Rezension zu »Alles was ich dir geben will« von Dolores Redondo

Alles was ich dir geben will

von


Der Spross eines nordspanischen Uradelsgeschlechts kommt ums Leben. Als Homosexueller galt er freilich als aus der Art geschlagen. Sein Ehemann geht der Sache in der Region Galicien nach und stößt auf eine Vielzahl von Merkwürdigkeiten – in der feinen Familie und in der Historie. Eine spannende, wenn auch überladene Geschichte.
Kriminalroman · btb · · 608 S. · ISBN 9783442757657
Sprache: de · Herkunft: es

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Ein schweres Erbe

Rezension vom 16.08.2019 · 7 x als hilfreich bewertet mit 1 Kommentaren

Die spanische Schriftstellerin Dolores Redondo Meira (geboren 1969 in Donostia-San Sebastián) eroberte 2013/2014 mit ihrer Baztán-Krimireihe die spanischen Best­seller­listen. 2016 gewann ihr Krimi »Todo esto te daré« Dolores Redondo: »Todo esto te daré« bei Amazon, den sie unter dem Pseudonym Jim Hawkins und dem falschen Titel »Die Sonne von Theben« als Manuskript zum Wettbewerb eingereicht hatte, den Premio Planeta de Novela für unver­öffent­lichte Romane. Jetzt ist das Buch in der Übersetzung von Lisa Grüneisen auf Deutsch erschienen.

Im Mittelpunkt der breit angelegten Handlung steht Manuel Ortigosa, 52, Autor mehrerer Bestseller. Bei der Vorstellung seines neuesten lernte er den erfolg­reichen Werbe­fach­mann Álvaro Muñiz de Dávila kennen, die beiden verliebten sich und heirateten bald darauf.

Drei Jahre ist das her. Doch zurzeit geht dem Autor das Schreiben nicht so leicht von der Hand. Seine Selbst­zweifel rühren ans Grund­sätz­liche: Warum und wofür schreibt ein Schrift­steller? Er sieht sich ver­pflich­tet, seinen Lesern zu liefern, was sie sich von ihm erhoffen, doch Álvaro hat Bedenken wegen des neuen Roman­konzepts. Die Geschichte, um die Manuel so schwer ringt, trägt den Titel »Die Sonne von Theben«, was Ortigosa-Hawkins-Redondo irgendwie zu einem Dreigestirn der Seelen­verwandt­schaft zu verbinden scheint. Aber das gehört zu den eher neben­sächli­chen Schnörkeln dieses Buches.

Der Krimiplot setzt ein, als zwei Polizisten Manuel aus seinen literari­schen Grübeleien reißen und ihm mitteilen, dass Álvaro bei einem Autounfall in der Provinz Lugo getötet worden sei. Manuel hört die Botschaft, doch ihm fehlt der Glaube. Schließlich war Álvaro in Richtung Barcelona auf­gebro­chen, um dort ein Projekt vorzu­stellen. Um sich vor Ort selbst zu verge­wissern, was geschehen sein mag, macht sich Manuel sofort auf die Fünfhundert-Kilometer-Reise nach Galicien. Dort erwarten ihn bittere Wahrheiten. Sein Lebens­partner war ihm in Wirklich­keit unbekannt geblieben, denn er hatte ein Doppelleben geführt.

Álvaro entstammt einem der ältesten galicischen Adelsge­schlechter. Die Familie besitzt umfang­reiche Ländereien und Weingüter in der Bergregion der Ribeira Sacra. Nach dem Tod seines Vaters drei Jahre zuvor fiel Álvaro der Titel »Graf von Santo Tomé« zu, er übernahm den über­schulde­ten Familien­besitz und konnte unter Einsatz seines Privat­vermö­gens dessen Total­bank­rott und weiteren Verfall verhindern. Für Manuel erweist sich die feine Sippe als Wespennest, in dem der verpönte homo­sexuelle Ein­dring­ling mit Missach­tung gestraft wird. Doch bei der Testaments­eröff­nung müssen die Gräfin, ihr Sohn Santiago, ihre Schwieger­töchter und ein drei­jähri­ger Enkel Unerhörtes hinnehmen: Don Álvaro hat ihnen in seinem letzten Willen großzügige Zuwendungen zum Lebens­unter­halt zuerkannt, doch seinen »geliebten Ehemann Manuel Ortigosa« zum Alleinerben bestimmt.

Nicht nur die vornehmen Angehörigen sind geschockt angesichts der empörenden Verfügung, die ihr zukünftiges Wohlergehen von einem Fremden mit anrüchigem Sexualver­halten abhängig macht. Auch Manuel ist geneigt, auf alle Ansprüche zu verzichten und die Besitztümer den arroganten Adligen zu überlassen. Doch Álvaro hat diesen Schritt frühestens nach drei Monaten gestattet. Die erzwungene Wartezeit nutzt Manuel, um über all die unge­wöhnli­chen Ereignisse nachzu­denken und den Grundbesitz, insbeson­dere die schwer zugäng­lichen Weingüter an den Steilhängen der Ribeira Sacra kennenzu­lernen.

Unterdessen wünscht die Familie de Dávila keine weitere polizei­liche Ermittlung. Ihr guter Name soll nicht in den Schmutz gezogen werden. Die Strategie hat Tradition, denn in der Ver­gangen­heit ist auf diese Weise schon mancher Skandal vertuscht worden. Dagegen steht Manuel mit seinen Zweifeln an Álvaros Todesur­sache nicht allein. Der pensio­nierte Polizist Nogueira, dem das feudale Machtgehabe der spanischen Adels­dynastien seit jeher ein Dorn im Auge ist, bestärkt ihn in seiner Skepsis und der Suche nach der Wahrheit. Die Pathologin Ofelia lässt dem ehemaligen Kollegen freund­licher­weise wertvolle Erkennt­nisse zukommen.

