Augenzeuge oder Psychopath?
Ein abgehalfterter Fußballstar, ein verhinderter Klaviervirtuose, ein fideler Priester und ein besinnlicher Totengräber in der zweiten Generation sind die vier Hauptpersonen im vierten Band der beliebten Max-Broll-Reihe des Innsbrucker Autors Bernhard Aichner. Obwohl mehrere Personen gezielt ins Reich der Toten befördert werden, knistert auch in dieser Folge nicht in erster Linie die kriminalistische Spannung, sondern es prickeln die psychologischen Kammerspielchen zwischen den Mitgliedern des Quartetts im österreichischen Dorfambiente »am Ende der Welt« und darüber hinaus.
Im Mittelpunkt steht Max Broll, 25, Aichners Serienheld mit dem geruhsamen Wesen und dem beschaulichen Lebenswandel. Als vor ein paar Jahren sein Vater starb, beschloss er, in dessen Fußstapfen zu treten und seine Friedhofswärterstelle zu übernehmen. Dass er dafür seinen ursprünglichen Berufswunsch (Journalist) und das hierzu dienliche Studium in Wien hingeben musste, fiel ihm nicht schwer, lockte doch ein Diensthäuschen, von dessen Dachterrasse ein herrlicher Ausblick über den Gottesacker und in die weite Natur zu genießen ist, gern von ein, zwei Bierchen gerahmt. Was an Pflichten ansteht, hält sich in ebenso überschaubaren Grenzen: zwei Dutzend Begräbnisse pro anno, Grab- und Wegepflege und dergleichen. Es verbleibt also genügend Freiraum für Träumen, Tratschen, Trinken und die gleich neben den Grabreihen frisch angelegte Sauna mit Schwimmteich, um sich die böse Welt da draußen vom Leibe zu halten.
Einer wie Max, schon gleich wenn er auch noch Totengräber ist, hat und braucht nicht viele Menschen nahe bei sich. Tilda, die Witwe seines Vaters, bekocht und versorgt ihn mit Zuneigung. Mit Johann Baroni, dem heimgekehrten Ex-Fußballstar, verbindet ihn eine Blutsbrüderschaft. Gemeinsam haben sie manche Schlacht geschlagen, können sich blind aufeinander verlassen. Noch frisch in der Runde ist Akofa, der neue Pfarrer aus Afrika, der entgegen allen Unkenrufen (»ein Neger, ein waschechter Bimbo«) keineswegs das Übel, sondern Frohsinn in die Gemeinde gebracht hat. Der dunkelhäutige Naturbursche mit dem sonnigen Gemüt hat einen grünen Daumen und lässt, begünstigt von der Fruchtbarkeit des hiesigen Bodens und Brennnesselwasser, kiloweise Gras sprießen. Zum Erntedank kann er mit Max erheiternde Selbstgedrehte genießen.
Max am nächsten stand Hanni Polzer. Sie betrieb den Würstelstand – eine Art Litfaßsäule, Umschlagplatz für Nachrichten und eine feste Institution im Dorf. Beinahe wären die beiden die Ehe eingegangen, da musste sie eines unnatürlichen Todes sterben. Davon erzählt der zweite Band, und Aichner sorgt für Kontinuität. Jetzt will Johann Baroni das Lädchen übernehmen und mit »Baronis Würstchen« den Grundstock für ein ganzes Imperium legen. So ein Erfolg tut Not, denn Baroni ist gründlich pleite. Einst, als »österreichische Fußballlegende«, hatte er Geld wie Heu. Doch dann hat er sein gesamtes Vermögen inklusive Wiener Immobilien verzockt.
Die feierliche Geschäftseröffnung nimmt ihren Lauf mit dem Humtata der Blasmusik, dem Aufmarsch der Schützen und Akofas kirchlichem Segen. Als der Salutschuss donnert, fällt Baroni um. Einfach so. Zwar sieht Max alles doppelt (in Folge von Akofas Grünzeug), doch so benebelt er auch ist, weiß er, was er gesehen hat: Ein Fremder in Lederhosen und kariertem Hemd hat aus dem Getümmel auf Baroni geschossen.
Während der schwerverletzte Freund im Koma auf der Intensivstation versorgt wird, identifiziert Max den Schützen: Konrad Maria Fink, Tourist aus Wuppertal, zu Gast in der Pension »Seerose«. Doch Max mag behaupten, was er will – glauben will ihm niemand, zumal er zum Tatzeitpunkt nicht alle Sinne beisammen hatte. Bei Fink, einem ehemaligen Musiker, ist schließlich keinerlei Motiv erkennbar, warum er ausgerechnet Baroni hätte umlegen wollen.
Die ausbleibende Unterstützung macht Max zum Wadenbeißer. Im Alleingang konfrontiert er den Mann mit seinem Verdacht, wird handgreiflich und immer wütender, indes der ältere Herr alle Vorwürfe ganz nonchalant an sich abprallen lässt. Gelassen eröffnet er seinem Angreifer, dass er bald nach Italien weiterreisen werde, und lädt ihn gar ein, ihn zu begleiten.
Damit beginnt eine Reise zum und übers Mittelmeer, die sich zum Psychotrip entwickelt. Je manischer sich Max in die Vorstellung versteigt, Fink sei ein gefährlicher Mörder, ein »Teufel mit vier Fingern« (denn einst hat ihm ein Rottweiler den Daumen abgebissen und damit seine Karriere als Pianist beendet, ehe sie begonnen hatte), desto raffinierter wendet dieser seine perfiden Manipulationstechniken gegen den mitreisenden Totengräber. Nach einigen Leichen entlang ihres gemeinsamen Weges steht am Ende zu befürchten, dass Max als mordender Psychopath in eine Psychiatrie abgeschoben wird.
Wie in den Vorgängerbänden pflegt der Autor einen markanten, aufs Notwendigste reduzierten Stil. Die oft extrem kurzen Sätze oder Satzfragmente entfalten dank präziser Wortwahl eine starke evokative Wirkung; die zwischen den erzählenden Passagen eingeschobenen reinen Dialogszenen ohne Anführungszeichen und Redeeinleitungen schaffen eine sprachliche (nicht aber atmosphärische) Unmittelbarkeit wie im Film. Andererseits hinterlässt der Stil – wie auch die Typen – einen Eindruck von spröder Künstlichkeit und Distanz. Das puristische Konzept fasziniert bei der ersten Begegnung, doch die Extravaganz nutzt sich irgendwann ab. Wer weiß – vielleicht nach dem vierten, fünften Band?
Die Bände der Max-Broll-Serie:
• »Die Schöne und der Tod« [› Rezension]
• »Für immer tot« [› Rezension]
• »Leichenspiele«
• »Interview mit einem Mörder«