Weltstadt ohne Herz
Georg M. Oswalds neuer Krimi »Unter Feinden« spielt in München – und zieht allen weiß-blauen Erwartungen schnell die Schuhe aus. Denn der bayrischen »Weltstadt mit Herz« gehen in diesem Roman nicht nur Weißwurscht-Gemütlichkeit und Bussi-Bussi-Schickeria ab, sondern Gesetz und Moral gleich mit.
Markus Diller und Erich Kessel heißen die beiden Polizeibeamten in Zivil, die da im BMW (na wenigstens das ...) sitzen und eine konspirative Wohnung observieren. Hier im Stadtteil Westend sind 50% der Einwohner Ausländer, und damit sind nicht etwa Preußen (oder gar Franken) gemeint, sondern zum Beispiel die »Arabs«, die sich da drüben unter einem Basketballkorb tummeln. Als Diller kurz den Wagen verlässt, zieht es seinen zurückgelassenen Partner hin zu den Typen. Denn Hauptkommissar Kessel ist hochgradig drogenabhängig und braucht dringend neuen Stoff (und damit ist nicht Weißbier gemeint). Wenngleich keine Bayern, verfügen die Typen doch über eine gesunde Menschenkenntnis: Dope an einen Cop vertickern? Bestimmt nicht! Abhauen soll er gefälligst. Aber Kessels Not ist groß, er zieht die Waffe, verschafft sich damit sein Tütchen, kehrt zum Wagen zurück – und dann nichts wie weg. Den riesigen »Pitbull«, der ihn mit seinem Baseballschläger bedroht, überrollt er, ohne das Bremspedal zu berühren ...
Das war’s dann wohl für die beiden langjährigen Freunde und Kollegen: Ende der Karriere. Dabei hat Diller sich gerade ein Reihenhäuschen leisten können und seinen Sohn Luis auf einer teuren Privatschule angemeldet. Und Kessel ist erst seit kurzem wieder im Dienst, angeblich clean mit einwandfreiem Bluttest.
Doch am nächsten Morgen sieht die Welt überraschenderweise ganz anders aus: München leuchtet – und damit ist das Gegenteil des Zaubers gemeint, den Thomas Mann einst in diese Formulierung bannte. In der Nacht hatte sich aufgestaute Wut entladen, wie schon andere Metropolen der Welt das durchlitten haben: Erst gingen die Ghettos in Flammen auf, Barrikaden wurden errichtet, die Krawalle weiteten sich aus, in der Innenstadt wurden noble Geschäfte geplündert. Beamte und Bundesgrenzschutz rücken an, um des Ausnahmezustandes Herr zu werden.
Da sind Diller und Kessel also vorerst aus der Schusslinie. Der erstere macht business as usual; er muss Sicherheitsmaßnahmen für die in wenigen Tagen stattfindende Sicherheitskonferenz der G8-Staaten organisieren. Gerade wurde am Münchner Flughafen ein Mann verhaftet, den der pakistanische Geheimdienst als Terrorist angekündigt hatte. Jetzt sitzt er in Stadelheim ein, und Diller muss seine wahre Identität klären.
Kessel meldet sich derweil krank. Gefangen in einem Wust von Erpressung und dunklen Geschäften, wird er immer tiefer in den Abgrund gesogen, begeht ein Verbrechen nach dem anderen. Glücklicherweise ist der Leser inzwischen parteiisch und nachsichtig, wohl wissend, dass es, wenn Kessel untergeht, auch Diller mit hinabzöge, und dem wünscht man wirklich nichts Böses. Zuhause hat er schließlich noch genügend andere Probleme.
Dem ungleichen Ermittlerpaar sitzt dennoch jemand im Nacken, der sie verdächtigt und der Wahrheit sehr nahe kommt: Didem Osmanoglu, die Vorzeige-Staatsanwältin türkischer Herkunft. Doch die Ereignisse überstürzen sich, bis nach einer eiskalt eingefädelten Aktion am Schluss ausgerechnet Kessel auf haarsträubende Weise als Held aus der Geschichte herauskommt – was wiederum einen ganz besonderen Beigeschmack hat, und damit ist nicht bloß bayrische Speziwirtschaft gemeint.
Der Autor Georg M. Oswald, ein echtes Münchner Kindl des Jahrgangs 1963, lebt und arbeitet (als Rechtanwalt) in seiner Geburtsstadt. In seinem neuesten Krimi zeigt er uns die schäbigsten Seiten von »Italiens nördlichster Stadt«: ganze Stadtviertel, die die Einheimischen geräumt haben, um sie Migranten, Asozialen, Gangs zu überlassen; Brennpunkte, in denen Lebensunterhalte mit Drogen und Erpressung verdient werden und in denen Gesetz und Ordnung Fremdwörter sind. Da genügt schon ein kleines Fünkchen, um einen Flächenbrand auszulösen, wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen, zum Beispiel aus Paris. So ein Szenario entwickelt Oswald sehr cool, sehr nüchtern, absolut überzeugend und fernab jeglicher voralpiner Heimattümelei: Hier fällt keine einzige bayrische Vokabel. Und auch das Ermittlerduo Diller und Kessel, das, wenn’s sein muss, Dienstvorschriften und Gesetze missachtet, unterscheidet sich wohltuend von den blödelnden Lokalkommissaren aus etlichen deutschen Roman-Regionen.
Endlich mal wieder ein richtig guter deutscher Krimi – keine hohe Literatur, aber beste Unterhaltung und Spannung mit Niveau.
Dieses Buch habe ich in die Liste meiner ganz privaten aktuellen Lesetipps aufgenommen.