The President Is Missing
von Clinton, Bill & Patterson, James
Ein amerikanischer Präsident rettet sein Land selbstlos und heldenhaft vor einem Cyber-Terroristen. Zwei Autoren entwerfen ein spannendes Gegenbild zur trivialen Realität unserer und vergangener Tage.
Americans first, the President last
Wer das wohl ausgeheckt hat? Wurde es dem einen im Ruhestand langweilig, oder gab er sich endlich dem schon länger verspürten Musenkuss hin? (Saxophon spielte er früher schon, jetzt also noch die Poesie?) Oder wurde es dem anderen in seiner Bestseller-Schreibwerkstatt zu öde, so dass er Lust auf ein prominentes Überding bekam? Oder haben sich die Verlagshäuser (gleich zwei, so groß war die Herausforderung) mit einer Knüller-Idee an die VIPs gewandt? Wie auch immer – die beiden Granden in ihren jeweiligen Metiers, einander seit Jahren freundlich zugetan, sprangen auf die Idee an und machten sich an die Arbeit.
Und so kam ein Mega-Thriller, verfasst von einem Ex-US-Präsidenten und dem »erfolgreichsten Schriftsteller der Welt« (SPIEGEL), im Juni 2018 gleichzeitig in alle Buchläden des Planeten und erstürmte die Bestsellerlisten. Für die Filmrechte stehen die Produzenten Schlange.
Die Qualität des Produkts konnte man sich ebenso ausrechnen wie seinen globalen Erfolg. »The President Is Missing« (Anke und Eberhardt Kreutzer haben das Buch ins Deutsche übersetzt) ist eine respektable, solide gefertigte und spannende Unterhaltungslektüre, darf aber weder einen Innovationspreis noch literarische Lorbeerkränze erwarten. Wer von beiden Autoren was zum Produkt beigesteuert haben mag, lässt Literaturwissenschaftlern, Kaffeesatzlesern und Psychologen genug Raum für Theorien (siehe Wikipedia-Artikel).
Die Handlung ist rasch zusammengefasst: Cyber-Terroristen bedrohen die USA. Sie haben ein Virus in die Netzwerke eingepflanzt, das die gesamte Infrastruktur des Landes für unabsehbare Zeit außer Funktion setzen wird – die Wasserversorgung, das Stromnetz, den Finanzsektor, das Militär, das Gesundheitswesen und so weiter. Wie die Bevölkerung auf einen derartigen Kollaps reagiert, mag sich niemand ausmalen.
Der Superheld, der durch seinen geradezu übermenschlichen persönlichen Einsatz die Katastrophe abwendet, ist Jonathan Duncan, Mr President und Ich-Erzähler, ein loyaler, pflichtbewusster, aufrechter Mann (und Democrat wie die beiden Autoren). Im Gegensatz zu Clinton, der nicht nach Vietnam mochte, kämpfte Duncan im Irak und hielt in der Gefangenschaft grausamsten Folterungen stand. Wieder zu Hause, gründete er eine Familie. Ehefrau Rachel, die Liebe seines Lebens, ist kürzlich an Krebs gestorben. Die gemeinsame Tochter Lilly studiert in Paris. Dass Duncan an einer seltsamen Blutkrankheit leidet, darf die Öffentlichkeit nicht erfahren, sonst würde man ihn für zu schwach halten, um die ungeheure Verantwortung für die Weltmacht USA zu tragen.
Präsident Duncans Gegenspieler ist Suliman Cindoruk, türkischstämmig und Anführer der »Söhne des Dschihad«, einer Terrormiliz, die Hunderte Tote auf dem Gewissen hat. Vor wenigen Monaten haben die »Söhne« mit einem Hackerangriff auf die militärische Infrastruktur Israels geheime Informationen über verdeckte Einsätze und Truppenbewegungen erbeutet. Mit diesem gefährlichsten Cyber-Terroristen der Welt soll der amerikanische Präsident telefoniert haben, wie der französischen Zeitung Le Monde aus anonymer Quelle zugesteckt wurde. Unter Druck steht Duncan auch wegen eines eigenartigen Einsatzes seiner CIA-Agenten, bei dem ein US-Soldat starb. Eine Gruppe »proukrainischer, antirussischer Separatisten« hatte Suliman Cindoruk aufspüren und töten wollen, doch die CIA-Leute vereitelten den Überfall, wodurch dem Top-Terroristen die Flucht gelang. Die ungeheuerlichen Hochverratsvorwürfe zwingen Duncan, sich einem Untersuchungsverfahren des Kongresses zu stellen, an dessen Ende seine Amtsenthebung stehen könnte.
