Rezension zu »Tal des Schweigens« von Malla Nunn

Tal des Schweigens

von


Kriminalroman · Argument · · Taschenbuch · 320 S. · ISBN 9783867542074
Sprache: de · Herkunft: au

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Bei Amazon kaufen

Das Recht im Kraal

Rezension vom 05.03.2016 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Warum er? Mitten in der Nacht setzt der Chef Emmanuel Cooper auf einen Mordfall an. Der Tatort ist Rose­let, ein abge­lege­nes Kaff in den länd­lichen Aus­läufern der Drakens­berge, und somit wäre eigent­lich der dortige Polizei­chef Desmond Bagley zu­ständig.

Vertraut der Colonel seinem Untergebenen den Fall an, um dessen Karriere zu befördern? Tat­säch­lich protegiert er ihn schon seit Langem, und das ist unge­wöhn­lich im Süd­afrika des Jahres 1953, als nichts so sehr über den Wert eines Menschen ent­schied wie die Hautfarbe. Van Niekerks: Colonel, Hol­länder, weiß. Bagley: Constable, Schotte, weiß. Cooper: Detec­tive Sergeant, Vater Eng­länder, Mutter Afrikaa­nerin, also »ge­mischt­rassig«. Als »weiß­häuti­ges Kaffern­kind« wuchs Emmanuel in den Slums von Jo'burg auf, wurde von einer Farmer­familie (»stramm gottes­fürchtige Afri­kaaner«) adoptiert, zog in den Krieg nach Europa, kehrte mit Orden dekoriert zurück und wurde mit einer An­stellung als Kriminal­ermitt­ler geehrt. Aber sein Dienst­ausweis stellt ihn keines­wegs gleich mit seinen Kollegen weißer Hautfarbe. Ihm überlässt man die un­spek­taku­lären Fälle, er darf den »Müll sammeln«.

Oder soll er genau deshalb nach Roselet fahren? In der Einöde wurde schließlich ›nur‹ ein schwarzes Mäd­chen umge­bracht – so eine Lappalie aufzu­klären verschafft nieman­dem Lob und Aner­ken­nung. Auch danach würde Cooper »Latrinen­putzer« der Kriminal­polizei von Durban bleiben.

Noch niedriger in Rang und Wertschätzung steht Coopers Assistent von der »Native Detec­tive Branch«, Detec­tive Constable Samuel Shaba­lala, ein Zulu. Der ist seinem Vorge­setzten treu ergeben und eine wert­volle Hilfe. Nachdem ein Zulu-Hirten­junge die beiden Polizisten auf Trampel­pfaden hinauf in die Berge zum Tatort geführt hat, schlägt dem »Ge­mischt­rassigen« nichts als Feind­selig­keit entgegen. Miss­verständ­nisse, Aggres­sion und Ver­schlos­sen­heit lassen ihn nicht voran­kommen. Shabalala hingegen ist mit den Tradi­tionen, Ritualen und Verhal­tens­wei­sen der Ein­heimi­schen vertraut, kann vermitteln und taktieren. Schon wegen seiner elegant-gepflegten Er­schei­nung zieht der schwarze Zwei-Meter-Mann die Auf­merk­sam­keit aller auf sich, löst aber auch diffuse Gefühle von Miss­trauen bis Faszi­nation aus.

Bei ihrer Ankunft bietet sich ein anrührendes Bild. Die Tote heißt Amahle, »die Schöne«, und ist ein hüb­sches Zulu­mädchen von nur sieb­zehn Jahren. Man hat sie liebe­voll im Freien aufge­bahrt. Unter den schat­ten­spenden­den Ästen einer Felsen­feige ruht ihr mit roten und gelben Wild­blumen­blüten bestreuter Körper auf einem Bett aus Gras und Moos. Ein Kreis weh­klagen­der Mütter des Clans umschließt die Trauer­stätte. Ihre Hände und Körper haben sie mit Erde beschmiert. Am Weges­rand halten drei mit Knüppeln und Jagd­speeren bewaff­nete Männer in Kuh­fellen Wache.

