Rezension zu »Bühlerhöhe« von Brigitte Glaser

Bühlerhöhe

von


Kriminalroman · List · · Gebunden · 448 S. · ISBN 9783471351260
Sprache: de · Herkunft: de

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Killeragenten und Kernseife

Rezension vom 08.11.2016 · 10 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Erst ein paar Jahre ist es her, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Die Ver­heerun­gen, die er hinter­ließ, sind noch überall zu sehen und zu spüren, die mate­riellen, die poli­tischen und die seeli­schen. Aber ebenso offen­sichtlich ist der all­gegen­wärtige Umbruch.

Die frühen Fünfzigerjahre – Brigitte Glasers lesens­werter Roman spielt 1952 – waren in Deutsch­land und inter­national eine turbu­lente Phase. Damals wurden die Weichen gestellt, die den Kurs der nach­folgen­den Jahr­zehnte – bis in unsere Tage – be­stimm­ten. Und alle Fragen waren offen, alles war möglich – theore­tisch. In der Praxis aller­dings regierte Konrad Adenauer die Bundes­republik Deutsch­land seit deren Grün­dung 1949 mit klarer Aus­richtung: Sie sollte rasch wieder ein souve­räner Staat werden und sich ein­deutig zum Westen hin orien­tieren. Das versprach Freiheit, wirt­schaft­lichen Auf­schwung und Sicher­heit. Der Preis dafür war die Gefahr der wach­senden Kon­fron­tation mit dem kom­munis­tischen Ostblock unter der Führung der Sowjet­union, die die östliche Hälfte Deutsch­lands, die DDR, zu ihrem Vorposten in Europa ausbauen würde.

Ein weiteres zentrales Anliegen des ersten Bundes­kanzlers ist die Aus­söhnung mit den Juden, auch um das Ansehen Deutsch­lands in der Welt wieder­herzu­stellen. Eine Brücke dorthin sollen Leis­tungen an den jungen Staat Israel schlagen. Die Verträge mit der jüdi­schen Interessen­ver­tretungs­organi­sation JCC über lang­fristige Waren­liefe­rungen und Wieder­gut­machungs­zahlungen stehen kurz vor der Unter­zeich­nung.

Nicht nur in Kreisen der deutschen Bevöl­kerung sind diese Zahlungen umstritten, sondern, mit ganz anderer Moti­vation, auch in Israel. Dort sprechen manche von schmut­zigem »Blutgeld«, mit dem sich die Deutschen von aller Schuld am Holocaust freizu­kaufen beabsich­tigten. Radikale Zionisten formieren sich im Unter­grund und nehmen den Kampf auf. Sie versenden Brief­bomben und Spreng­stoff­pakete ins Land der Mörder ihrer Familien.

Vor diesem Hintergrund arrangiert Brigitte Glaser die (frei erfundene) Handlung ihres Polit- und Agenten­krimis. Sie führt uns nicht ins Macht­zentrum nach Bonn, sondern auf einen Neben­schau­platz, ins Nobel­hotel Bühler­höhe, das einige Kilo­meter südlich von Baden-Baden in luftig-waldiger Schwarz­wald­höhe thront. Tat­säch­lich suchten Kanzler Adenauer und seine Tochter Lisbeth hier des Öfteren Erholung. Sie stehen (als einzige historisch reale Figuren) im Zentrum des Plots, denn Unbe­kannte planen mög­licher­weise ein Attentat auf die beiden, um das Wieder­gut­machungs­gesetz zu verhindern. Allerdings tauchen die Promis hier nur am Rande auf.

Als Heldin präsent ist Rosa Silbermann, in Köln geboren, dem Holocaust frühzeitig ent­kommen, dann zio­nis­tische Unter­grund­kämpferin in Palästina, jetzt Agentin wider Willen, ohne Aus­bil­dung und ohne Ahnung von den aktuellen politischen Verhältnissen in Deutsch­land. Weil sie aber Deutsch spricht und die Bühler­höhe aus Kinder­tagen kennt, schickt sie der israelische Geheim­dienst Mossad zum Schutz des Bun­des­kanzlers in die Luxus­herberge. Zu ihrer Unter­stützung wird ein wahrer Meister­spion, erfahren und durch­trieben, als ihr »Ehemann« aus Paris anreisen.

