Rezension zu »Eine Frage der Chemie« von Bonnie Garmus

Eine Frage der Chemie

von


Eine Lebensmittelchemikerin bringt zu einer Zeit, als Frauen nichts als Hausfrauen sein sollten, ihren Geschlechtsgenossinnen die Chemie des Kochens bei – und mehr.
Belletristik · Piper · · 462 S. · ISBN 9783492071093
Sprache: de · Herkunft: us

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Kochen mit Zündstoff

Rezension vom 07.07.2022 · 69 x als hilfreich bewertet mit 11 Kommentaren

Die Perspektiven sind schlecht. »Ihr Leben war vorbei«, konsta­tiert Elizabeth Zott nüchtern. Dabei ist sie eine außer­gewöhn­lich kluge Frau und erst dreißig Jahre alt. Auch Tochter Madeline hat mit ihren fünf Lebens­jahren bereits bewiesen, dass sie über viel­ver­spre­chende Geistes­kräfte verfügt.

Aber wir befinden uns nicht in der heutigen Zeit, sondern im November 1961. Bis zur Gleich­berechti­gung von Mann und Frau ist es noch ein weiter Weg. Es sind nicht die eigenen Quali­täten, die die Position einer Frau in der Gesell­schaft defi­nieren, sondern die ihres Ehemannes. Bei öffent­lichen Anlässen ist es üblich, die Ehefrau mit dem Namen des Mannes vorzu­stellen (beispiels­weise »Mrs Peter Miller«), als verdiene sie nicht einmal einen eigenen Vornamen. Ohne Ehemann ist sie demnach geradezu wertlos. Und so erging es Elizabeth Zott und ihrer Tochter, nachdem sie ein Schick­sals­schlag getroffen und all ihre Aus­sichten und Hoff­nungen in Luft aufgelöst hatte.

Wir erfahren in rückblickenden Hand­lungs­strängen von Eliza­beths Anfängen als Labor­assis­tentin. Im Jahr 1952 trat sie in ein For­schungs­projekt am Hastings Research Institute ein, doch an eine Karriere als Wissen­schaft­lerin war nicht zu denken. Überall gaben Männer den Ton an, und ihnen war jeglicher Aufstieg vorbe­halten. Dass Elizabeth so außer­gewöhn­lich begabt war, machte sie zu einer umso gefähr­liche­ren Konkur­renz, die mit allen Mitteln aus dem Rennen geschla­gen werden musste.

Über einen handfesten Streit um Labor­material stößt Elizabeth denn auch mit dem nur wenig älteren Forscher Calvin Evans zusammen. Der Mann sieht gut und sportlich aus, ist jedoch in Liebes­dingen ebenso uner­fahren wie sein Gegenüber, und so versi­chern die beiden einander unbe­holfen, sie seien »nicht an einer wie auch immer gearteten Beziehung interes­siert«, als es bereits längst zwischen ihnen gefunkt hat. Die Chemie stimmt von Anfang an.

Obwohl sie ihre Beziehung im Stillen führen, miss­gönnen die Kollegen Elizabeth ihre private Erfüllung und verleum­den sie als Schma­rotzerin, die es nur auf »seinen Ruhm« abgesehen habe. Das gemein­same Glück der beiden findet ein tragi­sches Ende, als Calvin bei einem Unfall ums Leben kommt. Tochter Madeline, die ihrer Mutter als kost­barster Schatz verbleibt, lernt ihren Vater nie kennen.

