur auf Drängen sei­ner Ehe­frau Adela holt er sie aus dem Gefängnis und bringt sie in einem Kloster unter. Als sie nach einem Selbst­mord­ver­such für die Nonnen nicht mehr tragbar ist, nimmt Adela sie voller Verständnis, Vertrauen und Lie­be in dem Landhaus in den Pyrenäen auf, in das Ricardo seine Frau und Kinder in Sicherheit ge­bracht hat.

Hier hört Inés am 18. Oktober 1944 von der Invasion im Arán-Tal. Zu Pferd und mit fünf Kilo Zu­cker­krin­geln – romantisch? liebenswert? naiv? – im Gepäck schließt sie sich der Parti­sanentruppe an. Deren Kom­man­dant ist Hauptmann Galán, dem Inés augenblicklich verfällt (wobei er­neut offen bleibt, ob sie im wei­te­ren Verlauf allein eine Hörige ihrer Leidenschaft ist oder auch von ideologischer Solidarität beflügelt wird).

Nach misslungener Invasion und ausgebliebener Volkssolidarität ziehen sich die Kämpfer nach Toulouse zurück, stoßen aber im Untergrund immer wieder auf spanisches Terrain vor, und natürlich gehört auch Galán zu jenen, die ihr Leben für die Befreiung ihres Landes aufs Spiel setzen. Jedenfalls ist der Roman mit der gescheiterten Operation im Arán-Tal noch lange nicht zu Ende – manche Erzählstränge set­zen jetzt erst richtig ein.

»Inés und die Freude« ist ein Epos von ausufernder Breite. Gewisse Stichworte lösen neue Erzählschleifen aus, die etwa den Werdegang einer Person, die Lebensläufe der Kinder der Schwägerin oder Ähnliches aufrollen, um am Ende wieder bei Inés auszukommen und den ursprünglichen Faden fortzuführen. Die weit verzweigten Nebenstränge, die damit verbundenen Sprünge in der Chronologie und manche Wiederholung strapazieren Konzentration und Geduld auf Kosten der Gesamtwirkung.

Erfreulicherweise lässt sich die Autorin trotz ihres Engagements für die Widerstandskämpfer nicht zu Schwarz-Weiß-Malerei verleiten. Sie beschönigt nicht die historische Realität, dass das hoch zielende Kon­zept der »Operación Reconquista de España« nicht aufging. Es gelang nicht annähernd, die Be­völ­ke­rung gegen Franco und für die kommunistischen Ideale mitzureißen, geschweige denn das ganze spa­ni­sche Volk zu einem Aufstand anzustacheln. So konnten die Franco-Truppen ihre Überlegenheit un­ge­hin­dert ausspielen.

Das umfangreiche Personal des Romans ist recht gut ausdifferenziert zwischen Groß- und Kleinbürgern, Mutigen und Feigen, Kämpfern und Gleichgültigen, Idealisten und Karrieristen; allein die Frauen sind durch und durch anständig, und sie stehen im Zentrum dieses opulenten Dramas um eine große Liebe unter le­bens­ge­fähr­li­chen Umständen, um Unterdrückung, Hoffnung, Verfolgung, Misstrauen, Verrat, Angst, Ent­beh­rung und Tod in einer unbekannten Phase spanischer Geschichte.


Der sechsteilige Romanzyklus »Episoden aus einem endlosen Krieg« von Almudena Grandes (aktualisiert im November 2021):

  1. »Inés y la alegría« Almudena Grandes: »Inés y la alegría« bei Amazon (2010)
    »Inés und die Freude« Almudena Grandes: »Inés und die Freude« bei Amazon (2014; Übersetzung: Roberto de Hollanda)
  2. »El lector de Julio Verne« Almudena Grandes: »El lector de Julio Verne« bei Amazon (2012)
    »Der Feind meines Vaters« (2013; Übersetzung: Roberto de Hollanda)
    [Lesen Sie hier meine Rezension.]
  3. »Las tres bodas de Manolita« Almudena Grandes: »Las tres bodas de Manolita« bei Amazon (2014)
  4. »Los pacientes del doctor García« Almudena Grandes: »Los pacientes del doctor García« bei Amazon (2017)
  5. »La madre de Frankenstein« Almudena Grandes: »La madre de Frankenstein« bei Amazon (2020)
  6. »Mariano en el Bidasoa« (voraussichtlich 2022)

Weitere Artikel zu Büchern von Almudena Grandes bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Der Feind meines Vaters«

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