Eine Frage der Chemie
von Bonnie Garmus
Eine Lebensmittelchemikerin bringt zu einer Zeit, als Frauen nichts als Hausfrauen sein sollten, ihren Geschlechtsgenossinnen die Chemie des Kochens bei – und mehr.
Kochen mit Zündstoff
Die Perspektiven sind schlecht. »Ihr Leben war vorbei«, konstatiert Elizabeth Zott nüchtern. Dabei ist sie eine außergewöhnlich kluge Frau und erst dreißig Jahre alt. Auch Tochter Madeline hat mit ihren fünf Lebensjahren bereits bewiesen, dass sie über vielversprechende Geisteskräfte verfügt.
Aber wir befinden uns nicht in der heutigen Zeit, sondern im November 1961. Bis zur Gleichberechtigung von Mann und Frau ist es noch ein weiter Weg. Es sind nicht die eigenen Qualitäten, die die Position einer Frau in der Gesellschaft definieren, sondern die ihres Ehemannes. Bei öffentlichen Anlässen ist es üblich, die Ehefrau mit dem Namen des Mannes vorzustellen (beispielsweise »Mrs Peter Miller«), als verdiene sie nicht einmal einen eigenen Vornamen. Ohne Ehemann ist sie demnach geradezu wertlos. Und so erging es Elizabeth Zott und ihrer Tochter, nachdem sie ein Schicksalsschlag getroffen und all ihre Aussichten und Hoffnungen in Luft aufgelöst hatte.
Wir erfahren in rückblickenden Handlungssträngen von Elizabeths Anfängen als Laborassistentin. Im Jahr 1952 trat sie in ein Forschungsprojekt am Hastings Research Institute ein, doch an eine Karriere als Wissenschaftlerin war nicht zu denken. Überall gaben Männer den Ton an, und ihnen war jeglicher Aufstieg vorbehalten. Dass Elizabeth so außergewöhnlich begabt war, machte sie zu einer umso gefährlicheren Konkurrenz, die mit allen Mitteln aus dem Rennen geschlagen werden musste.
Über einen handfesten Streit um Labormaterial stößt Elizabeth denn auch mit dem nur wenig älteren Forscher Calvin Evans zusammen. Der Mann sieht gut und sportlich aus, ist jedoch in Liebesdingen ebenso unerfahren wie sein Gegenüber, und so versichern die beiden einander unbeholfen, sie seien »nicht an einer wie auch immer gearteten Beziehung interessiert«, als es bereits längst zwischen ihnen gefunkt hat. Die Chemie stimmt von Anfang an.
Obwohl sie ihre Beziehung im Stillen führen, missgönnen die Kollegen Elizabeth ihre private Erfüllung und verleumden sie als Schmarotzerin, die es nur auf »seinen Ruhm« abgesehen habe. Das gemeinsame Glück der beiden findet ein tragisches Ende, als Calvin bei einem Unfall ums Leben kommt. Tochter Madeline, die ihrer Mutter als kostbarster Schatz verbleibt, lernt ihren Vater nie kennen.
Nun findet sich Elizabeth wieder auf sich allein gestellt. Aber sie hat an Stärke gewonnen, ist eine souveräne, pragmatische Persönlichkeit, die auch austeilen, ja biestige Züge zeigen kann. Ihren mütterlichen Ehrgeiz setzt sie daran, ihre Tochter fit zu machen für den harten Weg in eine eigenständige Zukunft. Dabei weist sie richtiger Ernährung eine zentrale Rolle zu, stellt ihre Mahlzeiten streng nach wissenschaftlichen Berechnungen zusammen und packt damals noch ungewöhnliche Leckereien wie Lasagne, Zucchini, Kirschtomaten und Kiwis in Madelines Lunchbox. Doch die Mitschülerinnen in der Elementary School machen sich über das »seltsame Kind« und seine Essgewohnheiten lustig. Nur ein Mädchen schenkt ihm seine Zuneigung, aber als Madeline immer schmächtiger wird, wittert Elizabeth, die Freundschaft sei nur vorgegaukelt, um als Gegengabe die Leckerbissen abzustauben. Das bringt die Mutter auf die Palme, und sie knöpft sich die Eltern wegen Mundraubs vor.
Überraschenderweise kommt es nicht zu einem Crash, sondern zu Verständigung auf gemeinsamer Basis. Denn Walter Pine, ebenfalls alleinstehend, sucht gerade eine intelligente Frau, die in der TV-Kochshow »Essen um sechs« gesunde, gehaltvolle Mahlzeiten herstellen soll. Als biedere Hausfrau regelmäßig im Fernsehen aufzutreten ist zwar nicht gerade die Zukunftsvision einer ambitionierten Forschungschemikerin, aber die gute Bezahlung überzeugt.
Und wie zu erwarten, bleibt sich Elizabeth treu. Während Walter Druck von der Produktionsleitung bekommt, fügt sie sich keineswegs in die Rolle eines hübsch geschürzten Heimchens am Herde, sondern bringt ihren Zuschauerinnen schlicht und praktisch gewandet nahe, dass die Zubereitung von Speisen eine Frage der Chemie ist. Schon in der Vorbereitung, erst recht beim eigentlichen Kochvorgang reagieren chemikalische Substanzen, laufen Prozesse ab, mischen und trennen sich Verbindungen. Zur damaligen Zeit war so etwas dem überwiegend weiblichen Publikum durchaus nicht bewusst. Aber mit dem Kochen lässt es Elizabeth nicht bewenden. Sie hat ja selbst erfahren, dass sich viele kluge Frauen nicht zutrauen, ein selbstbestimmtes Leben in der Öffentlichkeit zu führen, dass sie von Männern an den Rand gedrängt werden, eigene Ausbildung und Karriere der erfüllenden Aufgabe als Mutter und Hausfrau opfern. Hier entdeckt sie nun ein brisantes Betätigungsfeld, sendet kämpferische Botschaften an ihre braven Geschlechtsgenossinnen und gewinnt einer schlichten Fernsehsendung, die ihrem Wesen eigentlich überhaupt nicht entspricht, schließlich doch Positives ab, indem sie sie für ihre eigenen Ideale instrumentalisiert.
Dass Elizabeth nun Frauen ermuntert, etwas aus ihrem Leben zu machen, stößt der Männerwelt natürlich gehörig auf – die umgekehrt ziemlich pauschal ihr Fett weg bekommt: »Wenn ein Mann einen Tag als Frau in Amerika verbringen müsste, würde er gerade mal bis Mittag überleben.« Platterweise fühlt sich die Autorin bemüßigt, am Ende des Romans eine gerechtere Ordnung herzustellen, indem sie Unverschämtheiten, Übergriffe und Schlimmeres aufdecken und ahnden lässt. So ist die Ideologie des Buches recht einfach gestrickt: Die Frauen der Zeit sind rechtlos und dem Manne willenlos untertan (»legale Sklaverei«), und ebenso durchsichtig schimmert Bonnie Garmus’ etwas nachgeklapperte Intention durch, auch ihre heutigen Geschlechtsgenossinnen nochmal aufzurütteln, für sich Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit einzufordern . Neben dem Holzhämmerchen helfen Klischees, billige Lacher (chemische Formeln), Übertreibungen, konstruierte Szenen, Schmalz und wunderlich herbeigequälte Einfälle (wie ein räudiger Straßenköter, der menschliche Wörter versteht und philosophiert).
Bonnie Garmus’ Debütroman »Lessons in Chemistry«, von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann übersetzt, bietet mit seinen vielen Handlungssträngen eine komplexe Lektüre, aber leichte Unterhaltung.