Nun findet sich Elizabeth wieder auf sich allein gestellt. Aber sie hat an Stärke gewonnen, ist eine souveräne, pragma­tische Persön­lichkeit, die auch austeilen, ja biestige Züge zeigen kann. Ihren mütter­lichen Ehrgeiz setzt sie daran, ihre Tochter fit zu machen für den harten Weg in eine eigen­ständige Zukunft. Dabei weist sie richtiger Ernährung eine zentrale Rolle zu, stellt ihre Mahl­zeiten streng nach wissen­schaft­lichen Berech­nungen zusam­men und packt damals noch unge­wöhn­liche Lecke­reien wie Lasagne, Zucchini, Kirsch­tomaten und Kiwis in Madelines Lunchbox. Doch die Mit­schüle­rinnen in der Elemen­tary School machen sich über das »seltsame Kind« und seine Ess­gewohn­heiten lustig. Nur ein Mädchen schenkt ihm seine Zuneigung, aber als Madeline immer schmäch­tiger wird, wittert Elizabeth, die Freund­schaft sei nur vorge­gaukelt, um als Gegengabe die Lecker­bissen abzu­stauben. Das bringt die Mutter auf die Palme, und sie knöpft sich die Eltern wegen Mundraubs vor.

Überraschenderweise kommt es nicht zu einem Crash, sondern zu Verständi­gung auf gemein­samer Basis. Denn Walter Pine, ebenfalls allein­stehend, sucht gerade eine intelli­gente Frau, die in der TV-Kochshow »Essen um sechs« gesunde, gehalt­volle Mahl­zeiten her­stellen soll. Als biedere Hausfrau regel­mäßig im Fernsehen aufzu­treten ist zwar nicht gerade die Zukunfts­vision einer ambitio­nierten For­schungs­chemi­kerin, aber die gute Bezahlung überzeugt.

Und wie zu erwarten, bleibt sich Elizabeth treu. Während Walter Druck von der Produktions­leitung bekommt, fügt sie sich keines­wegs in die Rolle eines hübsch ge­schürz­ten Heimchens am Herde, sondern bringt ihren Zuschaue­rinnen schlicht und praktisch gewandet nahe, dass die Zube­reitung von Speisen eine Frage der Chemie ist. Schon in der Vorbe­reitung, erst recht beim eigent­lichen Koch­vorgang reagieren chemika­lische Subs­tanzen, laufen Prozesse ab, mischen und trennen sich Verbin­dungen. Zur damaligen Zeit war so etwas dem über­wiegend weib­lichen Publikum durchaus nicht bewusst. Aber mit dem Kochen lässt es Elizabeth nicht bewenden. Sie hat ja selbst erfahren, dass sich viele kluge Frauen nicht zutrauen, ein selbst­bestimm­tes Leben in der Öffent­lichkeit zu führen, dass sie von Männern an den Rand gedrängt werden, eigene Ausbil­dung und Karriere der erfül­lenden Aufgabe als Mutter und Hausfrau opfern. Hier entdeckt sie nun ein brisantes Betäti­gungs­feld, sendet kämpfe­rische Bot­schaften an ihre braven Ge­schlechts­genos­sinnen und gewinnt einer schlich­ten Fernseh­sendung, die ihrem Wesen eigent­lich überhaupt nicht ent­spricht, schließ­lich doch Positives ab, indem sie sie für ihre eigenen Ideale instru­mentali­siert.

Dass Elizabeth nun Frauen ermuntert, etwas aus ihrem Leben zu machen, stößt der Männer­welt natürlich gehörig auf – die umgekehrt ziemlich pauschal ihr Fett weg bekommt: »Wenn ein Mann einen Tag als Frau in Amerika verbrin­gen müsste, würde er gerade mal bis Mittag überleben.« Platter­weise fühlt sich die Autorin bemüßigt, am Ende des Romans eine gerech­tere Ordnung herzu­stellen, indem sie Unver­schämt­heiten, Über­griffe und Schlim­meres aufdecken und ahnden lässt. So ist die Ideologie des Buches recht einfach gestrickt: Die Frauen der Zeit sind rechtlos und dem Manne willenlos untertan (»legale Sklaverei«), und ebenso durch­sichtig schimmert Bonnie Garmus’ etwas nach­geklap­perte Intention durch, auch ihre heutigen Ge­schlechts­genos­sinnen nochmal aufzu­rütteln, für sich Gleich­berech­tigung, Selbstbe­stimmung und Unab­hängig­keit einzu­fordern . Neben dem Holz­hämmer­chen helfen Klischees, billige Lacher (chemische Formeln), Übertrei­bungen, konstru­ierte Szenen, Schmalz und wunder­lich herbeige­quälte Einfälle (wie ein räudiger Straßen­köter, der mensch­liche Wörter versteht und philo­sophiert).

