Rezension zu »Stern des Nordens« von D.B. John

Stern des Nordens

von


Eine junge Amerikanerin mit koreanischem Hintergrund verschwindet spurlos von einer südkoreanischen Insel. Eine Entführung? Ihre Schwester wird von der CIA angeworben. Ein spannender Thriller, der erschütternde Einblicke in den nordkoreanischen Alltag gewährt.
Politthriller · Wunderlich · · 542 S. · ISBN 9783805203326
Sprache: de · Herkunft: gb

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Alles finster im Lande der Kims

Rezension vom 21.02.2019 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die westliche Öffentlichkeit weiß über Nord-Korea nur, was seine Regierung offiziell verlauten lässt und was die wenigen Geflohenen und Journa­listen berichten. Daraus ergibt sich das Bild eines der abschre­ckend­sten Regimes der Welt, das sein Volk schon seit siebzig Jahren in seinem eisernen Griff hält. Mit Unter­stützung Stalins übernahm Kim Il-sung 1948 die Macht und instal­lierte eine Ideologie geradezu religiösen Gepräges. Sie stützt sich auf die Verherr­lichung der als unfehlbar und unantastbar herausge­stellten Führer­personen, deren Status jegliche Kritik undenkbar macht, auf die Gleich­schal­tung durch Diszipli­nierung und Indoktri­nierung der Menschen, auf drastische Bestrafung jeglicher Kurs­abwei­chung und auf rigorose Abschottung gegen den gesamten Rest der Welt. Den Untertanen hämmert man ohne Unter­brechung ein, dass ihr System allen anderen in jeder Hinsicht überlegen sei, dass alle anderen durch und durch böse seien und nichts als ihre Vernichtung im Sinn hätten. Dabei scheut die Führung selbst vor keiner Form der Krimina­lität und Korruption zurück.

Auf den Dynastiebegründer Kim Il-sung folgten 1994 sein Sohn Kim Jong-il und 2011 dessen Sohn Kim Jong-un, ohne dass Anzeichen einer Lockerung oder Öffnung zu erkennen gewesen wären (vielleicht in neuester Zeit?). Nur äußerst wenige auslän­dische Journa­listen erhielten die Erlaubnis, das einem Straflager ähnelnde Land zu bereisen, doch wurden sie auf Schritt und Tritt beauf­sichtigt und zensiert, damit sie der Welt ein Bild ganz im Interesse der Führung präsen­tieren sollten. Düstere Berichte sickerten mit den wenigen Bürgern nach draußen, die die Grenzen zu überwinden vermochten oder ihr Privileg eines Auslands­dienstes zum Überlaufen nutzten. Als »Verräter« leben sie in ständiger Angst vor Schergen, die sie weltweit treffen können.

Auf diesen Grundlagen hat der walisische Journalist und Autor D.B. John einen Thriller verfasst, dessen Plot fiktional ist, dessen Faktenbasis aber auf der eigenen Anschauung des Autors beruht. Er lebte lange in Süd-Korea und durfte den Norden als Tourist bereisen. »Star of the North« D.B. John: »Star of the North« bei Amazon (übersetzt von Sabine Längsfeld und Karen Witthuhn) ist bereits sein zweiter Roman zum Thema. 2015 erschien »The Girl with Seven Names: Escape from North Korea« (dt. »Schwarze Magnolie: Wie ich aus Nordkorea entkam. Ein Bericht aus der Hölle«), den er zusammen mit Hyeonseo Lee verfasst hatte.

»Stern des Nordens« ist ein komplexer, beklemmender Thriller um die Entführung einer jungen Frau in Korea und die Suche nach ihr. Die Handlung beginnt im Oktober 2010 und endet mit dem Herzinfarkt Kim Jong-ils während einer Zugfahrt im Dezember 2011. Dass der Autor einigen seiner Figuren ein Happy End aus der Feder fließen lässt, sorgt zwar für partielle Entspannung, doch bis dahin muss sich der Leser durch Beschrei­bungen der Zustände in einem mitleid­losen Über­wachungs­staat beißen, die weit mehr an Grauen und Abscheu erregen als die Elemente der Thriller­handlung an Spannung.

Der Amerikaner Douglas Williams lernt während des Koreakriegs die Koreanerin Han kennen und heiratet sie. In den USA bekommen sie Zwillings­töchter, Jenna und Soo-min. Ein schwerer Schicksals­schlag trifft die Familie im Jahr 1998, als Soo-min und ihr Freund von einer südkorea­nischen Insel spurlos ver­schwin­den. Am Tag ihres Abflugs hatte Jenna ihrer Schwester als Glücks­bringer ein Silber­kettchen geschenkt, das man später im Seetang findet. Die koreanische Polizei recher­chiert umfänglich, und auch Vater Douglas beteiligt sich vor Ort an den Untersu­chungen, jedoch ohne jegliche Erkennt­nisse. Man belässt es schließlich bei der Annahme, die beiden seien ertrunken, und beendet die Suche.

Mutter Han findet nicht mehr in ihr gewohntes Leben zurück. Jenna schließt schweren Herzens ihren Frieden mit der offiziellen Theorie, was sie befähigt, in den darauf folgenden zwölf Jahren eine akademische Karriere zu absolvieren (sie lehrt als Assistenz­profes­sorin an der School of Foreign Service in Georgetown). Doch der Geist der Schwester umgibt sie ständig. Sie leidet unter Albträumen und nimmt regelmäßig psychia­trische Hilfe in Anspruch. Einmal in der Woche besucht sie ihre Mutter in Annandale, Virginia.

