Big Sky Country
von Callan Wink
Die Teenage-Jahre des still-zufriedenen August, der die ruhige Milchfarm der Familie im ländlichen Michigan verlässt und mit der exaltierten Mutter nach Montana zieht. Dort weht ein anderer Wind.
August bleibt sich treu
Achtzig Holsteinerkühe produzieren Milch auf Bonnie und Darwins Farm in Michigan. Der relative Wohlstand der Farmerfamilie hat seinen Ursprung im Vermögen von Bonnies früh verstorbenen Eltern, mit dem auch ein stattliches neues Wohnhaus errichtet werden konnte, »pseudoviktorianisch mit Rundumveranda«. Aber materielle Sicherheit und zwölfjähriger Sohn konnten nicht verhindern, dass Bonnie und Darwin sich auseinanderlebten. Bonnie, ein Alt-Hippie im Geiste, hat sich in das nahegelegene alte Ranchhaus der Eltern zurückgezogen, wo sie »durch gesundes Leben und Meditation« den Einklang von Körper und Seele anstrebt und bald ganz ohne Nahrungsaufnahme auszukommen hofft. De facto legt sie die meiste Zeit Patiencen und hüllt sich in den Nebel ihrer Zigarillos ein.
Zwischen Bonnie und Vater Darwin führt Einzelkind August (»Augie«) ein unaufgeregtes Leben. Die Hypes der Mutter tangieren ihn wenig. Schon früh am Morgen hilft er noch vor Schulbeginn bei der Arbeit auf dem Hof und hält problemlos bis spät am Abend durch. Für einen Zwölfjährigen sind die Anforderungen nicht gering, aber Augie gefällt das alles durchaus. Bonnie beobachtet mit Argusaugen, was ihr Sohn aus seinem Leben macht, sorgt sich um seine Zukunft (»Highschool … Mädchen … College«) und verbietet ihm die niedrigen Tätigkeiten.
Als Lisa, bislang nur zeitweise Aushilfskraft, ihren Highschoolabschluss geschafft hat, wird sie in Vollzeit angestellt und füllt rasch die Leerstellen als Hausfrau und Geliebte ihres Brötchengebers. Bonnie hat daraufhin endgültig »genug von der Scheiße« und beschließt, mit Augie in die Stadt nach Grand Rapids zu ziehen. Da macht sie eine Master-Ausbildung zur Bibliothekarin, während Augie zur Schule geht und den Haushalt erledigt. Zwar darf er an den Wochenenden zurück auf die Farm, aber er spürt an Vaters und Lisas Ausstrahlung, dass er nicht auf eine Rückkehr in vergangene Zustände hoffen darf. Nun sitzt ihm »eine leichte Angst vor der Zukunft« im Nacken.
Ohnehin ist das Verhältnis zwischen Vater und Sohn eigenartig oberflächlich, unemotional. Als zwei Jahre später die endgültige Trennung näher rückt, gibt Darwin seinem Sohn bei einem letzten Vieraugengespräch zu fettiger Tiefkühlpizza vermeintlich lebenswichtige Ratschläge mit auf den Weg. Obwohl selbst nicht gerade erfahren oder erfolgreich in Sachen Partnerschaft der Geschlechter, doziert er: »Vielleicht liegt das Beste am Mann in den Vorstellungen, die seine Frau von ihm hat, was er sein oder was er tun könnte, wenn sie ihn nur dazu bringt, das Beste aus sich zu machen. […] Bei Frauen muss man immer Respekt zeigen, aber gleichzeitig darfst du dich nicht für sie verbiegen. Keine Frau hat Respekt vor einem Büroklammer-Mann.« Dennoch werden die beiden bei späteren Telefongesprächen kaum über banale Themen wie Essen, Mädchen und das Wetter hinauskommen.