Bonnie Garmus’ Debütroman »Lessons in Chemistry«, von Ulrike Wasel und Klaus Timmer­mann übersetzt, bietet mit seinen vielen Hand­lungs­strängen eine komplexe Lektüre, aber leichte Unter­haltung.


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Kommentare

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Zu »Eine Frage der Chemie« von Bonnie Garmus wurden 11 Kommentare verfasst:

Gudrun Staudt schrieb am 26.12.2022:

Selten ein so schlechtes Buch gelesen - und ich bin Jahrgang 1951, habe die geschilderte Zeit durchaus miterlebt!! Hier stimmt nichts, gar nichts, außerdem sind die Figuren hölzern und schablonenhaft. Wer so ein Buch gut findet, hat keine Ahnung vom wirklichen Leben!

G.Schulz schrieb am 29.12.2022:

Ich bin Lebensmittelchemikerin,Jahrgang 1951,habe in Bonn studiert und die Überheblicjkeit mancher Männer milde ertragen.
Der Kolportageroman mit seinen diversen Handlungssträngen entbehrt jeglicher Lebensrealität, ist überzogen und literarisch völlig anspruchslos.
Der Hype um dieses Werk ist überflüssig und einzig und allein kommerziell getriggert.

Peter Waack schrieb am 04.01.2023:

Der Roman ist nicht so übel, wie obige Leser andeuten. Er hat seine Vorzüge und seine Mängel, wie ich meine. Die Dialoge sind würzig in ihrer Schärfe wie auch in ihrem Witz, ich musste nicht nur grinsen, ich musste schallend lachen in manchen Passagen. Mutter und Tochter geben ihren Gesprächspartnern keinen Pardon, ihre Logik triumphiert über das rhetorische Ausweichen derGesprächspartner! Ebenfalls nachvollziehbar ist die Darstellung der Frauen der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Hier ist die Heldin des Romans fast überzeichnet in der Rolle der Emanzipationskämpferin. Nun zu den Mängeln. Die Autorin schreibt in ihrer Danksagung am Schluss des Romans auch einen Dank an ihrer ehemaligen vierbeinigen Hunde-Gefährten. Anscheinend hat sie diesen Hund mit Namen Halbsieben vermenschlichend in die Romanhandlung einfließen lassen. Nur glaubhaft ist das nicht, hier ist die fiktionale Feder der Autorin außer Kontrolle geraten und hat über Halbsieben Träumerisches verunstaltet. Mein ehemaliger Hund war kein Philosoph, kein offensichtlicher Bombenerschnüffler und Terrorverhinderer! Der Hund der Heldin ist in dem Roman ein Problem, wenn man Konkretes über die Gesellschaft, über das damalige Frauenbild und die böse Männerwelt im Berufs- und Privatleben schreiben will. Das Konkrete wird durch das Fiktionale unwirklich. Das ist auch zum Schluss des Romanes zu erkennen. Eine märchenhaft gute Fee macht alles gut für Mutter und Tochter, Oma und Enkelkind können sich am happy End umarmen. So wie es im wahren Leben eben auch immer der Fall ist.
Zum Schluss: Unterhaltsam ist der Roman, aber mit Fehlern in dem Strickmuster!