Als weiterer wichtiger Informant erweist sich der Priester Lucas. Der hatte als Stipendiat das katholische Internat und Priester­seminar besucht, auf das auch alle Söhne der reichen Oberschicht der Gegend geschickt wurden. Lucas war freilich der Einzige, der schließlich zum Geistlichen geweiht wurde. Als Álvaros engster Vertrauter wusste er nicht nur von dessen Beziehung zu Manuel und deren heftiger Ablehnung in der Familie, sondern kennt auch viele andere Interna, etwa aus der Franco-Zeit. Fest an der Seite des Diktators stehend, ent­wickel­ten die de Dávila damals eine besondere Geschäfts­tüchtig­keit und häuften gewaltige Reichtümer an. Der damalige Graf, so munkelt man, habe auf großem Fuß gelebt, eine Geliebte unterhalten und einen Großteil des Vermögens verprasst. Für seine drei Söhne war er unnahbar, und auch seine Ehefrau, die Gräfin, war ihren Kindern leider nie eine gute Mutter. Jeder litt auf seine Weise.

Entlang dieses roten Fadens hat Dolores Redondo einen umfang­reichen, gut lesbaren Sommer­schmöker verfasst, der jedoch unnötig komplex und über­frach­tet geriet. Den eigent­lichen Haupt­strang, wie drei unter­schied­liche Ermittler Álvaros Leben und Tod aufklären, serviert die Autorin in Häppchen und bindet damit den auf Fortsetzung und Spannung fokus­sierten Leser. Der hätte allerdings auf einige Seiten­stränge gewiss gern verzichtet, wie etwa auf das angespannte, unerfüllte Eheleben des Pensionärs Nogueira.

Doch Dolores Redondo hat noch eine ganze Menge mehr auf dem Herzen und bindet es in ihren über­borden­den Roman ein: an erster Stelle ihre Liebe zum wilden, ursprüng­lichen Galicien. Das macht sie gut und überzeugend. Wir erlesen uns eine spekta­kuläre Landschaft, ein grünes Paradies voller Anmut und Ruhe, den meisten sicherlich unbekannt, weil entlegen, dünn besiedelt und unwegsam. Enge Sträßchen schlängeln sich durch üppige Vegetation über steile Berge und bieten überwälti­gende Panorama­blicke auf die tief ein­geschnit­tenen Täler von Miño und Sil und auf stille Stauseen, in denen in den Fünfziger- und Sechziger­jahren etliche Dörfer versinken mussten. Wie mühselig die Arbeit der Bauern auf den Terrassen ihrer Weinberge ist, die sie teilweise nur per Boot erreichen können, beschreibt die Autorin anschaulich, detailreich und sachkundig.

Redondos zweites Anliegen gilt der Darstellung der traditio­nellen gesell­schaft­lichen Lebens­formen der Region, die sie in vielen Episoden in den Haupt­erzähl­strang einflicht. Den Ton geben die einfluss­reichen Adels­geschlech­ter an, die sich gern als gnädige Arbeitgeber präsen­tieren, deren Macht aber durch ihren Grundbesitz und die Unterstüt­zung der katholi­schen Lehre seit jeher unan­fecht­bar ist. Wohl auch wegen dieser Konstanz können wir in Galicien immer noch ursprüng­liches bäuerliches Leben und mystisch anmutende, viele Jahr­hun­derte alte Klöster und versteckte Kirchlein bewundern. Leider sieht sich die Autorin bemüßigt, die fiktionale de-Dávila-Sippe zum Inbegriff aller üblen Charakte­ristika ihrer Klasse zu stilisieren, was sie und ihr Familien­leben über die Grenzen der Glaub­würdig­keit hinaus vermonstert. In dieser Hinsicht frustriert leider auch die Auflösung des Kriminal­falls.

Das dritte Thema dieses Buches ist der gesell­schaft­liche Umgang mit der Sexualität. Über Jahrhun­derte tabuisiert, kommt seit einigen Jahren ans Licht, welche Untaten hinter hohen katholi­schen Kloster­mauern und unter dem Deckmantel kirchlicher Autorität an der Tages­ord­nung waren. Die Autorin arbeitet einfühlsam und drastisch zugleich heraus, welch trauma­tische Folgen dies auch für die Brüder de Dávila hatte. Darüber hinaus veran­schau­licht sie, wie schwer und leidvoll es bis vor wenigen Jahren war, sexuelle Anders­artig­keit unter repressiven Bedingungen auszuleben.

Anliegen und Kritik der Autorin sind legitim und berechtigt. Doch überwuchert ihre Masse den Kriminal­fall, und der Kriminal­roman gerät zu einer schwer überladenen Familien­saga voller Probleme, die den Leser in Gestalt vieler gewich­tiger Episoden, unzäh­liger Personen und vielfäl­tiger Schick­sale (Liebe, Eifer­sucht, Erpres­sung, Diebstahl, Miss­brauch, Mord …) über­rollen wie die stürmische Meeres­bran­dung die Buchten der zerklüf­teten Küste Galiciens.


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Kommentare

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Zu »Alles was ich dir geben will« von Dolores Redondo wurden 1 Kommentare verfasst:

Mikka Gottstein schrieb am 17.08.2019:

Hallo,

schade, dass das Buch so überfrachtet ist, eigentlich klingt es sehr interessant!

LG,
Mikka

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