Die Spuren am Boden rund um den Tatort sind weit­gehend zerstört. Cooper bemerkt einen »erbsen­großen, blauen Fleck« an der Innen­seite des linken Schen­kels und eine winzige Ein­stich­stelle auf Höhe der Taille – zu wenig, um Auf­schlüsse über die Tat zu verraten. Für präzi­sere Unter­suchun­gen müsste man den Leich­nam zum Bezirks­arzt bringen. Doch für die trauern­den Frauen ist es schon schwer zu ertragen, dass fremde Hände den Körper auch nur anrühren, geschweige denn ihn weg­schaffen.

Coopers Ermittlungen bekommen von allen Seiten Gegen­wind. Die Ärztin im weißen Farmer-Städtchen Roselet weigert sich, Hand an die schwarze Leiche zu legen. Revier­kom­man­dant Bagley, obwohl zustän­dig, bremst sein Engage­ment mit faden­scheini­gen Ausreden. Steht er unter der Fuchtel von Ian Reed, dem reichsten Farmer der Gegend, in dessen Familie Amahle als »tadel­lose Haus­hälterin« gear­beitet hat? Von jeman­dem wie Ian Reed ist keiner­lei Bereit­schaft zu erwarten, mit einem Zulu und einem »Ge­mischt­rassi­gen« zu ko­operie­ren. Amahles Vater, der Clan-Chief, hatte seiner­seits ganz andere Absichten: Er wollte seine Tochter bald verhei­raten. Das würde ihn um zwanzig Kühe reicher machen.

Malla Nunn, in Swasiland geboren und in den Sieb­ziger­jahren nach Austra­lien emigriert, versetzt uns in die Hoch­zeit der Apart­heids­politik zurück. Die regie­rende Nasio­nale Party hält Schwarze für »von Natur aus min­der­bemit­telt« und faul und begründet damit ein über Jahr­zehnte stabili­siertes Unter­drückungs­sys­tem. Die durch ihre Rasse definier­ten Bevöl­kerungs­grup­pen leben nicht nur räum­lich strikt von­ein­ander getrennt, sondern auch quali­tativ. Während den herr­schenden und besit­zenden Weißen alle Freiheiten offen­stehen, wird das Dasein der schwarzen Bevöl­kerung streng regle­mentiert. Grobe und subtile Repres­salien verbit­tern ihren Alltag, strenge Straf­gesetze sank­tionie­ren jeden Regel­verstoß, offene Dis­krimi­nie­rung unter­gräbt ihr Selbst­wert­gefühl. Viele Beispiele illustrieren, wie sich all dies täglich und überall mani­festiert: Selbst in Aus­übung seiner offi­ziel­len Tätig­keit als Polizist darf Samuel Shaba­lala keine Waffe tragen und kein Auto fahren. Wie alle »Nicht­weißen« muss er spezielle Wege, Verkehrs­mittel, Geschäfte und Lokale benutzen. Seine Meinung darf er nur kund­tun, wenn er gefragt wird.

Auch unter der weißen Bevölkerung ist weiß nicht gleich weiß. Die Be­ziehun­gen zwischen Gruppen und In­divi­duen werden zunächst einmal von rassi­schen und natio­nalis­tischen Gesichts­punkten geprägt, wie sie sich aus der kolo­nialen Ver­gangen­heit ent­wickelt haben. In Roselet ver­weigert man einem Dr. Zweig­man ein Hotel­zimmer – der Mann ist zwar ein respek­tabler Mediziner, aber eben auch ein deutscher Jude und damit ein »her­ge­lau­fe­ner Aus­länder« .

Trotz dieser Bezüge ist Malla Nunns Krimi kein politisches Buch, keine Ab­rechnung mit dem alten Sys­tem. Das liefert nur die Rahmen­bedin­gun­gen. Als Nähr­boden für die Handlung fungiert vielmehr die Kul­tur der Zulu. Lange vor ihrer Ver­mark­tung als Tou­risten­attrak­tion führen diese Menschen ein selbst­be­wuss­tes, unab­hängiges Leben weitab der bedroh­lichen Moderne. Sie denken nicht daran, sich ihre ange­stamm­ten Gewohn­heiten, Über­zeugun­gen, Freiheiten und Rechte nehmen zu lassen. »Niemand, nicht mal ein weißer Mann, schreibt mir vor, was ich in meinem eigenen Kraal tun und lassen soll«, schmettert der un­beug­same Große Chief die an­rücken­den Poli­zisten ab. Bald werden Coopers Ermitt­lungen zum Tanz auf schwan­kendem Hochseil, und nur Shaba­lalas Wissen und geschickte Diplo­matie ver­schaf­fen ihm ein Sicher­heits­netz.