B.Mueller schrieb am 14.01.2023:

Ich habe gerade den Roman zu Ende gelesen und meine, die ersten beiden Damen haben aabsolut recht! Ich selbst habe mich beim Lesen sehr amuesiert, aber auf andre Art, als die Autorin (und alle wohlmeinenden Kritiker) sich das gedacht haben: So viel Bloedsinn auf einen Haufen! Abiogenese wird mit Becherglaesern, Bunsenbrennern, Znetrifuge und einem Oszilloskop erforscht, raus kommt dann wohlschmeckender Kaffee. Und ja, alle Maenner sind Schweine (ausser den Ausnahmen). Hatte auch den Eindruck "die Chemie" war bloss ein Aufhaenger, einmal um Miss Zott Wikipedia-Wissen runterleiern zu lassen und dann, um mal ein anderes Metier auszuprobieren, als Journalistik, Anwalt, Arzt. Ist aber toll, dass dann alles - husch-husch- happy-endet, die Boesen werden bestraft, die Guten belohnt und Halbsieben zum Laboranten befoerdert. Vielleicht wird auch noch das hochbegabte Kind angestellt, vielleicht folgt noch Teil II...viele begeisterte Leserinnen wollen ja wissen, wie es weitergeht. Nobelpreis? Praesidentin? Alles ist moeglich, wenn man nur sich selbst vetraut.
OK, eine Figur hat mir gefallen, der Freund des verstorbenen Evans, Referend Wakely. Haette mir gewuenscht, der wuerde mit Ms Zott. Der Fernsehfritze ging ja nicht (zu dick, hat er sich lieber die mollige Harriet geangelt).
Konklusion: Nicht empfelenswert!

HL schrieb am 27.02.2023:

Bestes Buch, was ich in der letzten Zeit gelesen habe!
Intelligent, witzig, traurig und extrem unterhaltsam.
Ein absolutes Lesevergnügen!

Katja Werner schrieb am 04.04.2023:

Ein großartiges, witziges, tiefgründiges und intelligentes Buch, das schwere Kost (Gleichberechtigung, Sexismus, Familienbiographien) leichter verdaulich macht. Wunderbar mit welch leichter Feder sich Bonnie Garmus verschiedener Erzählgenres bedient. Ich bedauere, dass diese Kost nicht allen Essern mundet. Oft ist es hilfreich, von den Zutaten eines Rezeptes nicht auf das Resultat zu schließen. Probieren Sie es einmal aus. Es lohnt sich. Guten Appetit.

J.M. schrieb am 04.04.2023:

Ich konnte das Buch nicht zu Ende lesen bzw. hören.
Warum? Weil die indirekte Erzählerstimme eine Geschichte von vor 70 Jahren aus einer heutigen emanzipatorisch-woken Betrachtungsweise erzählt und alle auftretenden Personen mit demselben groben Schnitzmesser zurecht-schneidet und wertet. Das wirkt absolut unauthentisch und funktioniert auch nicht als Parodie. Leider.

Eva Bolliger schrieb am 05.04.2023:

Ich fand das Buch bemühend; langweilig und voller Stereotypien, die so der Realität nicht entsprochen haben! Einfach gestrickt!

Moesch beatrice schrieb am 16.04.2023:

Eines der spannendsten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Ich lese viel. Spannend; witzig; unterhaltsam und klug.

DH schrieb am 16.05.2023:

Auch ich bin sehr enttäuscht über den "Platz 1 auf der Spiegelbestsellerliste"!
Irgendwie zusammengeschustert.
Schon nach einem Viertel des Buches überlegt, ob ich weiterlese....
Superhund, Geniekind, grässliche Männer, erhobene Zeigefinger, alles überzeichnet.
Fast ein Teenagerroman....nervig.
Und dann, das große Happy End....würg.
Und die seitenlangen Danksagungen am Ende dieses "Werks"! Soviele Menschen an diesem schlechten Roman beteiligt? Unfassbar!
Was haben die ganzen Lobpreisenden gesehen, was ich übersehen habe?

Marion schrieb am 05.07.2023:

Ich habe selten so ein schlechtes Buch gelesen - voller Klischees, konstruiert, von echten Menschen sind die Hauptfiguren Lichtjahre entfernt. Langweilig!

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