Als der Präsident noch vor Beginn der Anhörungen von der Bildfläche verschwindet (»the President is missing«), spekulieren die Medien, ob er sich vor seiner Verantwortung drücken will. In Wirklichkeit hat er sich in ein bestens geschütztes Anwesen zurückgezogen, wo sich eine Hacker-Elite abrackert, um das Virus zu stoppen. Russland, Israel und Deutschland sagen ihre Unterstützung zu und entsenden hochrangige Politiker, aber natürlich treiben selbst hier Rivalen, eine Auftragsmörderin und ein Maulwurf ihre eigenen Spielchen. Wir routinierten Leser ahnen früh, wer seine eigenen Ambitionen über das Wohl der Bürger der Vereinigten Staaten stellt. Doch Pustekuchen, Profi Patterson hat genug Asse im Ärmel und Tricks in der Tasche, um uns bis zum Ende des Romans in Bann zu halten und immer aufs Neue zu überraschen.
Während also die Öffentlichkeit nicht einmal ahnt, was ihr droht, kämpft das Team im Verborgenen auf Hochtouren um die Sicherheit des Landes. Es gibt jede Menge Tote auf allen Seiten, und auch der Präsident weiß noch aus alten Tagen, wie man mit der Waffe zielsicher umgeht. Verzweiflung und Dramatik steigen gewaltig an, bis am Höhepunkt ein Countdown von dreißig Minuten die Entscheidung bringen muss. Könnte der Thriller zweier Vollblutamerikaner anders ausgehen als mit einem Sieg der Guten über das Böse schlechthin? Am Ende ist Jonathan Duncan rehabilitiert, populärer denn je und glänzt mit einer rhetorisch starken, zukunftsorientierten, zu Solidarität und Verantwortung mahnenden Rede an sein Volk (Sie wurde ganz sicher nicht von Bill Clinton formuliert …).
Dieser Plot ist spannend aufbereitet, aber weder innovativ (die Realität ist ihm dicht auf den Fersen) noch originell, wie auch der Erzählstil literarisch unambitioniert ist und die Figuren konventionell und ohne Tiefgang sind. Solche Kriterien werden die Millionenkundschaft allerdings ohnehin kalt lassen. Die meisten Buchkäufer werden sich angesichts des Co-Autors aus der ersten Politikergarde wahrscheinlich Insiderwissen direkt aus dem Weißen Haus erhoffen, sowohl allgemeiner (Politik, Diplomatie) als auch persönlicher (Praktikantinnen, Familie) Natur, oder wenigstens ein bisschen Klatsch und Tratsch als Beigabe zum Thriller. Aber von Blicken durchs private Schlüsselloch, gar ins Schlafzimmer oder ins Oval Office keine Spur. Selbst um mögliche Seitenhiebe auf Herrn Plump, den derzeitigen Amtsinhaber und siegreichen Rivalen Hillary Clintons, aufzudecken, bedarf es gehöriger interpretatorischer Kopfstände.
Immerhin dürfen wir Jonathan Duncan, dem staatstragenden Machtpolitiker und selbstlosen Retter seines Landes (»America first« in einem moralisch und politisch integren Sinne), menschlich nahe kommen. Wir erleben ihn als Menschen wie du und ich, der um seine verstorbene Ehefrau trauert und in ständiger Sorge um seine Tochter lebt. Die beiden Autoren entwickeln, so scheint es, einen idealen US-Präsidenten, wie Clinton einer hätte sein wollen, wenn er gekonnt hätte. »The President is missing« ist ein sauberer, affärenfreier, moralisch unkomplizierter Politkrimi, als hätte Hollywood ihn bestellt.