Rezension zu »Ciao. Omaggio all’Italia« von Mario Testino und Alain Elkann

Ciao. Omaggio all’Italia

von


Während der vier Jahrzehnte seiner Karriere als Modefotograf hat Mario Testino immer wieder das Land seiner Vorfahren bereist, erforscht und lieben gelernt. In diesem prächtigen Bildband hat er ein faszinierendes, schillerndes Porträt zusammengestellt, das Glamour und Alltag, Vitalität und Schönheit Italiens in sehr persönlicher Weise einfängt.
Bildband · Taschen · · 254 S. · ISBN 9783836578813
Sprache: en · Herkunft: de

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Italien: Glamour und die Leichtigkeit des Seins

Rezension vom 15.06.2020 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die Frage, was Italien sei, hat keine Antwort – und unendlich viele. Je öfter man das Land bereist, je mehr Menschen und Gegenden man kennen­lernt, je mehr man von seiner Ge­schichte, Kultur, Sprache erfährt, desto bunter schillert es, und desto unmög­licher wird es, ein Porträt in Worte zu fassen.

Gut, dass die Fotografie es ermöglicht, optische Eindrücke einzu­fangen. Bekannt­lich kann ein Bild durchaus ›mehr‹ vermit­teln als eine verbale Äußerung. Zwar ist seine Aussage in puncto Präzision und Ein­deutig­keit unter­legen, dafür kann es durch die Direkt­heit seiner Ansprache und durch emotio­nale Wucht bestechen, und es lässt dem Betrach­ter die Freiheit, sich im Bildraum zu bewegen, die Details und das Ganze zu inter­pretie­ren, sich zu identifi­zieren oder zu distan­zieren.

Große Fotografen sind Multitalente. Im Strudel des vorbei­rauschen­den Lebens erfassen sie blitz­schnell ein geeig­netes Motiv, wählen in Sekunden­bruch­teilen den optimalen Aus­schnitt, nehmen wie intuitiv die Einstel­lungen vor und drücken im richtigen Moment auf den Auslöser. Eine Meister­foto­grafie hält dann eine kurz­lebige Impres­sion von präg­nantem ästheti­schen Reiz fest und macht sie dauer­haft und repro­duzier­bar. Moderne Technik erleich­tert das Handwerk und eröffnet zudem neue Horizonte, doch noch immer sind ein ge­schul­tes Auge, künstle­risches Talent und techni­sche Kompe­tenz die Voraus­setzung, um mehr als ein Aller­welts­bild­chen zu produ­zieren.

Ein Künstler dieser Klasse und ein Profi von Welt­geltung ist Mario Testino. Er wurde 1954 in Peru geboren, doch sein Großvater war 1885 aus Italien nach Südame­rika aus­gewan­dert. Die italieni­schen Gene prägten den Enkel. Der ging 1976 nach London, entdeckte seine Obsession für Mode und die Foto­grafie und brach, einer latenten Sehnsucht nach dem Land seiner Vorfahren folgend, immer wieder nach Italien auf. Aus zunächst beruflich bedingten Begeg­nungen mit bedeu­tenden Mode-Designern (Gucci, Versace, Dolce & Gabbiana), Models, Stars (Madonna) und einfluss­reichen Familien erwuchsen Verträge und Freund­schaften, vor allem aber tiefe Einblicke in das viel­fältig-wider­sprüch­liche Wesen, die unge­zwun­gen-spontane, genuss­volle Lebens­art der Italiener in ihrem Land, das wie kein zweites auf Erden über­quillt von Zeug­nissen einer Kultur, die sich seit über zwei­tausend Jahren dem Streben nach anmutiger Schönheit hingibt. Wo das Leitbild für das Auftreten im Alltag lautet, bella figura zu machen, muss sich gerade ein Mode­foto­graf zu Hause fühlen.

