Rezension zu »Die Lügen der anderen« von Mark Billingham

Die Lügen der anderen

von


Kriminalroman · Atrium · · Gebunden · 416 S. · ISBN 9783855350544
Sprache: de · Herkunft: gb

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Dinner for six

Rezension vom 15.01.2015 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Das Verfallsdatum von Ferienbekanntschaften folgt dem Rückflugtermin meist auf dem Fuße. Der prop­penvolle Alltag drängt die Fremden schnell wieder in die Ferne, aus der sie uns für ein paar gemeinsam verbrachte schöne Stunden im Urlaubsparadies kurz nahegerückt waren.

Angie Finnegan fände es al­ler­dings schade, wenn die netten Beziehungen aus ihrem Florida-Urlaub der Ver­gäng­lich­keit anheim fallen würden. Nicht dass sich daraus eine Freundschaft entwickeln sollte – bitte nicht! Aber wo doch alle drei Ehepaare in London wohnen, könnte man sich nach zwei Monaten mal zwang­los treffen und in Erinnerungen schwelgen. Die dreizehn Tage im Pelican Palms Resort, Sarasota, waren schließlich perfekt: all inclusive und unbeschwert, genüssliche Stunden zusammen am Pool, in der Bar, im Restaurant. Nur der letzte Tag brachte Aufregung, als eine geistig leicht behinderte Dreizehnjähri­ge spurlos aus der Clubanlage verschwand.

Ehemann Barry ist zwar nicht gerade begeistert, aber Angie schreibt ihre Mail trotzdem: Einladung zum Dinner bei Finnegans in Crawley am 4. Juni. Und alle sechs erscheinen.

Der britische Bestsellerautor Mark Billingham entwickelt in seinem neuesten Kriminalroman »Rush of Blood« Mark Billingham: »Rush of Blood« bei Amazon (übersetzt von Peter Torberg) ein Psychogramm dreier unter­schiedlicher Paare. Wie der Titel suggeriert, erweisen sich ihre Beziehungen und ihre Verhaltensweisen als verlogen. Die Aura von Recht­schaf­fen­heit, Aufrichtigkeit, Anstand und Harmlosigkeit, die jede einzelne Person schon im Urlaub kul­ti­vier­te und nun fortführen möchte, zerbröselt im Verlauf dieses Dreiakters (auf die Einladung der Fin­ne­gans fol­gen zwei Gegeneinladungen). Der Autor hat diese bühnenreife Farce bis ins kleinste Detail durch­kon­stru­iert, und die Lektüre ist das pure Vergnügen: amüsant, makaber, fesselnd.

Das Salz in der Suppe dieser Milieustudie aus abstiegsgefährdeten Mittelklassekreisen, denen es gut geht, die aber die Preisschilder im Supermarkt genau studieren müssen, ist der Kriminalfall um das im Pelican Palms Resort verschwundene Mädchen und seine spätere Schicksalsgenossin in London, gleich alt und ebenfalls leicht behindert. Der Verdacht, eine der sechs Personen an den drei Dinner-Tafeln könnte der Täter sein, schleicht unaufhaltsam in die abendlichen Runden und unterminiert die schwer aufrecht zu er­haltende harmonische Atmosphäre. Da wird der Leser gern zum Lauscher, zumal Billingham den Verdacht geschickt in alle Richtungen lenkt. Bis zum Schluss ist es fast unmöglich, den tatsächlichen Täter und seine Motivation auszumachen.

Die sechs Akteure werden hingegen immer transparenter. Hinter dem schönen Schein ihrer Fassaden kom­men Scheinheiligkeit, Boshaftigkeit und Niedertracht ans Licht wie die subkutanen Geheimnisse der plas­ti­nier­ten Körper aus den »Körperwelten«. Bei den Abendmenüs plaudert man heiter lächelnd über Ur­laubs­er­leb­nis­se und Rezepte, über Einrichtung und Stil des Heims, über Aussehen und Erscheinungsbild, über Erfolg und Hürden im Beruf – und streut wie beiläufig winzige Nadelstiche, bissige Randbemerkun­gen, vage Ver­dachts­mo­men­te ein, die nicht ohne vergiftende Wirkung bleiben. Ob im trauten Heim mit dem Ehe­part­ner oder beim spontan mit der Freundin ausgeheckten Cocktail in einer Bar (ohne die Dritte im Bunde zu fragen), auch in Zwiegesprächen zieht man über die anderen her, lästert, hetzt, reißt Witze und tauscht Geheimnisse aus, die nicht lang geheim bleiben – peinlich mal für den Ausstreuer, mal für den Verräter, mal für den Empfänger. Die nach außen glänzenden Partnerschaften entpuppen sich als Zweck­ge­mein­schaf­ten. Jeder spielt dem andern eine Rolle vor, die der längst durchschaut hat und mehr oder we­niger hin­nimmt, um die subtilen Strukturen aufrecht zu erhalten.

Das gebrechliche Beziehungsgebilde gerät in größte Gefahr durch die emsige Arbeit von Jenny Quinlan, noch frisch im Polizeidienst und überengagiert. Mit ihr betritt eine ungeladene Fremde die gereizte Privat­sphäre. Sie stellt Fragen, beharrt auf Antworten, kommt wieder, wenn sie auf Ungereimtheiten zwischen den Aussagen stößt. Sie befördert, dass Geheimnisse platzen, dass sorgsam gedeckelte Spannungen inner­halb der Paare und zwischen ihnen bis zur Zerreißprobe zunehmen und sich am Schluss entladen.

Die perfekt konstruierte Erzählstruktur trägt nicht wenig zum Gelingen dieses ungewöhnlichen, unterhalt­samen und packenden Krimis bei. Scheinbar willkürlich springt die Handlung zwischen den drei Abend­ein­la­dun­gen und den Perspektiven der einzelnen Personen hin und her. Wir kehren auch zum Tatort nach Florida zurück, um die dort ermittelnden Detektive und ihre Recherchearbeit kennenzulernen. Schließlich kommt der Täter selbst zu Wort (in der Ich-Perspektive): »Wenn ich so darüber nachdenke [...], dann frage ich mich, ob das, was passiert ist, nicht ... vermeidbar gewesen wäre, wenn sie nur aufge­hört hätte zu lächeln.«

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2015 auf­genommen.


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