Keine klazze Schnitte
Die Berliner Verlegerin Susanne Beckmann ist in schweren Nöten. Ihr all-in-one-Betrieb, den sie als Eine-Frau-Laden (alle Jobs in Personalunion) führt, steht vor dem Konkurs. Nur einer könnte sie aus dem Schlamassel ziehen: Alfred Firneis, kurz »Fred«, der Autor ihres letztjährigen Bestsellers. Der andere Autor, den sie verlegt, heißt Bassam, aber der fährt zurzeit Taxi. Firneis wird sie nicht im Stich lassen; er wird mal schnell ein paar Zeilen dichten, und schon kann sie ein weiteres Lyrikbändchen auf den Markt werfen und Kasse machen.
Doch wo steckt Fred bloß? Von seinem Festnetz-Anrufbeantworter schnarrt ihr immer wieder dieselbe Botschaft entgegen: »Anrufbeantworter von Alfred Firneis. Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht. Ich rufe nicht zurück.« Sein Handy ist deaktiviert. Steckt der Komet in irgendwelchen himmlischen Sphären fest?
Susanne muss ihn selbst aufsuchen. Aus ihrem Verlagsbüro in der Tucholskystraße macht sie sich auf gen Kreuzberg, das ihr missliebige, schmuddelige und »vollkommen überschätzte Viertel«. Nach ewigem Klingeln öffnet Fred nur zögerlich seine Wohnungstür. Sie drängt ihn zur Seite, verschafft sich Zutritt, und schon springt ihr überall das ganze Elend entgegen: Unordnung und Siff! Der Mann benötigt »professionelle Hilfe« – als Nächstliegendes eine Reinigungskraft, aber längerfristig wird er einen Psychodoktor brauchen, denn ganz offensichtlich schliddert der Mann direkt in eine hartnäckige Depression hinein. Burnout! Er fühlt sich ausgebrannt, kann und will nichts mehr schreiben.
Aber unsere clevere Susanne gibt nicht auf – schließlich steht ihr das Wasser bis zur Unterlippe, und da darf sie kein Pardon kennen: Damit Fred seine Schreibblockade überwindet, sind ihr alle Mittel recht, und so wird der Mann zum Objekt eines abgekarteten Spiels, einer hinterhältigen Intrige.
Am Ende sind alle glücklich. Die Liebe macht’s möglich, dass Fred sich und seine Worte wiederfindet. Im Schaffensrausch liefert er Susanne ihr gewünschtes Büchlein »Liebe unter Fischen«. Damit kriegt sie nochmal die Kurve und kann den Konkurs abwenden.
Ach je, ist das ein seichtes Geschichtchen! Etwas harmloses Liebesgeplänkel, ein bisserl Ringelpiez mit Anfassen, garniert mit ›Insiderinformationen‹ aus dem Verlagswesen, dem Büchermarkt, der Literatur- und der Berliner Szene, das Ganze dann auf ›amüsante‹ Weise verpackt. Aber das Geplänkel und die Gags sind so flach, dass sie kaum einen Gesichtsmuskel reizen können: Da nennt sich Susanne selbst »Schnitte von Mitte«, und die Pilze, die in Freds Küchenspüle wachsen, züchtet er für »Pizza funghi«. Nachdem Fred tatsächlich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat, zieht er sich zur Rekonvaleszenz in eine einsame Hütte am Ufer des bayerischen Elbsees zurück, medienfrei und ohne Strom. Aber seine perfide Verlegerin schickt ihm ein Hascherl nach, das ihm die Zeit in den Bergen versüßen und seine Feder reaktivieren soll. »Mara« stammt aus Zvolen (Slowakei), promoviert über Elritzen (phoxinus phoxinus) und zeichnet sich durch einen entzückenden »Doppel-s- und scharfes-ß-Fehler« aus, weswegen sie »süz«, »Klazze Hütte« und »küzzen« sagen muss – alles getürkt und reichlich naiv …
Susanne Beckmanns Direktive an ihren Autor Fred Firneis formuliert sie so: »Außerdem hab ich dadurch mehr Seiten, dann können wir mehr verlangen.« Die Methode des Seitenschindens beherrscht auch der Autor René Freund. Denn Fred schreibt Susanne regelmäßig Briefe (deren schlichter Stil an Erlebnisaufsätze von der Schulbank erinnert) – doch was er zu berichten hat, wurde uns zuvor schon live erzählt.
Bisweilen könnte man meinen, René Freund verfolge auch die Intention, den Literaturbetrieb aufs Korn zu nehmen. Ein paar nette Phrasen (»Ein Gedicht ist nicht dazu da, verstanden zu werden.«) und der »Vorschautext« zu Fred Firneis’ »Liebe unter Fischen« (womit der Text gemeint ist, mit dem die Neuerscheinung angekündigt und beworben wird) zielen vielleicht in diese Richtung. Da vereint Frau Beckmann ein Sammelsurium von Schlagwörtern der Lyrik-Kritik: »In einem lyrischen Parforceritt nimmt Fred Firneis alle Hürden, die nach Adornos Verdikt nicht mehr überwindbar schienen … Von Asphalt- und Großstadtgedichten … bis hin zu pastoral anmutenden Gleichnissen … in der Nachfolge Kleists und Eichendorffs … Wettstreit zwischen Trauer und Hoffnung, Weltschmerz und Erleuchtung … Ironie … romantisch oder postmodern …« Die hochtrabenden Vokabeln stehen in witzig-krassem Gegensatz zur Schlichtheit der Figuren des Dichters und seiner Verlegerin. Aber ein satirisches Konzept mit Biss und Tiefgang konnte ich nicht ausmachen.
Das sommerliche Cover und der verlockende Klappentext (»Eine alpine Screwball-Comedy mit Showdown in Berlin – schnell, überraschend und sehr sehr unterhaltsam.«) versprachen allzu viel – gehalten wurde davon leider wenig.