Nicht nur, dass der ver­sprochene Gatte nicht ankommt und Rosa ganz allein agieren muss; es erwarten sie ernst­zuneh­mende Gegen­spieler wie die deutschen Sicher­heits­experten, die über die Anfän­gerin die Nase rümpfen, oder Sophie Reisacher, die mit allen Wassern gewaschene, unerbitt­liche Hausdame der Bühler­höhe, die nach ihrer miss­lunge­nen Nazi­karriere einen neuen Aufstieg anstrebt. Schon ein Blick auf die Hände des soeben ein­getrof­fenen Gastes verrät ihr, dass Rosa, anders als sie vorgibt, sicher­lich keine Pro­fes­soren­gattin ist, und ein Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf.

Derweil quartieren sich, angezogen vom unmittelbar bevor­stehen­den Kanzler­besuch auf Bühler­höhe, die unter­schied­lichs­ten Persön­lichkei­ten im etwas schlich­teren Nachbar­hotel Hunds­eck ein. Journa­listen, Geschäfts­leute, Bitt­steller und schwer durch­schau­bare Damen und Herren – alle müssen sich bei Fräulein Agnes Rhein­schmidt anmelden. Um das gut­gläubige Dumm­chen an der Rezeption entspinnt sich eine Neben­handlung, die mit Agnes' schreck­lichen Erleb­nissen während der franzö­sischen Besat­zungszeit zu tun hat.

Mit den zahlreichen Figuren aus Haupt- und mehreren Neben­strängen entwickelt Brigitte Glaser eine wen­dungs­reiche, verästelte Handlung, die, nach Schau­plätzen geordnet, aus wech­seln­den Perspek­tiven erzählt wird. Dabei kommen viele ernste Themen der Zeit auf den Tisch (ein kurzer Anhang mit Erklä­rungen und Quellen­angaben erspart die Vertie­fung per Internet), aber die Autorin bereitet alles unter­halt­sam und leicht auf. Liegt es daran, dass manche Prak­tiken der Agentin Rosa arg laienhaft und naiv erschei­nen, oder an ihrer Uner­fahren­heit? Neben den geheim­dienst­lichen Aktivitäten geht es um Kompetenz­gerangel zwischen den Sicher­heits­diensten, um Intrigen, Lieb­schaften, Be­find­lich­keiten und Marotten der Erholung suchen­den Gäste in den beiden Hotels. Glasers bevor­zugtes Ge­staltungs­mittel sind köst­liche, fein­sinnige Unter­haltun­gen, deren Wort­schatz der Zeit ent­stammt (»Herz­kasperln«, »Poussier­stängel«, »düpieren« ...), noch ganz frei von Angli­zismen ist und auch dialek­tale Ein­sprengsel enthält.

Auf diese Weise erschafft die Autorin ein über­zeugen­des, breites, detail­reiches und sehr anschau­liches Panorama der Fünf­ziger­jahre und ihres Zeit­geistes. Eines der heikels­ten Themen ist die Wieder­bewaff­nung. Schon treffen sich im Hotel Hunds­eck drei windige Ge­schäfts­leute, die den ganz großen Reibach nicht verpassen wollen. Angeblich handeln sie mit Näh­maschi­nen ... Im Alltag werden die Menschen häufig mit der Frage der Heimat­vertrie­benen kon­fron­tiert. Vor allem Sudeten­deutsche suchen im Schwarz­wald eine Bleibe und nehmen jede Arbeit an. Die Rolle der Frau ist noch nicht einmal ein Thema. Ist sie allein­stehend, nennt man sie »Fräulein« – und drückt ihr damit eine Art Stempel auf, sei es als poten­zielle Rivalin ehrbarer Ehe­gattin­nen, als Freiwild oder als wunder­liche alte Jungfer.

Und was bietet ein erstklassiges Hotel der Zeit seinen illustren Gästen? Auf der Bühler­höhe stehen für dringliche Anlässe im Foyer ganze drei Telefon­kabinen bereit. Das Hotel Hunds­eck verfügt gar über ein Schwimmbad. Zu Abend verzehrt man gern Schnittchen mit russi­schen Eiern. Der deutsche Bundes­kanzler und seine Tochter speisen Forelle blau und zum Nach­tisch Mokka-Eclairs – oder lieber Zitronen­creme? »Fleur de Muguet«, der Duft von Mai­glöck­chen, umhüllt die Empfangs­dame und die Frau von Welt, ansonsten benutzt man Kernseife.

 


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