Rezension zu »Big Sky Country« von Callan Wink

Big Sky Country

von


Die Teenage-Jahre des still-zufriedenen August, der die ruhige Milchfarm der Familie im ländlichen Michigan verlässt und mit der exaltierten Mutter nach Montana zieht. Dort weht ein anderer Wind.
Belletristik · Suhrkamp · · 379 S. · ISBN 9783518429839
Sprache: de · Herkunft: us

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August bleibt sich treu

Rezension vom 12.06.2021 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Achtzig Holsteinerkühe produzieren Milch auf Bonnie und Darwins Farm in Michigan. Der relative Wohlstand der Farmer­familie hat seinen Ursprung im Vermögen von Bonnies früh verstor­benen Eltern, mit dem auch ein statt­liches neues Wohnhaus errichtet werden konnte, »pseudo­viktoria­nisch mit Rundum­veranda«. Aber mate­rielle Sicher­heit und zwölf­jähriger Sohn konnten nicht verhin­dern, dass Bonnie und Darwin sich ausein­ander­lebten. Bonnie, ein Alt-Hippie im Geiste, hat sich in das nahege­legene alte Ranchhaus der Eltern zurück­gezogen, wo sie »durch gesundes Leben und Medi­tation« den Einklang von Körper und Seele anstrebt und bald ganz ohne Nahrungs­aufnahme auszu­kommen hofft. De facto legt sie die meiste Zeit Patiencen und hüllt sich in den Nebel ihrer Zigaril­los ein.

Zwischen Bonnie und Vater Darwin führt Einzel­kind August (»Augie«) ein unaufge­regtes Leben. Die Hypes der Mutter tangieren ihn wenig. Schon früh am Morgen hilft er noch vor Schul­beginn bei der Arbeit auf dem Hof und hält problem­los bis spät am Abend durch. Für einen Zwölf­jährigen sind die Anforde­rungen nicht gering, aber Augie gefällt das alles durchaus. Bonnie beobach­tet mit Argus­augen, was ihr Sohn aus seinem Leben macht, sorgt sich um seine Zukunft (»High­school … Mädchen … College«) und verbietet ihm die niedrigen Tätig­keiten.

Als Lisa, bislang nur zeitweise Aushilfs­kraft, ihren Highschool­abschluss geschafft hat, wird sie in Vollzeit ange­stellt und füllt rasch die Leer­stellen als Hausfrau und Geliebte ihres Brötchen­gebers. Bonnie hat daraufhin endgültig »genug von der Scheiße« und be­schließt, mit Augie in die Stadt nach Grand Rapids zu ziehen. Da macht sie eine Master-Ausbil­dung zur Biblio­thekarin, während Augie zur Schule geht und den Haushalt erledigt. Zwar darf er an den Wochen­enden zurück auf die Farm, aber er spürt an Vaters und Lisas Ausstrah­lung, dass er nicht auf eine Rückkehr in vergan­gene Zustände hoffen darf. Nun sitzt ihm »eine leichte Angst vor der Zukunft« im Nacken.

Ohnehin ist das Verhältnis zwischen Vater und Sohn eigen­artig ober­flächlich, unemo­tional. Als zwei Jahre später die endgül­tige Trennung näher rückt, gibt Darwin seinem Sohn bei einem letzten Vieraugen­gespräch zu fettiger Tiefkühl­pizza vermeint­lich lebens­wichtige Rat­schläge mit auf den Weg. Obwohl selbst nicht gerade erfahren oder erfolg­reich in Sachen Partner­schaft der Geschlech­ter, doziert er: »Viel­leicht liegt das Beste am Mann in den Vorstel­lungen, die seine Frau von ihm hat, was er sein oder was er tun könnte, wenn sie ihn nur dazu bringt, das Beste aus sich zu machen. […] Bei Frauen muss man immer Respekt zeigen, aber gleich­zeitig darfst du dich nicht für sie verbiegen. Keine Frau hat Respekt vor einem Büro­klammer-Mann.« Dennoch werden die beiden bei späteren Telefonge­sprächen kaum über banale Themen wie Essen, Mädchen und das Wetter hinaus­kommen.

