Spinne am Faden – Ihr Glücksbringer für das Neue Jahr
Schade – nach 84 Seiten ist die kurzweilige, abwechslungsreiche, teils äußerst amüsante Unterhaltung zu Ende, und der Autor verabschiedet sich, um in eine psychiatrische Klinik in Süddeutschland zu flüchten.
Zwar lebt im Volksmund immer noch das Klischee, viele Psychiater seien selber nicht ganz klar im Kopf, doch keine Sorge – der Arzt Dr. Moritz E. Wigand macht auf mich einen sehr gesunden Eindruck, beweist er doch scharfes Beobachtungsvermögen, eine spitze Zunge und eine ebensolche Feder. Während seines Medizinstudiums an der Berliner Charité hat er zwischen 2006 und 2008 kurze Kolumnen für die Rheinische Post gedrechselt, in denen er das studentische Leben und Treiben – sein eigenes und das seiner Kommilitonen – kritisch und witzig beleuchtete. 33 davon hat der kleine BlueStar-Verlag jetzt in einem Bändchen zusammengefasst.
Die ein bis zwei Seiten umfassenden Schlaglichter bringen auf den Punkt, was Wigand an der Alma mater erlebt hat, und auf den Tisch, was er frank und frei ausplaudern möchte.
Die meisten seiner Kommilitonen – er selber nicht ausgenommen – haben sich für das Studium der Medizin entschieden, weil sie an einem Helfersyndrom leiden. Je länger das Studium dauert, je mehr Fachbereiche sie durchlaufen, desto empfindsamer werden sie, desto mehr bilden sie sich ein, von eben den Symptomen befallen zu werden, die gerade im Institut thematisiert oder bei Patienten diagnostiziert werden. Wir verstehen jetzt, was für einen Kraftakt das Medizinstudium darstellt, wenn ein hypochondrisch veranlagter angehender Medicus in den mehr als sechs Jahren seiner Ausbildung nahezu vierhundert Krankheiten durchleidet ...
Der Autor, 1982 geboren, betont, er lege keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Doch so ganz nehme ich ihm das nicht ab. Wie sein Foto (auf Seite 87) beweist, stylt er seine Haare mit Föhn und Haargel im klassischen Out-of-bed-look und tummelt sich begeistert mit seiner Kamera zwischen Mannequins und Models auf der Modemesse in Paris.
Obwohl der stud. med. Wigand sein Studium ernst nimmt, ist er doch ein entspannter Typ, der selbst in Prüfungsphasen für ein Konzert alles liegen und stehen lässt. Für seine Freunde, seine Gitarre und Literatur des 19. Jahrhunderts findet er immer Zeit. Zwischendurch driftet er in Tagträume ab. Als Alternative zu seinem angestrebten Ziel könnte er sich ein Leben als "fairer" Kaffeehändler auf einem großen Segelschiff auch gut vorstellen. Nur den Segelschein müsste er halt noch machen ...
Nur ein intelligenter junger Mensch mit wachem Geist und mancherlei Talenten kann so humorvoll und satirisch-spitz wiedergeben, was er an Kuriositäten im Umgang mit seinen Mitmenschen erlebt hat, zum Beispiel während seiner Auslandspraktika. Studenten, die sich schwer mit Fremdsprachen tun, empfiehlt er, ihr Praktikum im Fach Chirurgie zu wählen, denn das sei doch ein Arbeitsfeld ohne Sprache, dem Eintritt in einen Schweigeorden vergleichbar. Und so erfahren wir auch, was ein "Pferdepimmel" mit Champagner zu tun hat, warum britische Ärzte Krawatten statt Kittel tragen, dass es solche und solche Chefärzte gibt und warum man dem deutschen Gast-Studenten auf dem amerikanischen Campus "Bill Gates" hinterher ruft ...
Jetzt muss ich mich echt im Zaume halten, damit ich Ihnen nicht noch mehr Dönnekes verrate, denn schließlich wollen Sie das Büchlein ja vielleicht noch selber lesen – oder es verschenken. Sie werden jedem eine Freude damit machen, nicht nur Medizinern.