Über vier Jahrzehnte hielt Testino seine Eindrücke fest, was Italien und die Italiener sind. Im Bildband »Ciao« präsen­tiert er auf über 250 Seiten eine Auswahl seiner Lieblings­fotos aus dem Belpaese der Neun­ziger­jahre bis 2019, durchweg ganz- oder mehr­seitig in erst­klassi­gem Druck auf schwerem Papier, wie beim Taschen-Verlag nicht anders zu erwarten. Die Abbil­dungen sind in drei Themen­kreise geglie­dert (»In giro | Out and about« – »Alla moda | In fashion« – »Al mare | At sea«). Domi­nieren den ersten und dritten Teil Bilder aus dem italieni­schen Alltags­leben, dazu Archi­tektur, Inte­rieurs und Land­schaften, so zeigt der zweite faszinie­rende Extra­vaganz in jeder Hinsicht – Models, Mode, Prominenz und Luxus, arran­giert in elegantem Ambiente.

All diese Motivkreise gemeinsam tragen dazu bei, was Testinos Italien ausmacht: eine reiche Kultur­land­schaft, die stili­sierte und bewun­derte Glamour­welt der Mode und, auf der anderen Seite, die unver­stellte Welt der einfachen Leute, die ihren Emotionen freien Lauf lassen. Aus diesen Foto­grafien strahlt uns pralle Lebens­freude entgegen, über­schwäng­liches Lachen aus weit aufge­risse­nen Mündern steckt uns an, und wir sind mitten drin in der Hoch­zeits­feier, unter den ausge­lassen spie­lenden und badenden Kindern, den begeis­terten Fußball­fans. Man spürt das vom Foto­grafen einge­fangene subtile Behagen, in Szene gesetzt zu werden, etwa bei den vier neapo­litani­schen Minis­tranten in ihren kardinal­roten Gewändern, die ihm, den Schalk im Nacken, aus weißen Hand­schuhen ein kesses Sieger-»V« entgegen strecken. Wie viel gewich­tiger wirken dagegen manche Porträts ›feiner Leute‹. Reglose Gesichter lassen uns tief in edle Seelen schauen wie bei Raffael und Ghirlan­daio, während wir vor der schwarz-weißen Erstar­rung im Salon einer Familie aus neapo­litani­schem Hochadel in ehrfürch­tiger Befrem­dung erschau­dern.

Testinos Stil hat mehrere Varianten. Scheinbar unabhängig vom Motiv macht er kristallin funkelnde, messer­scharfe Farb­bilder oder aber körnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit eigen­willigen Aus­schnit­ten, die ihren Gegen­stand ver­wischen, ver­hauchen, verrät­seln. Es gibt leise Nah­auf­nahmen und auf­regende Perspek­tiven. Ästhe­tisch beein­drucken mich besonders die klassisch arran­giert wirken­den Porträts, in denen Licht und Schatten, helle und dunkle Farben so aus­tariert sind, dass sie an Gemälde der Renais­sance und des Barock erinnern: die ernsten Männer der Contrada della Torre beim Palio von Siena (2007), die beiden ma­donnen­haften Sar­dinnen bei der Festa di Sant’Efisio (2019) in ihrer unglaub­lich fein und reich verzier­ten Tracht aus Hauben, Spitzen, Sticke­reien und Schmuck.

Testinos Omaggio all’Italia (Hommage an Italien), so der Unter­titel dieses Bandes, bean­sprucht nicht, ein umfas­sendes Bild von Land und Leuten zu geben, sondern ist das sehr indivi­duelle, leiden­schaft­liche Bekennt­nis einer mon­dänen Persön­lich­keit. Die Auf­nahmen ent­standen nicht in der engen Provinz, sondern in Trubel und Glanz von Venedig, Rom, Siena, Neapel, Amalfi und Capri, und sie berau­schen mit den frohen, hellen Seiten des Daseins. Doch ist nicht gerade diese unbe­schwerte Lebens­lust ein wesent­liches Merkmal des italieni­schen Charak­ters? »Ciao« vermit­telt ein faszinie­rendes, Atem berau­bendes Mosaik dessen, was die ausge­lassene, stil­volle Schön­heit Italiens ausmacht.


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