Rezension zu »Beifang« von Lisa Brennan-Jobs

Beifang

von


Die Autorin ist die älteste Tochter von Apple-Gründer Steve Jobs. Von Anfang an war sie „nur Daddys Fehler". Wie sie damit früher und heute gelebt hat, erzählt sie hier.
Autobiographie · Berlin Verlag · · 384 S. · ISBN 9783827013644
Sprache: de · Herkunft: us

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Vater werden ist nicht schwer

Rezension vom 30.05.2019 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Wäre dieses Buch ein Bestseller geworden, wenn der Vater der Autorin John Doe (»Max Mustermann«) hieße? Wie viele Käufer haben sich in Wirk­lich­keit für den illustren Vater und nicht so sehr für die wenig bekannte Tochter interes­siert? Und ist es denn belangreich, fast vierhundert Seiten über die Probleme der ungeliebten Tochter eines exzent­rischen Nerds zu lesen?

Gleich der Titel setzt den Ton auf Verletztheit. »Hey, Small Fry, let’s blast«, schlug der längst schwer­reiche Papa bei seinen raren Wochen­endbe­suchen vor – eine kumpelhafte Einladung an seine Sieben­jährige zu einer Rollschuh­tour. Aber »alternativeHeadline">Small Fry« Lisa Brennan-Jobs: »Small Fry« bei Amazon, das sind nun mal »kleine Fische«, »junges Gemüse«, »Kleinkram« oder eben »Beifang«, wofür sich die Überset­zerin Bettina Abarbanell entschieden hat: kümmerliche Jung­fisch­chen, die der Fischer ins Meer zurückwirft, weil sie noch nichts bringen, und schon das kleine Mädchen spürt wohl, dass das kein sonderlich liebevoller Kosename für sie ist. Lieber klammert sie sich an die Wunsch­vorstel­lung, der gerade mal wieder greifbare Vater liebe sie innig. Darin bestärkt sie seine Nähe, wenn er sie huckepack nimmt, und wenn sie zusammen stürzen, ignoriert sie tapfer ihre Wunden an Armen und Knien, um das bisschen erlebte Zärt­lich­keit nicht zu gefährden.

Solche schlaglichtartige Beispiele lesen wir viele in Lisa Brennan-Jobs’ Auto­bio­grafie. Als kleines Kind nimmt sie die Umstände ihres Lebens noch hin, wie sie sind, leidend, fragend, aber wohlwollend. Je älter sie wird, desto mehr verzweifelt sie an den erschre­cken­den Diskre­panzen zwischen kleinen Inte­ressens­bekun­dungen und bitteren Demüti­gungen, die sie durchleben muss, wenn sich Steve Jobs alle paar Monate oder gar Jahre einmal sehen lässt. Als Vierzig­jährige durch­forstet sie das Erlebte und betrachtet es im Rückblick neu, distan­zierter, mit reiferem Verständnis urteilend.

Es ehrt die Autorin, das Ansehen des 2011 Verstorbenen, so gut es geht, relati­vieren zu wollen, doch unterm Strich kommt der Mann in den Darstel­lungen seiner Tochter nicht gut weg: ein auf seine Weise genialer, aber kaum liebens­werter Mensch, der gelegent­lich guten Willen aufbringt, aber als Lisas Vater an seinen vielen Schwächen und fragwür­digen Eigen­schaften scheitert. Er ist ihr (wie auch vielen anderen) gegenüber unbe­rechen­bar, herrisch und manipulativ, rachsüchtig, unsensibel und gefühllos, so dass er seine Mitmenschen brutal demütigen und verletzen kann, und er ist – wer hätte das gedacht – geizig. An diesem traurigen Bild eines kompli­zierten, kalten Charakters ändert auch die Tatsache nichts, dass er sich kurz vor seinem Krebstod mit seiner ältesten Tochter aussöhnte und bereute, ihr so wenig Zeit und Verständnis geschenkt zu haben. Ihr Erbe dürfte einen drei­stelligen Millionen­betrag ausmachen.

Lisa ist das Kind einer Highschool-Beziehung zu Hippie-Zeiten in Kalifornien. Der sieb­zehn­jährige Steve (den seine Eltern gleich nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hatten) und die ein Jahr ältere Mitschü­lerin Chrisann Brennan finden Anfang 1972 zueinander, werden aber nie ein festes Paar. Man zieht für eine Weile zusammen, hat andere Partner, geht weg, lebt in Kommunen, trifft sich wieder. Steve schmeißt sein soeben begonnenes Studium, jobbt bei Atari, experi­mentiert mit alterna­tiven Ernährungs-, Medizin- und religiösen Anschau­ungen, reist in Indien herum. Dorthin zieht es auch Chrisann, aber mit einem anderen. Obwohl er selbst ständig eigene Wege geht, muss es ihn zutiefst kränken, bei Chrisann nicht die Nummer Eins zu sein. So kriselt die Freund­schaft vor sich hin, während Steve sich in der jungen Computer­branche einen Namen macht und 1976 mit zwei Freunden die Firma Apple gründet. Ihr Modell Apple II schlägt auf dem brandneuen Markt der Heim­com­puter ein. Da kommt Chrisanns Mitteilung, sie sei schwanger (man war mal wieder zusam­menge­zogen), äußerst ungelegen. Steve ist wütend, streitet seine Vaterschaft ab (schließlich habe die Mutter noch andere Beziehungen gehabt), ist gegen Abtreibung und Adop­tionsfrei­gabe, verweigert aber jede Hilfe.

