Schnitt ist gleich: Aller Anfang ist schwer
Eine Nacht des Grauens für den 11-jährigen Gabriel: Erst wird er Zeuge eines grausamen Geschehens. Kurze Zeit später steht das Haus lichterloh in Flammen. Die Eltern kommen darin um. Seinen kleinen Bruder David hat Gabriel an die Hand genommen, und die beiden können sich gerade noch rechtzeitig aus der Feuerhölle befreien.
Im Kinderheim kommt Gabriel von Anfang an nicht klar. Er ist aufsässig, prügelt andere Kinder und ist selbst gegen das Personal aggressiv – eine Gefahr für alle. So wird er für Jahre in einer Psychiatrie weggeschlossen. Die Ärzte diagnostizieren schwerste schizoide Störungen und eine totale Amnesie. Auch hier wird man kaum mit ihm fertig. Man fixiert ihn also, betäubt ihn mit starken Neuroleptika, drangsaliert ihn wöchentlich mit Elektroschocks. Seiner geistigen und körperlichen Freiheit beraubt, durchlebt Gabriel diesen Aufenthalt in der Hölle. Sein Vorbild und einziger Ansprechpartner ist Luke Skywalker, der Star-Wars-Held.
29 Jahre später: Berlin 2008. Gabriel hat einen Job bei einer Sicherheitsfirma. Eigentlich ist er mit der Journalistin Liz verabredet – sie ist seine erste Beziehung. Jahrelang hat er allein und zurückgezogen auf dem Gelände der Firma gewohnt. Nun scheint sein Leben endlich normal zu werden. Mit Luke tauscht er sich immer noch aus.
In der Zentrale geht ein Alarm ein: Einbruch in einem seit Jahren unbewohnten Haus. Gabriel übernimmt den Einsatz, da sein Kollege, ein Diabetiker, schlecht zu Fuß ist. Vorsichtig kontrolliert Gabriel das Haus. Die Tür ist angelehnt, auf dem verstaubten Boden sind Fußspuren zu erkennen, der Safe steht offen und ist leer. Da klingelt plötzlich Gabriels Handy: Es ist ein Hilferuf von Liz, die in einem Park von zwei Typen schwer zusammengeschlagen worden ist.
Als Gabriel nach halsbrecherischer Autofahrt den Park erreicht, findet er am Boden eine Leiche, mit einem Laken bedeckt. Gott sei Dank – es ist nicht Liz. Wo aber ist sie? Gabriel starrt in die erloschenen Augen des pickligen jungen Mannes. Dessen Kehle ist mit einem tiefen Schnitt durchtrennt worden.
Aufgrund seiner blutverschmierten Hände wird Gabriel als offensichtlicher Mörder direkt am Tatort verhaftet.
Nach bewährtem Strickmuster bekommt Gabriel zunächst alles Böse angehängt. Das Psychothriller-Genre erfordert halt, dass der Autor einen veritablen Psychopathen starken Kalibers entwickelt. Rache, Hass, unvorstellbare Gewalt gegen Unschuldige und was es noch so gibt – all dies hat mit dem Anfangsereignis, dem Brand in Gabriels Elternhaus, zu tun. So dick aufgetragen, ahnt der Leser freilich schon früh, dass der Psycho letztlich ein Guter ist. Das wirkt alles reichlich konstruiert, bleibt aber in weiten Teilen noch nachvollziehbar. Doch dass sämtliche Figuren um Gabriel und Liz herum ebenfalls irgendwie mit jenem Verbrechen in Verbindung stehen, entzieht der Handlung unterm Strich das letzte bisschen Überzeugungskraft.
Was macht einen wirklich guten Psychothriller aus? Nach meiner Auffassung sollte er sich langsam entwickeln; erst nach und nach sollten sich Unruhe, Gänsehaut, nasse Hände, Hitzewallungen, schließlich pure Angst einstellen. Gut, wenn der Plot unvorhersehbar ist und einen so fesselt, dass man echt genervt ist, wenn Job, Kinder oder sonstige Lappalien einen zwingen, das Buch zur Seite zu legen. Um endlich das erlösende Ende zu erreichen, macht man gern und freiwillig die Nacht zum Tage.
Von alledem habe ich in Marc Raabes Roman leider kaum etwas empfunden.
Schnitt: Titel des Romans
Schnitt: schmerzvolle Handlung mit dem Tatwerkzeug
Schnitt: Arbeitsmethode des Film- und Fernsehproduzenten Marc Raabe
Schnitt: Debütroman des Autors Marc Raabe