Rezension zu »Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung« von Kevin Wilson

Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung

von


Belletristik · Luchterhand · · Taschenbuch · 382 S. · ISBN 9783630874012
Sprache: de · Herkunft: us

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»Kinder sind der Tod der Kunst«

Rezension vom 28.09.2012 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Mutter Camille + Vater Caleb + Kind A (= Annie) + Kind B (= Buster) sind: die Fang-Familie. Sie fährt ganz kräftig neben der Normalspur der 1970er Jahre. Als geschlossene Einheit stellt sie eine lebende Kunstgattung dar: das Happening. "Wir verzerren die Welt. Wir bringen sie zum Schwingen" - unter dieser Devise tritt sie in stilistisch kompromissloser Reinform in der Öffentlichkeit auf, bindet ihr Publikum auf groteske Weise in ihre Performances ein, provoziert lauthals Gesellschaft und Staat und findet lukrative Anerkennung in der Szene.

Zwar passt Nachwuchs nicht unbedingt in die Lebensplanung der zwei durchgeknallten Künstler, doch wo die Kleinen nun schon einmal da sind, werden sie von Anfang an zu immanenten Bestandteilen der Aktionen gemacht. Was ihnen damit angetan wird, würde im normalen Leben die Jugendämter einschreiten lassen. Aber in der Romanwelt ist alles vorstellbar.

Kevin Wilsons Debütroman The Family Fang stürmte kurz nach der Veröffentlichung 2011 die amerikanischen Bestsellerlisten, und die Medien überschütteten den Autor mit Anerkennung. Bei Luchterhand ist nun die deutsche Übersetzung von Xenia Osthelder erschienen - unter dem vom Original abweichenden, aber den Nagel auf den Kopf treffenden Titel "Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung".

Ob die hiesige Leserschaft das Buch mit ebensolcher Euphorie wie die jenseits des großen Teichs verschlingen wird, bleibt indes abzuwarten. Vertrautheit mit der amerikanischen Kunst- und Medienszene hilft, die zahlreichen Anspielungen zu erfassen; vor allem aber ist allzu vieles darin reichlich abstrus, exaltiert, klischeehaft und letztendlich auf oberflächliche Effekte gestylt: Heiratsanträge über den Wolken, im Restaurant kotzen, Professor Hobart Waxman vor den Augen seiner Studenten anschießen - "alles im Namen der Kunst". Hobart und Caleb hatten diese Performance ausgeheckt, und Hobart hat sie offensichtlich genossen, wie er dem Kunst-Schützen danach im Krankenhaus zuraunt, schwerverletzt und halbtot: "Es war wunderschön, Caleb ... Wunderschön."

Annie und Buster sind nun erwachsen. Sie haben sich bewusst abnabeln wollen von ihren ewig marktschreierischen, immer nur mit sich selbst beschäftigten Eltern. Doch schaffen sie es nur für kurze Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen. Annies (angeblich) sensationelle, oskarreife Karriere als Schauspielerin ist schnell zu Ende, und sie ertränkt ihr Elend in Alkohol. Buster leidet, nachdem er (natürlich) einen Bestseller verfasst hatte, unter einer Schreibblockade und verdient sein Geld als Schreiberling für ein Männermagazin. Er erweist sich als unsicher und unfähig, sein Leben zu meistern. Nach einem Kartoffelkanonen-Scharmützel wird er abhängig von starken Schmerzmitteln, sein Gesicht ist entstellt, und so flüchtet er als Erster heim ins Nest. Auch Annie klappt bald die Flügel ein und folgt ihm.

Während die Eltern diese familiäre Wiedervereinigung (wie üblich) als Riesenerfolg für die Kunst feiern, durchschauen die Kinder die Illusionen, formulieren die traurigen Zusammenhänge: "Ihr habt euer Möglichstes getan, unser Leben zu ruinieren. Ihr habt uns gezwungen, euch zu Willen zu sein, und als wir es nicht mehr schafften, habt ihr uns verlassen."

Zurückblickend schildert der Autor aus der Perspektive der Kinder die chaotischen, schrillen, teils kriminellen, bisweilen lebensgefährlichen Kunst-Events der Familie, die im Roman strukturierende Akzente setzen; Titel der Performance, Jahreszahl und beteiligte Künstler leiten, in eckigen Klammern gefasst, die betreffenden zentralen Abschnitte in den Kapiteln ein. Wilsons Phantasie kennt keine Grenzen, wenn er irre Happenings gestaltet, sich über die Flower-Power-Zeit lustig macht und kräftige Satiren gegen jene austeilt, die noch immer dem anarchischen Kunstbegriff der Siebziger Jahre nachhängen.

Aber zum Schreien komisch ist derlei Radikalität nicht; oft bleibt das Lachen im Halse stecken. Auch als Erwachsene sind Annie und Buster noch die Leidtragenden: Gerade sind sie wieder zu Hause eingezogen, da sind die Eltern schon verschwunden. Möglicherweise seien sie ermordet worden, teilt ihnen die Polizei mit. Doch man kann sich ausrechnen, dass Künstler wie Camille und Caleb wohl anders abtreten. Inszenieren sie vielleicht ihre finale Selbstverwirklichung? Sind A & B abermals nur Teil einer Show, eines Todes-Happenings? Traumatisiert machen sie sich auf die Suche, und es erwartet sie ein entmystifizierender Schluss ...


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