Chrisann, allein gelassen und von Gelegenheitsarbeiten lebend, bringt ihre Tochter am 17. Mai 1978 in einer Kommune in Oregon zur Welt. Steve fliegt für ein paar Tage ein, um sich bei der Namens­gebung zu engagieren. Apples nächstes Computer­modell soll einen weiblichen Namen bekommen, und es wird der sein, den Chrisann für ihre Tochter vorschlägt. (Erst Jahrzehnte später wird der Mann einräumen, dass »Lisa« doch nicht, wie er hartnäckig behauptet hatte, für »Local Integrated Software Architecture« stand, sondern seine Tochter meinte.)

Steve Jobs’ Strategie, jegliche Verantwortung für Mutter und Kind von sich zu weisen (»Es ist nicht mein Kind.«), treibt ab­sonder­liche Blüten. Er verun­glimpft öffentlich Chrisanns Lebens­wandel, behauptet unter Eid, unfruchtbar zu sein, zweifelt das Ergebnis eines DNA-Tests an (94,1%!) und lässt sich im Dezember 1980 vom Bundesstaat Kalifornien zu 500 Dollar monatlicher Unterhalts- und Sozial­hilfezah­lung verdonnern. Vier Tage später wird Apple an der Börse gehandelt – zum Unter­nehmens­wert von 1,8 Milliarden US-Dollar. So dominiert ausge­rechnet Armut die frühesten Erinne­rungen des vierjäh­rigen Milliardär-Töchter­chens. Während Mutter und Tochter in einem angemie­teten Zimmer hausen, fährt Steve im Porsche vor, um ihnen seine neue Protz-Villa vorzuführen – für Lisa ein unver­ständ­liches Gebäude voller übergroßer Räume, die der Hausherr im Übrigen niemals betreten wird, wie wir später erfahren.

Lisas Kindheit ist durch lauter Zerrissenheiten, einander abstoßende Pole, sich wider­sprechen­de Emotionen beein­trächtigt. Denn nicht nur ihr Vater ist voller Wider­sprüche und Wandlungen, eine extreme Ausnahme­persön­lichkeit, die zu lieben kaum möglich ist. Auch ihre Mutter hat einen problema­tischen, fragilen Charakter. Von Geldnot und instabilen Bekannt­schaften zur Verzweif­lung getrieben, scheitert sie in ihren Bemühungen, Lisa eine gute Mutter zu sein, ebenso wie in ihren Träumen, sich als Künstlerin zu verwirk­lichen. Als Lisa in der Pubertät rebellisch wird, jede Mithilfe verweigert, mit Schminke und Kleidung provoziert, ist sie hilflos. Die Streitig­keiten eskalieren, bis Lisa die Ausbrüche ihrer Mutter (Reue, das Mädchen geboren zu haben, Selbst­mordge­danken) nicht mehr erträgt und wegläuft.

1991 hatte Steve Jobs Laurene Powell geheiratet, mit der er bis 1998 drei Kinder bekommt. Lisa darf in diesem Luxus­haus­halt oft zu Gast sein, wenngleich sie dort Schuldge­fühle belasten, ihre Mutter in ihrer schlechten Verfassung im Stich gelassen zu haben. Gleich­zeitig fühlt sie sich in der Familie als Aschen­puttel behandelt und zutiefst einsam. Man sagt ihr nicht einmal Gute Nacht. Oder war sie über­empfind­lich? Hegte sie zu hohe Erwartungen? Es wundert kaum, dass die Stiefmutter das Bild, das Lisa jetzt in ihrer Biografie von Steve Jobs als Ehemann und Familien­vater veröffent­licht, entschieden leugnet. Immerhin räumte sie Lisa gegenüber einmal ein: »Wir sind einfach kalte Leute.« So findet Lisa schließlich nirgendwo Orien­tierung, niemals Seelen­frieden.

In ihrer Autobiografie ringt sie darum, ein Bild ihres promi­nenten Vaters zu zeichnen, das ihre zutiefst persön­lichen Erfahrungen eher trister Natur vermittelt, aber auch seine Qualitäten aufspüren soll, selbst die, die für sie selber schwer erkennbar blieben. Aus ihrer eigenen Perspektive und der vieler anderer Personen setzt sich ein viel­farbi­ges, bisweilen paradoxes Porträt zusammen. Dass er ein gewinnendes Wesen vorzeigen, charmant sein konnte, ein begnadeter Präsentator seiner Produkte wie seiner selbst war, dann wieder abrupt eiskalt, geradezu bösartig austeilen konnte, illustriert seine Tochter in unzähligen Beispielen.

Ihr Erwachsenendasein hat Lisa Brennan-Jobs im Übrigen eigen­ständig (abseits des Schein­werfer­lichts) und erfolgreich gemanagt. Sie arbeitete im Finanzwesen, lebte in Groß­britan­nien und Italien, publizierte Artikel in literari­schen Zeit­schrif­ten. Ihr kluges Buch ist sprachlich auf gutem Niveau und vermittelt überzeugend ihre Bemühung, ohne Gehässig­keiten schreibend endlich Klarheit zu gewinnen, das zerrissene Wesen des Vaters besser verstehen, ihm am Ende womöglich verzeihen zu können und für sich selbst den Kopf frei zu bekommen. Die gewaltigen Auflage­höhen sind allerdings gewiss der An­schub­hilfe des weltweit strahlenden Namens geschuldet – und der Neugier des Publikums, ein paar Blicke durchs Schlüssel­loch zu erhaschen. Davon bekommt man genug, zwischen Trivia (der Papa pupt) und Tragik (»Acht­und­zwan­zig Prozent der männ­lichen Bevölke­rung der USA könnten der Vater sein.«).


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