Rezension zu »Mädchenauge« von Christian David

Mädchenauge

von


Kriminalroman · Deuticke · · Gebunden · 464 S. · ISBN 9783552062085
Sprache: de · Herkunft: at

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Der rächende und der richtende Richter

Rezension vom 30.07.2013 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Manche Krimi-Leser studieren zuerst die letzten Seiten eines Buches. Damit nehmen sie sich zwar die Spannung, können sich dann aber beim Lesen un­be­schwert auf ganz andere Aspekte konzentrieren: Wie arrangiert der Autor sein Material? Wie führt er den Leser auf die richtige Spur bzw. in die Irre? Wie for­muliert der Autor?

Ich halte es lieber wie die Mehrheit. Sie folgen dem Text konzentriert, um auch die kleinsten Hinweise zwischen den Zeilen aufzuspüren. Ganz wie die fiktionalen Ermittler versuchen sie, die ausgelegten Fäden zu verknüpfen, Charaktere und Motive zu verstehen, und glauben nach ihren Recherchen erschlossen zu haben, wer »es« war. Wenn am Ende der Name fällt, ist man stolz, verblüfft oder enttäuscht. In dieser Hin­sicht möchte ich Christian Davids »Mädchenauge« kommentieren, muss dabei aber ein wenig zur Lösung andeuten. Wenn Sie nichts gegen einen Blick durchs Schlüsselloch haben oder ohnehin zur ersten Leser­gruppe gehören, dann zeigen Sie mit Ihrer Maus hierher und lesen Sie – ansonsten wird nichts verraten!

»Es gab einen Sommer, da kam die große Angst nach Wien. Einer Seuche gleich hielt sie Einzug in die Stadt, zunächst nahezu unbemerkt, dadurch umso heimtückischer.« Ziemlich pathetisch und schön ominös beginnt Christian David seinen Kriminalroman, und gleich rechnet man mit grauenvollen Ereignissen. Doch leider bleibt unsere Erwartung weitgehend unerfüllt, die makabre Vorfreude verblasst von Seite zu Seite.

Dabei gibt es hinreichend ausreizbare Vorlagen. Immer wieder samstags werden in Wien junge Frauen getötet. Zweimal hat der Täter bisher »ungestört« zugeschlagen. Es ist einer, der glaubt, im Recht zu sein – ein »Auserwählter«, überzeugt, Gutes zu tun für die Gesellschaft, die sich nicht mehr selbst zu helfen weiß. Damit »die verletzte Ordnung … wieder geheilt« wird, meint er, eingreifen zu müssen. Um »jene zur Ver­antwortung zu ziehen, die gesündigt haben«, bestraft er sie grausam. Er legitimiert sein Tun, indem er sich gar auf die höchste Instanz beruft: »Die Verführung durch die Schlange bewirkte die erste Sünde. Ihret­wegen mussten Adam und Eva den Garten Eden verlassen.«

Dank unseres kriminalistischen Anfängerlateins wittern wir Morgenluft (aha: ein Psychopath mit ge­störtem Sexualtrieb und einem verqueren religiösen Sendungsbewusstsein!), analysieren nun neugierig die Über­legungen und Entscheidungen der Fachleute – und wundern uns stellenweise.

Chef der Wiener Mordkommission ist Major Belonoz, 50. Dem Einzelgänger eilt sein Ruf als arro­ganter, sarkastischer Zyniker voraus. Seine leitende Position hat er ohne Vitamin B und ohne nützliches Parteibuch erhalten, und er hat sich seine Unabhängigkeit bewahrt. Mit ihm kann keiner mauscheln, und diese sach­orientierte Distanziertheit erwartet er auch von seinen Mitarbeitern: »Unsere Daseinsberechti­gung basiert nicht darauf, dass uns die Leute mögen. Also verlieren wir sie auch nicht, wenn uns einige verachten oder hassen.«

Wien ächzt unter der sommerlichen Affenhitze, aber die Medien heizen das Klima noch weiter auf, denn der Wahlkampf um das Bürgermeisteramt tobt auf den entscheidenden Wahltag zu. Als eine dritte junge Frau auf die gleiche brutale Weise ermordet wird, löst die offenkundige Gefahr eines Serientäters eine Polemik um die »besorgniserregende Kriminalitätsrate« aus, die das Ermittlerteam heftig unter Druck setzt. Die ent­setzte Öffentlichkeit und die Medien schreien nach Ergebnissen, und die Politik fordert die rasche Ver­haftung eines Verdächtigen – ob er schuldig ist, kann man später noch sehen; Hauptsache, es herrscht Ruhe, bis der neue Bürgermeister feststeht.

Belonoz wird die junge Staatsanwältin Lily Horn, 30, zur Seite gestellt. Nun konnte er mit der Staats­an­walt­schaft ohnehin noch nie gut Kirschen essen – die Herrschaften verschleppen Akten, mögen sich nie zu den Tatorten bewegen und glänzen allenfalls im Gerichtssaal, sofern der Auftritt der Karriere dienen kann. Doch für die Jagd nach einem Serienmörder unter angespannten Verhältnissen mit einer so jungen, folglich inkompetenten Frau kooperieren zu müssen, das kann ja nicht gut gehen …

Lily Horn war gerade aus New York zurückgekommen (eine letzte Chance für ihre Paarbeziehung) und hatte sich im »Grauen Haus«, dem Gerichtsgebäude mit Zellentrakt, gemeldet, um im Ressort für Wirt­schafts­krimi­nali­tät, ihrem Spezialgebiet, eingesetzt zu werden, doch Außergewöhnliches verlangt Außer­gewöhn­liches, und so muss sie sich jetzt mit dem kantigen Major und einem Killer auseinandersetzen.

Im Laufe der Ermittlungen wird Lily Horn Belonoz in den Schatten stellen – nicht, weil sie besser ar­beitet als Belonoz, sondern weil der Autor von seinem Protagonisten mehr und mehr ablässt und sich auf Lily kon­zentriert, die sich im Gestrüpp der politischen Machenschaften nicht verheddert, sondern sich als charak­ter­starke, verantwortungsvolle, geradlinige, mit gutem Instinkt agierende Vollzeit-Anwältin ent­puppt.

So weit, so gut. Auf dem Fundament der ausgebreiteten Verbrechenselemente und der überzeugenden Figuren hätte David bauen können. Doch leider begnügt er sich nicht. Er will auch der Politik eins aus­wischen. Also widmet er deren Machenschaften viele Seiten, lässt üble Strippenzieher auftreten, die mit allen Mitteln versuchen, die Situationen zu ihrem Vorteil beeinflussen zu können, wobei die Medien willfährig helfen … Viel Schwarz-Weiß-Malerei, Klischee und Schlichtheit (zum Beispiel zu einfach gestrickte Struk­turen der Ämter, Posten und Dienstgrade) ziehen die Stimmung beim Lesen nach und nach in den Be­reich der Enttäuschung und konterkarieren die angelegte Spannung.

»Mädchenauge« ist Christian Davids Debüt, und aller Anfang ist schwer. Der Autor pflegt einen sehr schönen, eingängigen Sprachstil und vermag Atmosphäre zu schaffen. Warten wir also auf seinen nächsten Roman und hoffen, dass sein Konzept besser überzeugt.


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