Für Mom eröffnen sich endlich neue Lebensperspektiven. Weiter im Westen, im »Big Sky Country« um Bozeman, Montana, lockt das Abenteuer eines Arbeitsplatzes in einer brandneuen Bibliothek. Mit Janis Joplin im Ohr und Brad Pitt beim Fischen vor dem inneren Auge erfasst Bonnie eine Euphorie, »als stiege sie stetig in die Erdumlaufbahn auf«, während Augie, inzwischen fünfzehn, gelassen bis gleichgültig bleibt. Tatsächlich erweist sich das Leben im vermeintlich Wilden Westen auch keineswegs als aufregend. Augie besucht weiter die Highschool, tritt mehr oder weniger unfreiwillig in die Football-Mannschaft ein und sucht sich einen Nebenjob auf einer Farm.
August bleibt sich treu: ein ruhiger, eher trocken-humorloser Vertreter, der Streitereien aus demWeg geht und seinen Frieden beim Angeln findet. Wie der Sex in sein Leben tritt – er beobachtet Darwin und Lisa in der Scheune –, berührt ihn eher unangenehm. Seine ersten eigenen Erfahrungen darf der Minderjährige mit einer guten Freundin seiner Mutter sammeln.
Aus diesem insgesamt betulichen Rahmen brechen zwei Episoden, in denen rohe Gewalt in allen Details ausgebreitet wird, umso befremdlicher aus. In Bozeman feiern Highschoolschüler ihren Schulabschluss, indem sie sich hemmungslos besaufen und sich dann im Verlauf einer widerlichen Massenvergewaltigung an einer Mitschülerin vergehen. Diesen isolierten Missklang, der weder zu der in ruhigen Bahnen dahinziehenden Erzählung noch zum Protagonisten und seiner Familie passt noch für die Thematik erforderlich scheint, schlägt bereits die erste Szene an. In der Scheune vermehren sich die Katzen ungebremst, und Augusts Vater sagt: »Die Scheißviecher müssen weg. […] Nimm dir einen Montierhebel oder eine Schaufel oder was du willst. […] Ich gebe dir einen Dollar pro Schwanz.« In der riesigen Maschinenhalle findet der Zwölfjährige genügend Mittel zum Zweck, »wie den meisten Farmjungs war ihm die Tierquälerei nicht fremd«, und den Rest macht die Übung.
Ein weiteres unfassbares Ereignis wie aus einem Albtraum findet statt, traumatisiert Amerika und die Welt, nicht aber August. Er erfährt von Nine-eleven quasi en passant während einer Lerneinheit in der Schule aus dem Radio, so wie es viele Menschen mitten im Ablauf eines ganz normalen Alltags aus der Bahn warf. Zwar prophezeit der Football-Trainer, dass der Anschlag Konsequenzen bringen werde, das sei »eine der Sachen, die eure Generation prägen wird«, so wie »meine Freunde und ich Vietnam hatten«, aber der Autor macht eigenartig wenig Aufhebens von »der Sache«. Am Tag darauf ist das Football-Match vorrangig, nach Präsident Bushs feuriger Ansprache meldet sich ein Mitschüler freiwillig (er wird sein Leben verlieren), und noch zwei Jahre später werden Militärs für den gut bezahlten Todesjob werben. Am Ende der Romanhandlung ist Augie etwa zwanzig Jahre alt und beantragt Studienförderung.
Unterm Strich gefällt mir Callan Winks Roman über ein Coming of Age im Land unter dem unendlich weiten Himmel als ordentlich gemachter Unterhaltungsroman, der wie viele andere seiner Art bekannte amerikanische Atmosphäre zum Leben erweckt, also Menschen in ihrem provinziellen Lebensumfeld zeichnet, die Majestät der Natur und mächtige Wetterphänomene schildert. Aber er reißt seine Themen nur an, und die Handlungsfäden laufen ohne Tiefgang in Beliebigkeit aus. Die Erwartungen, die der ›deutsche‹ Titel »Big Sky Country« zusammen mit dem Cover geweckt haben, hat das Buch bei mir nicht erfüllt. Es wird mir wie sein Protagonist nicht lange in Erinnerung bleiben.