Die Autorin verschließt nicht die Augen davor, dass Dis­krimi­nierung nicht nur von den Weißen ausgeht. Die Zulu leben zwar natur­ver­bun­den, doch in archai­schen Strukturen mit einer eigenen Art von Herren­menschen­tum. Ihre Clans sind streng hierar­chisch organisiert und unter­einander tödlich verfeindet. In jedem Kraal hat der jewei­lige Große Chief die abso­lute Befehls­gewalt. Seine Frauen machen sich das Leben gegen­seitig zur Hölle, um eine Hack­ordnung durch­zuset­zen. Im Übrigen sind Frauen recht­los, den Launen ihrer Väter und Männer ausge­liefert und werden wie Waren ver­schachert. Wie alle Natur­völker glauben die Zulu an Götter und Geister, von deren Ur­sprüngen und Macht ihre Mythen er­zählen und die für wei­teren Druck sorgen. Zauberei und Tier­opfer sollen die Götter gnädig stimmen, Frevler müssen nach ihrem Willen bestraft werden. Auch Amanthe unterstellt man ein übles Vergehen und beerdigt sie deshalb »auf­recht sitzend«. Mit diesem furcht­baren Fluch wird ihre Seele niemals Ruhe finden.

»Tal des Schweigens« beginnt in ruhig be­schrei­ben­dem Tempo, die Spannung steigert sich gemächlich im Verlauf der gerad­linigen Hand­lungs­ent­wick­lung. Den Schilde­rungen der Natur­schön­heiten und un­auf­dring­lichen Aus­füh­run­gen zu Kultur und Gesell­schaft widmet die Autorin viel Raum. Das erleich­tert es uns Lesern auf der anderen Seite des Globus, zu be­greifen, was die Hand­lungs­träger bewegt. Die schöne Häupt­lings­tochter Amahle litt unter den Zwängen des Kraals, ohne ihnen jedoch ent­flie­hen zu können. Detec­tive Cooper ist nirgend­wo zu Hause. Die ruhm­reiche Militär­zeit ist vorüber, in seiner Behörde ist er kaum mehr als geduldet, die weißen Farmer schätzen ihn ebenso gering wie die stolzen Zulu. Für ihn zählt hin­gegen der Mensch. Indem er seinen Partner respekt­voll behandelt und einsetzt, erhält Shaba­lala die Ge­legen­heit, den ent­schei­den­den Coup zur Über­führung des Täters zu initi­ieren. Zwar wird die clevere Lösung der »Kaffern­affäre« später keine Staub­flocke in Schwin­gun­gen ver­setzen, aber immer­hin wird General Hyde mit dem Ergeb­nis zufried­en sein. Über die beiden erfolg­reichen Detec­tives wird man sagen, dass sie »in Ordnung« seien – und die beschei­dene Belobi­gung ist offen­bar schon das Höchste an Karriere­sprung, worauf zwei wie sie hoffen dürfen.

Dieser eindringliche Kriminalroman, für den Edgar Award nominiert, erschien unter zwei Original­titeln: »Blessed are the Dead« Malla Nunn: »Blessed are the Dead« bei Amazon (USA/GB, Taschen­buch) und »Silent Valley« Malla Nunn: »Silent Valley« bei Amazon (Austra­lien, Kindle-Ausgabe). Es ist bereits der dritte Teil einer Serie um Detec­tive Sergeant Emma­nuel Cooper. Die Über­set­zung stammt von Else Laudan und Boris Sze­linski.


War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Tal des Schweigens« von Malla Nunn
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon


Kommentare

Zu »Tal des Schweigens« von Malla Nunn wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top