Ein TV-Bericht über mehrere in Korea entführte Menschen lässt Jennas Hoffnung, ihre Schwester lebe noch, wieder aufflammen. Gleich­zeitig lernt sie einen Kameraden ihres Vaters aus dem Koreakrieg kennen. Charles Fisk war sogar der Trauzeuge ihrer Eltern. Schon damals arbeitete er als Militär­spion für die CIA, und in der höchst brisanten aktuellen Lage, da Nord-Korea die USA mit Nuklear- und Raketen­tests provoziert, sucht er Mitarbeiter. In der Tat bringt Jenna als hyper­intelli­gente Halb­korea­nerin mit Sprach­kennt­nissen alle Voraus­setzun­gen mit, um den amerika­nischen Geheim­dienst zu unter­stützen. Sie nimmt den gefähr­lichen Auftrag an.

Mit Frau Moon, 60, hören wir eine zweite Erzählstimme direkt aus dem Land der Kim-Dynastie. Sie schildert den täglichen Über­lebens­kampf der Menschen inmitten des Systems. Nach dem Tod des Großen Führers, der »allen ein Vater« war, »in dessen Gegenwart Blumen blühten und Schnee schmolz«, ist nun sein Sohn, der »Geliebte Führer« Kim Jong-il an der Macht. Für seine ehrgeizige Vertei­digungs­strategie der atomaren Aufrüstung gegen die impe­rialis­tische Bedrohung durch die Nachbar­staaten und die USA muss das Volk Opfer bringen.

Die daraus folgenden Zustände beschreibt D.B. John in drastischen Szenen: die Leichen von Verhun­gerten auf den Straßen, Eltern, die ihren Kindern das Essen wegnehmen, Kinder, die Ochsenkot auf der Suche nach unverdauten Körnern durchwühlen. Während das Volk darbt (und der Despot im Luxus schwelgt), überwachen Funktionäre und Spitzel mit verstei­nerter Mimik jeden Winkel, jede Wohneinheit auf korrektes Verhalten. Dazu gehört, dass kein Fleck, kein Staubkorn die Porträts der Kim-Führer, die alle Straßen und Plätze zieren und wie Altare in jeder Hütte zu hängen haben, entehren darf. Privat­sphäre und Indi­vidua­lität sind verpönt und ausgemerzt. Kleinste Vergehen werden hart bestraft, oft mit jahr­zehnte­langer Haft in ent­menschli­chenden Arbeits­lagern.

Frau Moon kommentiert, was sie wahrnimmt, mit Zynismus: »Als Hundert­tausende mit Gras im Mund starben, löste sich das Problem der Nahrungs­mittel­knapp­heit von allein.« Die vollmun­digen Heilsbot­schaften der Führungs­clique (»Wenn Du tausend Meilen des Leidens überstehst, wirst du zehntausend Meilen der Freude erleben.«) erkennt sie nun als »Ziegen­scheiße«. Ihr selbst fällt persön­liches Glück förmlich vom Himmel: ein Ballon mit gut gefülltem Rucksack und Grüßen aus dem Süden. Es gelingt ihr, ihren eigenen Über­lebens­weg zu finden, indem sie eine Straßen­küche einrichtet. Mit zunehmendem Selbst­bewusst­sein und wachsender Anerkennung riskiert sie viel, als sie versucht, eine wegen des Besitzes einer Bibel (»staats­gefähr­dende Literatur«) zum Tode verurteilte junge Christin ›freizu­kaufen.

In einer dritten Erzählperspektive begleiten wir den frisch beförderten General Cho, 33, Mitglied einer hand­verle­senen Delegation zu den United Nations. Dort muss man die Verur­teilung der nord­koreani­schen Raketen­tests als im­perialis­tische Einmischung in die Politik ihres souveränen Landes abschmet­tern. Was Cho, dessen eigentliche Mission es ist, Gelder und Lebens­mittel zu erpressen, in New York beobachtet und erlebt, entspricht nicht dem Feindbild, das man ihm einge­trich­tert hatte. Und von seinem Bruder hört er Dinge, die seinen Glauben endgültig ins Wanken bringen.

Die Grundverschiedenheit der Charaktere und ihrer Sichtweisen auf den anderen und sein System treibt manch hanebüchene Blüte. Die überall zu kaufenden »Doppel­brötchen mit Fleisch« etwa hält Cho für Ideenklau der zu allem fähigen Yankees. Schließlich hat niemand anders als der große Kim Jong-il persönlich diese Zubereitung zur Ernährung der Universitäts­studenten seines Landes erfunden.

Vieles an diesem Thriller lässt ihn wie ein Propaganda-Werk erscheinen: die Schwarz-Weiß-Zeichnung, die klare Abgrenzung zwischen den Guten und den Bösen, die Läuterung eines ehemals Überzeugten, die Verpackung der Botschaften in eine unterhalt­same Handlung. Allerdings bleibt bei der Faktenlage, soweit wir sie denn kennen und beurteilen können, ja wirklich nicht viel Positives über Nord-Koreas Politik­system zu sagen. In D.B. Johns Thriller ist kein Licht am Horizont zu sehen.


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