Für Mom eröffnen sich endlich neue Lebens­perspek­tiven. Weiter im Westen, im »Big Sky Country« um Bozeman, Montana, lockt das Abenteuer eines Arbeits­platzes in einer brand­neuen Biblio­thek. Mit Janis Joplin im Ohr und Brad Pitt beim Fischen vor dem inneren Auge erfasst Bonnie eine Euphorie, »als stiege sie stetig in die Erdum­laufbahn auf«, während Augie, inzwi­schen fünfzehn, gelassen bis gleich­gültig bleibt. Tatsäch­lich erweist sich das Leben im vermeint­lich Wilden Westen auch keines­wegs als aufregend. Augie besucht weiter die High­school, tritt mehr oder weniger unfrei­willig in die Football-Mann­schaft ein und sucht sich einen Nebenjob auf einer Farm.

August bleibt sich treu: ein ruhiger, eher trocken-humor­loser Vertreter, der Streite­reien aus demWeg geht und seinen Frieden beim Angeln findet. Wie der Sex in sein Leben tritt – er beob­achtet Darwin und Lisa in der Scheune –, berührt ihn eher unan­genehm. Seine ersten eigenen Erfah­rungen darf der Minder­jährige mit einer guten Freundin seiner Mutter sammeln.

Aus diesem insgesamt betulichen Rahmen brechen zwei Episoden, in denen rohe Gewalt in allen Details ausge­breitet wird, umso befremd­licher aus. In Bozeman feiern High­school­schüler ihren Schul­abschluss, indem sie sich hemmungs­los besaufen und sich dann im Verlauf einer wider­lichen Massen­vergewalti­gung an einer Mit­schülerin vergehen. Diesen iso­lierten Missklang, der weder zu der in ruhigen Bahnen dahin­ziehenden Erzählung noch zum Protago­nisten und seiner Familie passt noch für die Thematik erfor­derlich scheint, schlägt bereits die erste Szene an. In der Scheune vermehren sich die Katzen unge­bremst, und Augusts Vater sagt: »Die Scheiß­viecher müssen weg. […] Nimm dir einen Montier­hebel oder eine Schaufel oder was du willst. […] Ich gebe dir einen Dollar pro Schwanz.« In der riesigen Maschinen­halle findet der Zwölf­jährige genügend Mittel zum Zweck, »wie den meisten Farmjungs war ihm die Tier­quälerei nicht fremd«, und den Rest macht die Übung.

Ein weiteres unfassbares Ereignis wie aus einem Albtraum findet statt, trauma­tisiert Amerika und die Welt, nicht aber August. Er erfährt von Nine-eleven quasi en passant während einer Lern­einheit in der Schule aus dem Radio, so wie es viele Menschen mitten im Ablauf eines ganz normalen Alltags aus der Bahn warf. Zwar prophe­zeit der Football-Trainer, dass der Anschlag Konse­quenzen bringen werde, das sei »eine der Sachen, die eure Genera­tion prägen wird«, so wie »meine Freunde und ich Vietnam hatten«, aber der Autor macht eigen­artig wenig Aufhebens von »der Sache«. Am Tag darauf ist das Football-Match vorrangig, nach Präsident Bushs feuriger Ansprache meldet sich ein Mit­schüler frei­willig (er wird sein Leben verlieren), und noch zwei Jahre später werden Militärs für den gut bezahlten Todesjob werben. Am Ende der Roman­handlung ist Augie etwa zwanzig Jahre alt und beantragt Studien­förderung.

Unterm Strich gefällt mir Callan Winks Roman über ein Coming of Age im Land unter dem unendlich weiten Himmel als ordent­lich gemachter Unter­haltungs­roman, der wie viele andere seiner Art bekannte amerika­nische Atmos­phäre zum Leben erweckt, also Menschen in ihrem provin­ziellen Lebens­umfeld zeichnet, die Majestät der Natur und mächtige Wetter­phänomene schildert. Aber er reißt seine Themen nur an, und die Handlungs­fäden laufen ohne Tiefgang in Beliebig­keit aus. Die Erwar­tungen, die der ›deutsche‹ Titel »Big Sky Country« zusammen mit dem Cover geweckt haben, hat das Buch bei mir nicht erfüllt. Es wird mir wie sein Prota­gonist nicht lange in Erinne­rung bleiben.


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