Das Meer von Mississippi
von Beth Ann Fennelly und Tom Franklin
Während der gewaltigen Überflutung des Mississippi-Beckens 1927 erleiden viele größte Not oder verlieren gar ihr Leben, während sich andere mit allen denkbaren Mitteln bereichern.
Alle Schäfchen im Trockenen?
Die Mississippiflut von 1927 gilt als Jahrhunderthochwasser und größte Naturkatastrophe in der US-amerikanischen Geschichte. Schon im Winter 1926/1927 ließen Starkregen die Quellflüsse des Mississippi anschwellen und klangen nicht ab, bis im April 1927 die Dämme den Flutmassen nicht mehr standhalten konnten. Zwischen Illinois im Norden und Louisiana am Golf von Mexiko, zwischen Arkansas im Westen und Tennessee im Osten wurde eine Fläche von siebzigtausend Quadratkilometern überschwemmt, wodurch siebenhunderttausend Menschen evakuiert werden mussten oder obdachlos wurden.
Der amtierende republikanische Präsident Calvin Coolidge beauftragte seinen Handelsminister Herbert Hoover (ab 1929 Coolidges Amtsnachfolger), die Krise zu managen. Doch viele staatliche Maßnahmen waren schlecht konzipiert und organisiert. Die Rettung der weißen Bevölkerung hatte Vorrang, wohingegen die Afroamerikaner beim Bau von Schutzdämmen schufteten oder in Flüchtlingslagern verhungerten. Während die einen um die Rettung ihres nackten Lebens kämpfen mussten, gab es genügend andere, die aus der Not Kapital schlugen. Es kam zu Plünderungen, Sabotageakten, Korruption, und im Interesse einiger Einzelner wurden sogar Dämme gesprengt.
Vor dem Hintergrund der apokalyptischen Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, des historischen Versagens der Behörden, der fragwürdigen Machenschaften von Profiteuren und des verzweifelten Verhaltens der Mehrzahl der Menschen in größter Not erzählt das Ehepaar Beth Ann Fennelly und Tom Franklin in ihrem Südstaatenroman »The Tilted World« (übersetzt von Eva Bonné) ein überbordendes Epos, das Liebesgeschichten, Schicksalsdramen und Thrillerelemente in einem Plot zusammenführt.
Ein ungleiches Ehepaar steht im Mittelpunkt von einer der erzählten Ereignisketten, die den fiktiven Ort Hobnob Landing beleben. Während Dixie den frühen Tod ihres kleinen Sohnes zwei Jahre zuvor noch immer nicht verwunden hat, treibt sich der »gottlose« Jesse mit anderen Weibern herum. Trotzdem sind die beiden ein erfolgreiches Gespann von Schwarzbrennern. Es ist die Zeit der Prohibition, und ihre Moonshine-Destille ist eine »Gelddruckfabrik«. Als Jesse Anfang April 1927 erwischt und in Fesseln verhört wird, können ihn deswegen weder die zwei Prohibitionsagenten noch ihre Waffen beeindrucken. Vielmehr traut er sich, große Töne zu spucken: Ein paar Kollegen, »ehemalige Scharfschützen aus dem Krieg«, hätten von ferne genau im Blick, was seine Bewacher gerade anstellen, und warteten nur auf seinen Wink. In der Tat knallen auf seinen Zuruf hin Schüsse in einen Kuchenteller, eine Zigarettenpackung, den Hut eines Agenten und, wenn das nicht reicht, womöglich gleich in den Bart des anderen.
Jesse ist es gewohnt, seine Angelegenheiten auf seine Weise zu regeln, gern gegen Cash, wenn nötig auch blutig. Solche Leute werden denn ihrerseits auch nicht mit Samthandschuhen angefasst. »Fackeln Sie nicht lange, nehmen Sie die Brennereien hoch«, ermuntert Herbert Hoover persönlich zwei Agenten, die unter dem Vorwand, als Ingenieure die Sicherheit der Deiche zu kontrollieren, das Schicksal ihrer beiden verschwundenen Vorgänger ergründen, korrupte Mitläufer und Saboteure auf frischer Tat fassen sollen. Aber Beeilung, bitte.
Ham Johnson und Ted Ingersoll, die mit diesem Auftragspaket Mitte April bei elendem Dauerregen in Hobnob Landing einreiten, bringen ein weiteres Bündel an Handlungssträngen mit: Kindheit im Waisenhaus, traumatische Weltkriegserlebnisse auf Europas Schlachtfeldern und und und …
Kaum sind die Pferde unter dem Vordach des Gemischtwarenladens angebunden und die Waffen gezückt, überschlagen sich schon die Ereignisse. Zwei vermeintliche Mehlsäcke entpuppen sich als tote »Plünderer«, die ein Siebzehnjähriger niedergestreckt haben will, wobei er selber tödlich verletzt wurde. Dann finden Ham und Ted ein wimmerndes Baby, daneben seine Mutter in Männerkleidung, getötet, als sie in größter persönlicher Not den Laden überfallen hatte. Während Ham im Ort eine Bleibe sucht, bringt Ted das Baby zum Waisenhaus. Doch weil das angesichts der drohenden Fluten evakuiert ist, wird Ted zu Dixie weiterverwiesen. Sie schließt das kleine Würmchen sofort ins Herz, nimmt die verantwortungsvolle Mutterrolle ein, und ehe sie sich’s versehen, hat Ted sich schon in sie verliebt und sie sich in ihn. Seitenstrang und Rückblende: Jung-Jesse umgarnt Jung-Dixie und lässt sie später doch tief enttäuscht zurück.
Dass Herbert Hoovers wackere Mannen nicht zum Vergnügen in Hobnob weilen, sondern klar Schiff machen sollen, bringt sie bald in die Bredouille. Wie kann Ted als aufrechter, unbestechlicher Agent dem Gesetz Nachdruck verleihen, wenn ihm einerseits der Geruch des Fusels in die Nase dringt, er andererseits sein Herz an die Schwarzbrennerin verloren hat? Die rabiate Dixie löst den Zwiespalt, indem sie ihn auf Nimmerwiedersehen rauswirft, als er seine wahre Tätigkeit preisgibt. Das wiederum lässt den gehörnten Jesse einen Plot wieder aufgreifen, den ein reicher Banker aus New Orleans ihm vorgeschlagen hatte. Jemand könnte doch jemanden bestechen, den Damm, der unter anderem Jesses Land, Farm und Destille schützt, in die Luft zu jagen? Aber wie wir längst wissen, ist Jesse es gewohnt, seine Angelegenheiten auf seine Weise zu regeln. Und wenn »ein notorischer Falschspieler, Schürzenjäger, … Schwarzbrenner und womöglich auch ein Mörder« von Eifersucht zerfressen und komplett betrunken ist, kommen ihm noch ganz andere Ideen in den Sinn.
»Das Meer von Mississippi« bietet gute, spannende Unterhaltung, für die die historische Kulisse unendlich viel Stoff bereit hält. Leider schüttet das Autorenduo ganze Ströme an breiten Haupt- und Nebenhandlungen hinein, dass die große Flut an Worten, Sätzen, Episoden und Rückblenden den Leser schier ertränkt.